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Bombenanschlag auf US-Vertretung in Bengasi / Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofes verhaftet / Russische Bürger verurteilt

Keine beruhigenden Meldungen aus Libyen. Drei Berichte


Gerichtshof brüskiert

Libyen setzte Haager Delegation fest *

Libyen hat vier Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) unter dem Verdacht festgesetzt, dem inhaftierten Diktatorsohn Saif al-Islam Gaddafi geholfen zu haben.

Die Delegation des Haager Gerichts hatte Saif al-Islam in seinem Gefängnis in Al-Sintan im Osten Libyens aufgesucht. Zu ihr gehört auch die australische Anwältin Melinda Taylor. »Nach der Durchsuchung des Gerichtsteams fanden die Revolutionäre Briefe, die ihnen von Saif al-Islam gegeben worden waren, um sie einem seiner Helfer zu übermitteln«, so Milizkommandeur Adschmi al-Uteiri dem Sender Al-Dschasira zufolge. »Bei dem Besuch (im Gefängnis) wurden geheime Dokumente ausgetauscht, darunter ein von Saif al-Islam blanko unterzeichnetes Papier.« In den Dokumenten erkläre der Sohn von Muammar al-Gaddafi, dass es keine rechtmäßige Regierung in Libyen gebe und er schlecht behandelt werde, sagte Uteiri.

Der Milizkommandeur erklärte, Taylor sei nicht im Gefängnis, sondern stehe unter Hausarrest. Ein Vertreter des Außenministeriums in Tripolis sagte, Libyen werde vom Gerichtshof die Aufhebung der Immunität der Australierin verlangen, um danach den Fall zu untersuchen. Das australische Außenministerium erklärte, es bemühe sich um konsularische Hilfe für Taylor und um Klarstellungen der libyschen Regierung. Libyen lehnt die Forderung des Internationalen Strafgerichtshofes ab, Saif al-Islam für einen Prozess zu überstellen.

Unterdessen sind bei Gefechten zwischen Milizen und Stammeskämpfern im Südosten Libyens mindestens 17 Menschen getötet worden. Kämpfer der schwarzafrikanischen Minderheit der Tabu hätten in Kufra ein Milizbüro angegriffen, berichtete die unabhängige libysche Agentur Solidarity Press am Sonntag. Unter den Toten seien 15 Stammeskämpfer und zwei Männer der (eigentlich aufgelösten) Miliz »Bataillon Libyscher Schild«. Die auch mit Panzern geführten Gefechte hätten am Freitag begonnen. Vertreter der Sicherheitskräfte erklärten, die Feindseligkeiten seien mit einem Angriff auf einen Kontrollposten eingeleitet worden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. Juni 2012


Scharia-Anhänger mit schwerem Geschütz

Libyen: Bombenanschlag auf US-Vertretung in Bengasi / Ruf nach Einführung islamischen Rechts **

Während rund 70 000 Menschen seit dem Krieg in Libyen innerhalb des Krisenlandes als Vertriebene in verzweifelter Lage sind, sorgen extremistische Kräfte für neue Eskalation.

Auf die diplomatische Vertretung der USA im libyschen Bengasi ist ein Bombenanschlag verübt worden. Ein Mitarbeiter der Vertretung sagte, lediglich das Tor sei beschädigt worden, Menschen seien nicht zu Schaden gekommen. Nach Angaben eines Sicherheitsverantwortlichen in der Stadt bekannte sich eine Unterstützergruppe eines in den USA inhaftierten Islamistenführers zu dem Anschlag. Auf Flugblättern am Anschlagsort drohte sie demnach »amerikanischen Interessen« in Libyen.

Der stellvertretende libysche Innenminister Unis al-Scharef schloss nicht aus, dass der Anschlag eine Vergeltung für die von Washington kurz zuvor bekannt gegebene Tötung der Nummer zwei von Al Qaida, des Libyers Abu Jahja al-Libi, war. Die Unterstützergruppe des in den USA inhaftierten Scheich Omar Abdel Rahman, die sich zu der Tat bekannte, soll Ende Mai bereits einen Raketenangriff auf das Gebäude des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Bengasi verübt haben. Sie ist nach dem 73-jährigen blinden Ägypter benannt, der 1995 als Hintermann des Anschlags auf das New Yorker World Trade Center 1993 sowie wegen eines geplanten Anschlags auf Ägyptens Präsident Husni Mubarak zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Unterdessen demonstrierten ebenfalls in Bengasi Hunderte schwer bewaffnete Libyer, die einer Gruppe »Pro Scharia« angehörten. Vor dem Gerichtsgebäude der Stadt forderten sie die Einführung dieses strikt islamisch-religiösen Rechtssystems, das beispielsweise in Saudi-Arabien gilt. ** Aus: neues deutschland, Samstag, 9. Juni 2012


Moskau setzt sich für Freilassung verurteilter russischer Bürger in Libyen ein ***

Moskau wird laut dem amtlichen Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, weiterhin den in Libyen verurteilten russischen Bürgern helfen.

„Wir rechnen damit, dass diese Signale (Russlands Demarche) von der jetzigen libyschen Führung richtig verstanden werden. Unsere Botschaft in Tripolis hat konsularischen Zugang zu unseren Bürgern. Wir handeln synchron und in Abstimmung mit unseren ukrainischen und weißrussischen Kollegen“, sagte Lukaschewitsch am Donnerstag in Moskau bei einem kurzen Pressegespräch.

Russland werde für die Freilassung der russischen Bürger alles Notwendige tun, so der Sprecher.

Er betonte, es gehe dabei um keine undiplomatischen Methoden zur Regelung der Situation um die verurteilten russischen Bürger.

„Es gibt sehr viele internationale Mittel dafür, die selbstverständlich in das diplomatische Instrumentarium hineinpassen. Von etwas anderem kann nicht die Rede sein“, so der Außenamtssprecher.

Jewgeni Satanowski, Präsident des russischen Institutes für Nahost-Studien, hatte zuvor in einem Interview mit RIA Novosti die Möglichkeit einer „Sonderoperation“ außerhalb der „zwischenstaatlichen Beziehungen“ zur Befreiung der russischen Bürger nicht ausgeschlossen. Denn Russland habe heute keine Einflusshebel auf Libyen, so der Experte.

Zwei Russen, 19 Ukrainer und drei Weißrussen waren im Herbst 2011 von Kräften des nationalen Übergangsrates (NTC) Libyens unter dem Verdacht festgenommen worden, auf der Seite der Gaddafi-Truppen gekämpft zu haben.

Am vergangenen Montag wurde einer der beiden Russen als „Drahtzieher“ zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Seine Mitangeklagten erhielten je zehn Jahre Besserungsgefängnis.

Am Dienstag wurde der Interimistischen Geschäftsträgerin Libyens in Russland im Zusammenhang mit der Verurteilung der russischen Bürger eine Protestnote überreicht.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Donnerstag, 7. Juni 2012


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