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NATO: "Das Spiel ist aus für Gaddafi"

Rasmussen sieht aber keine militärische Lösung *

Ungeachtet der anhaltenden Pattsituation in Libyen ist NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen überzeugt, dass die Zeit für den libyschen Staatschef Gaddafi ausläuft.

»Das Spiel ist aus für Gaddafi. Er sollte besser früher als später erkennen, dass für ihn und sein Regime kein Platz mehr ist«, sagte Rasmussen im US-Fernsehsender CNN. »Wir haben Gaddafi gestoppt. Seine Zeit läuft aus. Er ist mehr und mehr isoliert.«

Es sei schwer vorstellbar, dass die »empörenden und systematischen Angriffe auf das libysche Volk aufhören, solange Gaddafi an der Macht bleibt«, erklärte Rasmussen weiter. Zugleich räumte er aber ein, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gebe, sondern das Patt nur politisch gelöst werden könne.

Unterdessen hat die NATO Vorwürfe bestritten, Schiffe des Bündnisses kämen Flüchtlingen aus Libyen in Seenot nicht zu Hilfe. »Die NATO-Schiffe sind sich ihrer Verantwortung gemäß dem internationalen Seerecht voll und ganz bewusst«, sagte eine Sprecherin der NATO am Montag in Brüssel. Sie reagierte auf einen Bericht der britischen Zeitung »The Guardian«, wonach ein Flugzeugträger Ende März ein Boot mit Flüchtlingen auf dem Weg nach Lampedusa (Italien) seinem Schicksal überlassen habe. Dabei seien 61 Menschen ums Leben gekommen.

Tatsächlich sei zum fraglichen Zeitpunkt lediglich der italienische Flugzeugträger »Garibaldi« im Mittelmeer unterwegs gewesen – allerdings etwa 100 Seemeilen von der Unfallstelle entfernt. Kurz zuvor hätten allerdings NATO-Schiffe bei zwei Aktionen rund 500 Menschen auf offener See vor dem Ertrinken bewahrt. Der »Guardian« meldete, dass der Flugzeugträger, von dem Überlebende berichteten, das französische Schiff »Charles de Gaulle« gewesen sei. Französische Stellen hätten dies bestritten.

Vor der süditalienischen Insel Lampedusa sind die Leichen von drei Flüchtlingen geborgen worden. Italienischen Medien zufolge entdeckte die Küstenwache die Toten am Montag bei Bergungsarbeiten unter einem Boot, das am Vortag mit rund 500 Flüchtlingen aus Libyen an Bord vor dem Hafen der Insel auf Felsen aufgelaufen war.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2011


Hoffnungsloser Fall

Von Roland Etzel **

NATO-Generalsekretär Rasmussen hat festgestellt, dass die Lage in Libyen ziemlich hoffnungslos ist. Keine der involvierten Parteien ist bei der gegebenen militärischen Konstellation in der Lage zu gewinnen. Das vorhandene Patt kann noch lange anhalten. Der erste Verlierer steht deshalb schon fest. Es ist der Staat Libyen, politisch gespalten, territorial zerrissen, materiell zerbombt; von den Verlusten an Menschenleben nicht zu reden. Damit ist genau das eingetreten, was der Militärpakt angeblich verhindern wollte.

Nun sagt Rasmussen, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gebe, das Patt könne nur politisch gelöst werden. Was so vernünftig klingt, ist kaum ernstzunehmen, nicht von Rasmussen, auch er ist ein hoffnungsloser Fall, hoffnungslos unglaubwürdig. Ende Februar hatte der Däne beteuert, die NATO sei »zu humanitärer Hilfe in Libyen bereit, plane aber kein militärisches Eingreifen« – um wenig später gegenüber dem amoklaufenden Sarkozy völlig einzuknicken und auch noch andere zu kritisieren, die etwas Abstand zur Koalition der Kriegswilligen halten. Man kann auch nicht von der »Suche nach politischen Lösungen« reden und gleichzeitig die Kapitulation einer Seite, nämlich Gaddafis, fordern. Das legt die Vermutung nahe, die erwartete Ablehnung solch inakzeptabler Bedingungen soll die nächste Eskalationsstufe des Krieges rechtfertigen. Wann landet die ersten regulären NATO-Truppen in Libyen?

** Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2011 (Kommentar)


Waffenhilfe für Bengasi

Von Rüdiger Göbel ***

Die frühere Kolonialmacht Italien will den Gegnern der libyschen Regierung Waffen liefern. Das gaben die im selbsternannten Nationalen Übergangsrat in Bengasi zusammengeschlossenen Rebellen am Wochenende bekannt. »Kleiner Hoffnungsschimmer im Kampf gegen den libyschen Machthaber Muammar Al-Ghaddafi«, schwärmte Spiegel online über den Kriegsdeal, der per Vertrag fixiert worden sein soll. Das Militärgerät soll nach Angaben der Aufständischen »sehr bald« geliefert werden. Die Regierung Silvio Berlusconis in Rom will von einem offiziellen Waffenabkommen nicht sprechen, sie nennt das Ganze statt dessen »Hilfe zur Selbstverteidigung«. Die Verschleierung ist dahingehend notwendig, als für Libyen ein UN-Waffenembargo gilt.

Dem Onlineportal des Spiegel zufolge ist die Unterstützung »dringend nötig«, »die Truppen des Regimes gehen mit unnachgiebiger Härte vor«. Aus der seit Wochen umkämpften Stadt Misurata etwa meldeten die Aufständischen am Wochenende, die Truppen Muammar Al-Ghaddafis hätten am Samstag mehrere Treibstofftanks mit Raketen beschossen. Wahlweise war aber auch davon die Rede, Agrarflugzeuge, sogenannte Kartoffelflieger, hätten Bomben abgeworfen. Die Versorgung der Aufständischen mit Kraftstoff solle so gekappt werden. Unklar ist indes, ob die Spritlager tatsächlich von den Regierungstruppen attackiert wurden– oder ob mit der Aktion nicht eine weitere Intervention des Westens herbeigebombt werden soll. In einem vertraulichen, jW vorliegenden Dokument der Europäischen Union, heißt es etwa, Treibstoffknappheit bzw. die Versorgung mit Treibstoff könne »ein mögliches künftiges ›Szenario‹ für EUFOR LBY werden«. EUFOR LBY steht für die von der EU aufgestellte Streitmacht, die auf eine Bitte der UNO wartet, in Libyen im Rahmen »humanitärer Hilfe« zu intervenieren.

Die Aufständischen behaupteten am Wochenende zudem, Ghaddafis Truppen hätten aus Hubschraubern Seeminen im Hafen von Misurata abgeworfen. Die Helikopter seien mit den Logos des Roten Kreuzes bzw. des Roten Halbmondes gekennzeichnet gewesen. Zwar bestätigte die den libyschen Luftraum kontrollierende NATO die Angaben nicht, sie müssen aber deswegen nicht falsch sein: Der Hafen ist schwer umkämpft, werden die Aufständischen darüber doch mit Waffen und Munition versorgt. Allerdings hatten die Rebellen in der Vergangenheit auch »kreative« Meldungen verbreitet, zuletzt, Ghaddafi habe Viagra-Tabletten an seine Soldaten verteilt, die nun Massenvergewaltigungen begingen. Real sind die Bilder von AP aus Misurata, die die Bergung von Leichen zeigen. Bei den in Plastiktüten verpackten Toten handelt es sich laut Agentur um Anhänger Ghaddafis.

Die NATO selbst flog am Sonntag (8. Mai) wieder Angriffe auf die Hauptstadt Tripolis. Im Westen der Metropole seien heftige Explosionen zu hören gewesen, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf einen Augenzeugen. Unklar war zunächst, was das Ziel der Angriffe war. Vor zehn Tagen hatte der Militärpakt ein Wohnhaus der Ghaddafi-Familie bombardiert. Bei dem Angriff waren ein Sohn und drei Enkelkinder des Staatschefs getötet worden.

Aus der Umgebung von Sintan und Wasin in den Bergen südwestlich von Tripolis wurden am Samstag heftige Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen gemeldet. Über das Grenzgebiet zu Tunesien läuft die Nachschubversorgung der Rebellen.

*** Aus: junge Welt, 9. Mai 2011


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