Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg durch die Hintertür

Von Sabine Lösing *

Es wird immer deutlicher, dass das eigentliche Ziel des NATO-Krieges gegen Libyen, der Sturz Muammar al-Gaddafis, nur durch eine weitere Eskalation erreicht werden dürfte. Der »Westen muss über Bodentruppen in Libyen nachdenken«, titelte etwa das »Handelsblatt« am 26. April. Allerdings verbietet die UN-Resolution 1973, auf deren Grundlage derzeit bombardiert wird, eine »Besatzungstruppe in jeder Form und auf jedem Teil der Republik Libyen«.

Um diesen eigentlich eindeutigen Passus zur Verhinderung einer Bodeninvasion zu umgehen, beschloss die Europäische Union bereits am 1. April den Einsatz »EUFOR Libya«. Offiziell handelt es sich dabei laut Mandat um »eine Militäroperation (…) zur Unterstützung der humanitären Hilfe in der Region«. Vorgesehen ist dabei ein Einsatz der EU-Kampftruppe (Battlegroup), an dem sich auch Deutschland beteiligen will. Hierdurch soll augenscheinlich der Weg für einen Bodenkrieg geebnet werden, wie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat bestätigt: »Wenn man Bodentruppen zum Schutz humanitärer Konvois einsetzt, dann ist es bloß noch ein kleiner Schritt, bis man tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt ist.« Die Bundeswehr könne dadurch in eine Situation geraten, »in der man richtig Krieg führt«.

Das EUFOR-Mandat legt jedoch ebenfalls fest, dass die Prinzipien der humanitären Nothilfe über die Zusammenarbeit mit dem Militär »vollständig eingehalten« werden müssen. Diese sogenannten Osloer Richtlinien verpflichten zur strikten Neutralität und Unparteilichkeit sowie zum Respekt vor der Souveränität und territorialen Integrität des Landes, in dem humanitäre Hilfe geleistet wird. Im selben Atemzug heißt es im Mandat jedoch: »Die Planung und Durchführung der Operation erfolgt in enger Zusammenarbeit und Komplementarität mit (…) der Nordatlantikvertrags-Organisation und anderen Akteuren.«

Diese anvisierte »enge Zusammenarbeit« mit der NATO wäre eine klare Verletzung der Osloer Richtlinien. Das Militärbündnis führt in Libyen Krieg, es ist weder neutral noch unparteilich. Allerdings kann die EU laut EUFOR-Mandat erst agieren, »wenn sie vom Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) darum ersucht wird«. Ein solches Ersuchen liegt jedoch nicht vor; mehr noch, OCHA-Chefin Valerie Amos erteilte den Bestrebungen zur Militarisierung der humanitären Nothilfe in einer Pressekonferenz am 20. April eine klare Absage: »Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass unsere Fähigkeit humanitäre Hilfe für alle bedürftigen Menschen zu leisten, davon beeinträchtigt wird, mit der laufenden Militäroperation in Verbindung gebracht zu werden.«

Dennoch steht die EU bereits in den Startlöchern, ein Hauptquartier für EUFOR Libya wurde bereits in Rom errichtet, während Valerie Amos gleichzeitig massiv unter Druck gesetzt wird: »OCHA sieht die humanitäre Hilfe sehr oft in Schwarz und Weiß: Sie wollen keine militärische Beteiligung, während wir manchmal meinen, dass es eine Notwendigkeit für eine militärische Hilfe gibt«, so der einflussreiche finnische Außenminister Alexander Stubb. Wenn die Europäische Union und ihre Einzelstaaten wirklich ein Interesse hätten, der Bevölkerung in Libyen zu helfen, so würden sie die Grenzen für Bürgerkriegsflüchtlinge öffnen, anstatt die »Festung Europa« immer höher zu errichten. Offensichtlich will man sich in Brüssel aber lieber unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe eine Vollmacht einholen, um den Krieg weiter eskalieren zu können.

* Die Europaabgeordnete der LINKEN ist Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung.

Aus: Neues Deutschland, 29. April 2011 ("Brüsseler Spitzen")


Afrika-Union fordert Ende der Angriffe

Vorwurf: NATO-Einsatz verschärft Lage in Libyen

Die Afrikanische Union (AU) hat ein Ende der Angriffe auf libysche Regierungsvertreter und die zivile Infrastruktur des Landes gefordert. Alle Beteiligten sollten weitere Militäreinsätze gegen Mitglieder der libyschen Führung und die »sozio-ökonomische Infrastruktur« Libyens unterlassen, forderte der AU-Friedens- und Sicherheitsrat am Mittwoch (27. April) in einer Erklärung. Diese würden die Lage verschlechtern und einen internationalen Konsens über das weitere Vorgehen in Libyen gefährden. Mit der Erklärung reagiert die AU auf einen NATO-Luftangriff auf das Büro des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi in Tripolis. Das Gebäude wurde beim Angriff am Montag vollständig zerstört.

