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Libyen-Einsatz: Nato wartet auf UN-Mandat

Von Andrej Fedjaschin, RIA Novosti *

Als erstes Land hat Frankreich den Nationalrat der Rebellen als legitime Repräsentanten Libyens anerkannt und seinen Botschafter nach Bengasi geschickt.

Möglicherweise werden weitere EU-Länder dem Beispiel Frankreichs folgen - oder auch nicht. London und Berlin haben bereits die anderen EU-Mitglieder aufgefordert, die Kontakte zu Staatschef Muammar Gaddafi abzubrechen. Dabei gibt es aber ein kleines Problem: Bisher hatte die Europäische Union keine Regierungen, sondern nur Staaten anerkannt. Die Situation um Libyen ist aber so konfus, dass kaum jemand auf solche „Kleinigkeiten“ achtet.

Es ist offensichtlich, dass in Bezug auf Gaddafi etwas unternommen werden sollte - und zwar möglichst schnell. Der Diktator, der seit mehr als 40 Jahren regiert, soll zur sanften Machtübergabe bewegt werden. Niemand hat bislang allerdings klar Position bezogen, wie sich Gaddafis Entmachtung am besten arrangieren ließe.

Ende der vergangenen Woche beherrschte die Lage in Libyen das politische Geschehen in Europa. In Brüssel fanden mehrere Treffen der EU- und Nato-Außen- und Verteidigungsminister statt. Auf der Tagesordnung stand dabei nicht nur eine Libyen-Lösung, sondern auch die generelle Vorbeugung der Verbreitung von antiwestlichen Stimmungen in der arabischen Welt.

Das kann nicht ausgeschlossen werden, besonders wenn sich die Nato für eine militärische Intervention in Libyen entscheiden sollte. Das würde zur Folge haben, dass sich alle arabischen Revolutionen in einen banalen Militäreinsatz mit schweren Folgen verwandeln. Eine Wiederholung der Situation in Kuwait, Afghanistan oder im Irak wäre des Guten zuviel. Das würde nach der Entstehung einer neuen „Weltregierung“ mit der Nato an der Spitze aussehen, die über rein polizeiliche Funktionen verfügen würde.

Eine solche Wende kann man sich im Westen unmöglich leisten, besonders wenn man die unklare Situation in Ägypten und Tunesien (die dortigen Revolutionen sind immer noch nicht zu Ende und die Situation ist weiter instabil) bedenkt. Vor allen Dingen ist das für den US-Präsidenten Barack Obama unvorstellbar, denn das würde seinem politischen Kurs und dem Verzicht auf die „unipolare“ Politik seines Vorgängers George W. Bush widersprechen, die er während seiner Wahlkampfes und unmittelbar nach dem Amtsantritt verkündete. Zugleich kann Obama auch nicht solange warten, bis sich die Situation in Libyen von allein entspannt. Sowohl die Republikaner als auch die Demokraten fordern Obama zu einer „proaktiven“ Politik auf und verlangen ein Flugverbot über Libyen nach dem Beispiel von Kuwait 1991, Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001 und dem Iran 2003.

In den letzten Tagen sagten viele Nato-Vertreter in Washington, Brüssel, London und Paris, für das Flugverbot wäre noch nicht der passende Zeitpunkt gekommen, dafür wäre die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats erforderlich usw. Das machte die Situation noch verwirrender, besonders wenn man die Aussagen des US-Verteidigungsministers Robert Gates’ bedenkt, wonach zunächst alle Luftabwehrsysteme Libyens zerbombt werden müssten, was jedoch den Beginn eines Kriegs bedeuten würde. Die Nato hat außer dem Flugverbot keine anderen Mittel, um Gaddafi unter Druck zu setzen. Dagegen wenden sich jedoch Moskau und Peking, ohne deren Zustimmung der Weltsicherheitsrat keinen Beschluss treffen kann.

Russland hat übrigens bereits einiges getan, um das Gaddafi-Regime zu entwaffnen – mit großen Einbußen. Präsident Medwedew schloss sich am 9. März den UNO-Sanktionen vom 26. Februar an. Damit stimmte Moskau dem Verbot für jegliche Waffen- und Munitionslieferungen an Libyen zu. Die russisch-libyschen Rüstungsverträge machten schätzungsweise zwei Milliarden Dollar aus. Zudem lagen mehrere Verträge im Wert von 1,8 Milliarden Dollar unterzeichnungsreif vor. Damit dürften Russlands Verluste von den Sanktionen gegen Libyen bei etwa vier Milliarden Dollar liegen.

