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Das große Geschäft mit dem Krieg

MEDIENgedanken: Glaubwürdigkeit der Bilder aus Libyen

Von Karin Leukefeld *

19. März 2011, Bengasi, Libyen. Die Kameraführung ist wackelig, unscharf. »Das ist das Blut von Kindern, eines war fünf Jahre, das andere vier Jahre, nein, Monate, und sie wurden heute angegriffen.« Ein vergittertes Fenster ist zu sehen, ein zerwühltes Bett, ein Kopfkissen mit einer großen Blutlache, aus dem Wandschrank gerissene Schubladen, ein zweites Kopfkissen mit einer Blutlache, das Zimmer ist verwüstet. Der Mann, der das Geschehen erklärt, wird nicht vorgestellt. Er weist die Person mit der Kamera an, wohin diese gerichtet werden soll: durch das Gitterfenster ein Blick in den Hof, der voll Trümmer liegt, auf den Boden, in die leeren Schubladen. »Dies sind Zivilisten, ich weiß nicht wie sie sie nennen, was ist das …«. Der Mann sucht nach Worten. »Wer hat das gemacht?« Aus dem Off der Kommentar des Reporters: »Pro-Gaddafi-Kräfte haben den Westrand von Bengasi erreicht. Die Rebellen sagen, die Internationale Gemeinschaft habe seit Monaten versprochen, die Kämpfe zu beenden, jetzt müsse sie handeln.«

Wenig später wird in dem gleichen Bericht ein Kampfjet gezeigt, der brennend abstürzt, eine gigantische schwarze Wolke steigt auf. Vermutlich hätten die Oppositionellen einen Kampfjet Gaddafis abgeschossen, mutmaßt der Reporter. Medien jubeln: »Abschuss über Bengasi, Volltreffer für Rebellen« (www.net-paradies.de). Die Nachrichtenagentur AP verbreitet die Aufnahmen des abstürzenden Jets, die den ganzen Tag als Hintergrund für die Berichterstattung über den Paris-Gipfel dienen. Am späten Nachmittag verkündet der französische Präsident Nicolas Sarkozy, französische Kampfjets hätten ihren Einsatz über Libyen begonnen. Erst später stellt sich heraus, dass es sich bei dem abgeschossenen Flugzeug um den Kampfjet eines Piloten handelte, der mit seiner Maschine zur Opposition übergelaufen war, er wurde ein Opfer von »friendly fire«.

»Bad news are good news«, heißt ein zynischer Spruch unter Reportern, »schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten«, denn »Krieg verkauft« sich. Fernsehen und Internet bestimmen die Schlagzeilen, Redaktionen fordern möglichst bizarre oder martialische Bilder, Kämpfe und Schießereien, Blut, zertrümmerte Fahrzeuge, Häuser, schreiende und fliehende Menschen. Doch der Krieg hat seine Regeln und die Berichterstattung hat ihren Preis. Ausländische Reporter leben meist alle im gleichen Hotel, dort, wo es Strom, Internet und einen Sendeplatz für ihre Bilder gibt, die sie untereinander austauschen, gegen Bezahlung durch die Sender, versteht sich. Dort gibt es Fahrer, Übersetzer und gepanzerte Fahrzeuge mit genügend Benzin oder Busse, die sie zu den Schauplätzen des Geschehens bringen. Hier gibt es auch Informationen von den Krieg führenden Parteien. Die einen sind in Bengasi und werden von den Rebellen »betreut«, die anderen sind in Tripolis und werden von einem Regierungssprecher »betreut«, wieder andere sind in Paris, Brüssel und Washington, wo die internationale Kriegsführung geplant und »erklärt« wird. Oder sie kommentieren aus dem angrenzenden Ägypten das Geschehen.