Die angekündigte Beteiligung italienischer Kampfflugzeuge an den Luftangriffen in Libyen hat zu einem heftigen Krach in Silvio Berlusconis Regierungskoalition geführt. Er sei gegen diese Entscheidung des Ministerpräsidenten, »mit der wir eine französische Kolonie geworden sind«, erklärte der Chef der rechten Lega Nord, Umberto Bossi. Wie italienische Medien am Mittwoch berichteten, wirft Bossi dem Koalitionspartner vor, einer Pariser Forderung nachgekommen zu sein. Das italienische Engagement werde schwerste Folgen haben und vor allem neue Flüchtlingsströme nach sich ziehen, kritisierte Bossi.

(ND, 28. April 2011



Pläne für die Invasion

Von Knut Mellenthin **

Die britische Regierung erwägt die Schaffung eines militärischen Brückenkopfs »im Grenzgebiet« zwischen Libyen und Tunesien. Das gab Kriegsminister Liam Fox am Mittwoch (27. April) bei einer Anhörung im Verteidigungsausschuß des Unterhauses zu. Auf die Frage, ob ein Truppeneinsatz in Libyen von der am 17. März beschlossenen UN-Resolution 1973 gedeckt wäre, antwortete Fox, daß die Regierung zu jedem konkreten Einzelfall ein Rechtsgutachten einholen werde. Die Errichtung einer militärisch gesicherten »Schutzzone« für Flüchtlinge an der libysch-tunesischen Grenze gehöre zu den Themen, mit denen man sich möglicherweise beschäftigen werde. Nachdem in den vergangenen Tagen Rebellen in dieses Gebiet vorgestoßen waren – möglicherweise von Stützpunkten in Tunesien aus – sollen dort über 30000 Menschen auf der Flucht sein.

Indessen schreiten die Vorbereitungen der Europäischen Union auf eine »humanitär« getarnte Stationierung von Bodentruppen in Libyen voran. Der Planungs- und Führungsstab der dafür vorgesehenen Militärmission EUFOR Libya wurde am 1.April gebildet und mit einem Anfangsetat von 7,9 Millionen Euro ausgestattet. Das Hauptquartier befindet sich in Rom und untersteht dem italienischen Admiral Claudio Gaudiosi. Die 27 EU-Regierungen haben sich auf ein 61 Seiten starkes Papier (»Concept of Operations«) geeinigt, in dem die strategischen Richtlinien und Ziele, bis hin zu den Einsatzregeln, festgelegt sind. Geplant ist unter anderem die Besetzung und Abschirmung von libyschen Häfen und Flughäfen unter dem Vorwand, die Anlieferung von Hilfsgütern und den Abtransport von Flüchtlingen zu sichern. Die Rede ist darüber hinaus von der Schaffung militärisch kontrollierter »Versorgungskorridore« auf libyschem Territorium.

Zusammengenommen könnten diese Maßnahmen dazu führen, an wichtigen umkämpften Punkten, wie etwa in Misurata, die Situation entscheidend zugunsten der Rebellen zu verändern. Das Konzept sieht eine Einsatzdauer von »maximal« vier Monaten »nach Erreichen der vollen Einsatzfähigkeit« vor, was dann wohl auf ein halbes Jahr hinauslaufen würde. Ohnehin hat sich die NATO von ersten Propaganda-Prognosen einer kurzen Intervention – »Wochen, nicht Monate« – unverblümt verabschiedet. »Unser Engagement kennt keine zeitliche Begrenzung«, offenbarte Fox dem Unterhausausschuß.

Bevor die EU-Invasion nach Libyen anrollen kann, ist allerdings noch eine förmliche »Bitte« der Leiterin des UNO-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), Valerie Amos, erforderlich. Die in Guayana geborene Britin hat aber bisher dem zunehmenden Druck der EU, vor allem aus London und Paris, widerstanden. Die Verantwortliche der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, hat bisher vergeblich versucht, sich unter Umgehung von Amos direkt an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu wenden, um seine Zustimmung zu erreichen.

Flugzeuge der NATO haben am Mittwoch (27. April) wieder einmal ihre eigenen Verbündeten angegriffen. Dabei wurden in der umkämpften Stadt Misurata mindestens zwölf Rebellen getötet und fünf weitere verletzt. Die Aufstandsführung hatte anfangs versucht, das Mißgeschick zu verheimlichen, da sie an einer Ausweitung der Luftangriffe interessiert ist und keine Stimmung gegen diese wünscht. Die Nachrichten aus dem Krankenhaus und von Angehörigen der Opfer ließen sich jedoch nicht unterdrücken.

** Aus: junge Welt, 29. April 2011


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