In Wirklichkeit wäre es gar nicht so schwierig, den libyschen Luftraum zu sperren. Die USA und Nato verfügen über die technischen Mittel. Als US-Verteidigungsminister Robert Gates die Kongressmitglieder mit möglichen Bombenangriffen auf Libyen einschüchterte, erzählte er ihnen nicht die ganze Wahrheit. Im Irak kam es dazu noch nicht einmal. Damals warnte die Nato, sie würde alle Luftabwehranlagen vernichten, die ihre Luftwaffe entdecken würde. Das genügte, um die Luftraum über Bagdad zu sperren.

Ein Flugverbot ist natürlich kostspielig. Dabei müssten die Kampfjets und Überwachungsflugzeuge, die Flugzeugträger und Begleitschiffe, die Rettungshubschrauber usw. ständig zum Einsatz kommen. Im Irak blieb der Luftraum ein Jahr lang gesperrt, was den US-Haushalt 1,5 Milliarden Dollar kostete. Im Kosovo erstreckte sich das Flugverbot auf ganze drei Jahre. Aber in beiden Fällen bestand die Gefahr, dass „dritte“ Flugzeuge (serbische im Kosovo oder iranische im Irak) den Luftraum verletzen. So etwas geschah jedoch nicht.

In Libyen ist die Situation aber ganz anders: Kein einziges Nachbarland empfindet Sympathien zu Gaddafi, so dass er von niemandem eine Luftunterstützung erwarten kann. Libyen selbst verfügt höchstens über 300 Kampfjets MiG-23 und MiG-25, von denen die meisten außer Betrieb sind. Die anderen können mit den amerikanischen, britischen, französischen oder italienischen Maschinen nicht mithalten. Die libysche Luftwaffe ist den Nato-Kräften deutlich unterlegen.

Das Problem ist viel größer und es besteht in den Bodentruppen. Die Nato müsste nicht gegen Gaddafis Flugzeuge, sondern gegen seine Panzer und Artillerie kämpfen. In der Wüste sind Luftattacken auf Panzer ein schwieriger Unterfangen. Aber gegen den Einmarsch der Nato-Bodentruppen nach Libyen treten fast alle arabischen Staaten und regionalen Organisationen auf.

Aber auch sie haben eigentlich nichts gegen ein Flugverbot über Libyen. Selbst Moskau und Peking würden dieser Idee letztendlich zustimmen, wenn diese Frage in der UNO geregelt wird. Dabei geht es nicht nur um die Luftblockade. Sie allein würde nicht ausreichen, um Gaddafi zu bezwingen.

Jetzt konzentriert sich die Nato auf die Taktik der „humanitären Intervention“. Es geht um die Lieferung von „humanitären Gütern“ (und zugleich von Waffen für die Rebellen) an Bord von amerikanischen, britischen, französischen und italienischen Schiffen. Nicht zu übersehen ist, dass der US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder, und die US-Präsidentenberaterin für Außenpolitik, Samantha Power, für die „humanitäre Intervention“ plädieren. Daalder hat sogar die Zweckmäßigkeit einer „sanften Einmischung“ im Falle von Massenmorden an libyschen Bürgern (wie in Darfur oder Ruanda) in einem Buch begründet.

Ein langjähriger Bürgerkrieg ist in Libyen aber unwahrscheinlich. Jedenfalls in der Form, die für die meisten afrikanischen Länder typisch ist. In der Wüste gibt es einfach keinen Platz, wo sich die Kämpfer verstecken könnten. Sie können ihre Gegner aus einer Stadt nur verdrängen, wenn sie die ganze Stadt zerstören. Derzeit geht es nur darum, welche und wie viele Waffen die beiden Lager haben. Momentan hat Gaddafi mehr Waffen zur Verfügung.

Aber falls die „humanitäre Intervention“ beginnen sollte, dann könnte sich das Kräfteverhältnis schnell ändern. Denn niemand kann garantieren, dass Libyen nicht bombardiert wird.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 14. März 2011; http://de.rian.ru



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