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Der Türöffner zum Krieg

UN-Resolution 1973 diente als Lizenz für einen Regimewechsel

Von Norman Paech *

Teile der syrischen Opposition, vor allem des Syrischen Nationalrats in Istanbul, fordern seit Wochen von der »internationalen Gemeinschaft« die Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien. Wie 2011 in Libyen solle auf diese Weise die Zivilbevölkerung vor der Armee geschützt werden.

In Zeiten »humanitärer« Kriegskonjunktur ist es gut, sich eines Jahrestages zu erinnern, an dem das Tor zu einem Krieg geöffnet wurde, der an die 50 000 Tote, Hunderttausende Verletzte und traumatisierte Opfer, zerstörte Städte und eine zerbrochene Gesellschaft mit ungewisser Zukunft hinterlassen hat. Am 17. März 2011 ermächtigte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1973 alle Mitglieder der UNO gemäß Artikel 42 der UN-Charta zum Einsatz militärischer Gewalt gegen das Regime Muammar al-Gaddafis. Schon zwei Tage später, am 19. März – dem achten Jahrestag des Überfalls auf Bagdad –, begannen elf Staaten unter Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens einen Luftkrieg gegen Libyen, der erst im Oktober endete – nach dem Tod Gaddafis unter ungeklärten Umständen.

Die Resolution 1973 ermächtigte ausdrücklich nur zu Maßnahmen, die den Schutz der Zivilbevölkerung bezwecken »unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen jeder Art«. Sie sollten ein Flugverbot sowie das bereits in der Resolution 1970 Ende Februar verordnete Waffenembargo durchsetzen. In der Resolution 1973 ist ausschließlich von der Sorge um den Schutz der libyschen Bevölkerung die Rede. Bekräftigt wird zudem, wie schon in der Resolution 1970, ein »nachdrückliches Bekenntnis zu Souveränität, Unabhängigkeit, territorialer Unversehrtheit und nationaler Einheit der Libyschen Arabischen Jamahiriya«. Die militärische Beseitigung der Regierung war darin nicht enthalten.

Was folgte, war ein Missbrauch der Resolution, eine Verhöhnung des Mandats des Sicherheitsrats. Bereits Ende März erklärte der Chef der französischen Luftwaffe, General Paloméros, das Ziel, die Zivilbevölkerung zu schützen, sei erreicht. Doch da hatte die NATO gerade erst das Oberkommando übernommen und baute den Einsatz zu einem regelrechten Kolonialkrieg aus mit umfangreicher Unterstützung der Aufständischen durch Instrukteure, mit eigenen Geheimdienstoperationen im Lande und Waffenlieferungen an die Rebellen, ungeachtet des Waffenembargos.

Gewiss wurde nicht einfach ein friedliches Land überfallen. Am 15. Februar hatte das libysche Militär begonnen, auf Befehl Gaddafis die ersten Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen. Seitdem war die Situation eskaliert, so dass die UN-Generalversammlung schon am 1. März mit den Stimmen aller 192 Mitglieder die Mitgliedschaft Libyens im Menschenrechtsrat aussetzte. Darauf wurde der Sicherheitsrat gedrängt, sich mit der Situation zu befassen.

Beide Resolutionen, 1970 und 1973, berufen sich auf Kapitel VII der UN-Charta. Das setzt eine Feststellung nach Artikel 39 UN-Charta voraus, »ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt.« Der Sicherheitsrat hätte also eine grenzüberschreitende Gefährdung der Nachbarstaaten durch die Rebellion feststellen müssen, die faktisch jedoch nicht existierte. Lapidar befand der Sicherheitsrat nur, »dass die Situation in der Libyschen Arabischen Jamahiriya nach wie vor eine Gefährdung für den internationalen Frieden und die Sicherheit darstellt« – eine Behauptung, für die der Sicherheitsrat nicht beweispflichtig ist.

Russen und Chinesen im Sicherheitsrat hätten aber wissen müssen: Wo Kapitel VII der UN-Charta draufsteht, steckt Krieg drin, zumal bei einem Land wie Libyen, mit großen Ressourcen in wichtiger strategischer Lage. Sie wollten offensichtlich einer Konfrontation mit den USA aus dem Weg gehen – in den Fragen von Krieg und Frieden ist dies aber unvermeidlich, diese Lektion sollten sie für Syrien und Iran gelernt haben.

Auch aus der Distanz von einem Jahr betrachtet, bleibt die Resolution 1973 eine politische und völkerrechtliche Fehlgeburt, deren Missbrauch zur Beseitigung eines ausgedienten Regimes von vornherein geplant war. Jene, die sie jetzt immer noch als erste Resolution der Schutzverantwortung für eine unterdrückte Bevölkerung feiern und als Beispiel für weitere Resolutionen empfehlen, sind nicht nur naiv, sondern gefährlich. Sie benutzen ein »humanitäres« Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung als Türöffner für einen Krieg kolonialer Prägung, für den es keine völkerrechtliche Ermächtigung gegeben hat.

* Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht und war von 2005 bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN.

Aus: neues deutschland, 17. März 2012



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