Die Reporter bewegen sich meist in Gruppen und so bleibt es nicht aus, dass Bilder und Interviewpartner sich wiederholen und gestellt werden. Mal mit Palästinensertuch, mal mit Militärkappe beklagen die Aufständischen die Gewalt von Gaddafis Truppen und fragen: »Wo bleibt Sarkozy? Wir brauchen Hilfe.« Sie sitzen verwegen auf erbeuteten Flugabwehrgeschützen, drehen das Gerät mit einer Kurbel um die eigene Achse, Fäuste fliegen in die Luft, Rufe wie »Allah ist groß« sind zu hören. Fahrzeuge mit Schnellfeuergewehren und einem halben Dutzend »Aufständischer« auf der Ladefläche rasen über Wüstenpisten durchs Kamerabild. Hauptsache, es geschieht etwas, über Motivation und Ziele erfährt man wenig.

Die Bilder, die uns erreichen, sind selten aktuell. Die Übertragung per Internet oder Satellit dauert, selbst wenn Reporter teure, tragbare Satellitenschüsseln mit sich führen, können sie aus Sicherheitsgründen kaum »live« von richtigen Kämpfen berichten. Immer häufiger werden Handy-Aufnahmen eingesetzt nach dem Motto: Je wackeliger, desto glaubwürdiger. So hat der Zuschauer den Eindruck »mitten drin« im Geschehen zu sein. Die Aufnahmen werden über You Tube verbreitet, ihr Ursprung ist für die Endabnehmer vor den Bildschirmen ebenso wenig nachzuprüfen, wie der Wahrheitsgehalt dessen, was gezeigt oder »berichtet« wird.

Selten sieht man diejenigen, die zwar auch da sind, aber nicht zum Tross der Kriegsreporter gehören. Die berichten anders und Anderes und verfügen kaum über das notwendige Geld, das die großen Medien für ihre Kriegsreporter ausgeben. Sie hören und sehen im Hintergrund und könnten viel über die Realität des Krieges, über Motivation der Akteure und die Einschätzungen der Betroffenen berichten. Dafür bleibt in Schlagzeilen keine Zeit, jede Übertragungsminute kostet. Krieg ist auch für Medien ein großes Geschäft.

* Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für ND aus dem arabischen Raum.

Aus: Neues Deutschland, 9. April 2011


Kriegssoundtrack des Tages: Hell Boys

Im Rundfunksender »Radio Freies Libyen«, dem von Bengasi aus arbeitenden Kanal der Aufständischen in dem nordafrikanischen Land, läuft zwischen Liebeserklärungen an US-Außenministerin Hillary Clinton und Aufrufen zur Ermordung von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi täglich der »Rap von der Qatiba«, einem Ende Februar heftig umkämpften Militärstützpunkt in Bengasi. »Mehr als 1000 Tote, schuld ist der Diktator«, heißt es beispielsweise in dem Lied, das nach Beobachtungen von Mikel Ayestarán, der für die spanische Tageszeitung ABC aus Bengasi berichtet, zu einer Hymne der jungen »Revolutionäre« geworden ist.

Der Song stammt von den »Hell Boys«, drei jungen Männern aus der ostlibyschen Metropole. Der Sänger nennt sich »Nazi«, mit seinen Mitstreitern »Big Well« und »17Baby« posiert er vor Hakenkreuzfahnen und Hitler-Porträt. Auch die bei Youtube abrufbaren Videos der Jungs zeigen den Nazi-reichsadler und immer wieder Hakenkreuze, während Jugendliche auf den Straßen von Bengasi den Hitlergruß zeigen.

Die Nazisymbole seien »mehr als eine Provokation«, stellt Aye­starán fest. Sie seien »Ausdruck der geistigen Verwirrung« der Jugendlichen in dem nordafrikanischen Land. »Nazi« selbst verteidigt sein Auftreten gegenüber dem Reporter: »Ich mag die Ästhetik, und ich denke, daß Hitler ein guter Militärstratege war«. Mit Politik habe das aber nichts zu tun.

Und während sich Ayestarán von den Nazisymbolen nicht abschrecken läßt und in dem Leib-und-Magen-Blatt der spanischen Rechten den »kreativen Geist« der jungen Männer beschwört, die »in dem stark nach libyschem Haschisch aus den Bergen von Cyrenaica« riechenden Studio herrsche, werden die Musiker von ihren Fans im Internet gegrüßt: »Respekt, Kameraden! Sieg Heil aus Rumänien!«

(scha)


** Aus: junge Welt, 9. April 2011




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