Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Treffen in der Wüste: Öl- und Gasgeschäfte, Waffenverkäufe und Schuldenvertrag

Scheidender Präsident Putin schmiedet russisch-libysche Partnerschaft



Putin in Libyen: Pipelines statt Sozialismus

Von Maria Appakowa *

Erklärungen über Partnerschaft und Zusammenarbeit waren neben anderen wichtigen Abkommen die Ergebnisse des Libyen-Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Nun gilt es, die erzielten Vereinbarungen umzusetzen. Zu den beeindruckendsten Folgen des Besuchs gehören die Einigung über die Höhe von Libyens Schulden gegenüber Moskau und die Vereinbarung zwischen Gazprom und der libyschen Nationalen Erdölgesellschaft über ein Gemeinschaftsunternehmen.

Die spannendste Frage vor dem Besuch war, ob und auf welche Weise das Problem der libyschen Altschulden aus Sowjetzeiten gelöst werde. Libyen weigerte sich, die Schulden anzuerkennen, und behauptete, auch Moskau habe seit den Sowjetzeiten unerfüllte Verpflichtungen gegenüber Tripolis. Die Rede ist von Waffenlieferungen. Selbstverständlich komplizierte all das den Abschluss neuer Verträge, vor allem im Waffenhandel.

Aber endlich haben beide Länder, wie Russlands Finanzminister Alexej Kudrin in Tripolis erklärte, die Höhe der libyschen Schulden vereinbart: 4,6 Milliarden Dollar. Es blieb nur übrig, zu entscheiden, wie sie getilgt werden sollen und wie die bestehenden finanziellen gegenseitigen Ansprüche geregelt werden könnten. Übrigens wird das kaum ein Problem sein, die Praxis der Lösung solcher Fragen mit anderen, darunter arabischen Ländern, zeigt, dass alle Ansprüche durch neue Verträge gedeckt werden. Nötig ist nur die Zeit zur Vereinbarung technischer Details.

Aber die Unternehmer warten nicht erst darauf, bis das Schuldenproblem endgültig gelöst ist. Russische Unternehmen arbeiten in Libyen immer aktiver - trotz des Umstands, dass vor sechs Monaten in Libyen ein Mitarbeiter von Lukoil-Overseas wegen des Verdachts der Spionage festgenommen wurde. Gegen den Russen ist bisher keine Anklage erhoben worden. Moskau hält die Festnahme für ein Missverständnis und hält weiter am Kurs, die Beziehungen zu Tripolis auszubauen, fest.

Gazprom und Tatneft erschließen bereits sechs libysche Öl- und Gasvorkommen. Stroytransgas will sich an mehreren großen Infrastrukturprojekten beteiligen, darunter den Gasleitungen Brega - Khoms und Tobruk - Benghazi, während Technopromexport an einem Auftrag über den Bau von Überlandleitungen und Umspannwerken in Libyen interessiert ist. Die Russische Eisenbahnen AG, kurz RZD, verhandelt über eine Beteiligung an der Entwicklung des Bahnverkehrs in Libyen, insbesondere über den Bau einer Strecke zwischen Sirt und Benghazi. Auch andere Gesellschaften haben Projekte, auch wenn sie nicht an die Pläne von Gazprom heranreichen können.

So verkündete während des Besuchs der russischen Delegation in Tripolis Gazprom-Chef Alexej Miller mit, dass ein Joint Venture mit der Nationalen Erdölkorporation Libyens geplant ist. Das Unternehmen soll auf alle Richtungen in der Gas- und Erdölindustrie sowie der Stromwirtschaft tätig sein. Miller fügte noch hinzu, dass die Zusammenarbeit mit Libyen im Bereich von Flüssiggas für Gazprom von großem Interesse ist. Geprüft wird auch der Austausch von Aktiva mit dem italienischen Energiekonzern Eni, dem größten ausländischen Marktteilnehmer in Libyen.

Miller erinnerte daran, dass sich Eni an der Erschließung sehr großer Öl- und Gasvorkommen beteiligt. "In Anbetracht der Vereinbarungen, die zwischen Gazprom und Eni über den Austausch von Aktiva bestehen, rechnen wir mit Anteilen an diesen Projekten", sagte er.

Bewerkenswert ist übrigens, dass Noch-Präsident Putin unterwegs von Tripolis nach Moskau auf Sardinien ein Treffen mit Silvio Berlusconi, dessen Koalition bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Italien gesiegt hat, vorgesehen hat. Die engen Beziehungen zwischen der russischen und der italienischen Führung sind in vieler Hinsicht ein Unterpfand der sichere Tätigkeit von Gazprom in Libyen. Die Zusammenarbeit mit Eni und libyschen Unternehmen wird es den Russen ermöglichen, ihre Geschäfte in Libyen zu erweitern. Die wichtigsten Geschäftsrichtungen des Gasmonopolisten in diesem Land sind gegenwärtig Erkundung und Förderung. Doch der russische Gasriese ist auch daran interessiert, sich am Bau einer Gasleitung von Libyen nach Italien zu beteiligen sowie auf Märkte anderer afrikanischer Länder zu expandieren. So könne, sagte Miller, die Libya Africa Investment Portfolio zum Partner von Gazprom in der Region werden. Er fügte hinzu, dass Gazprom ferner am Bau der Gaspipeline Nigeria - Algerien - Europa Interesse hat.

Die Zeit wird lehren, ob die Pläne von Gazprom und anderen russischen Unternehmen in der Region in die Tat umgesetzt werden. Die in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen bei der Kooperation mit mehreren arabischen Ländern demonstrieren, dass man zu jeder Wendung der Ereignisse bereit sein muss, zumal hier eine starke Konkurrenz seitens sowohl des Westens als auch des Ostens besteht. Aber selbst wenn wir heute nur von Perspektiven sprechen, ist Putins Besuch in Tripolis in jedem Fall als erfolgreich zu betrachten. Nicht umsonst wurde darauf acht Jahre lang gewartet.

Die Ergebnisse der Verhandlungen in Tripolis sind eine Art Fazit der Moskauer Politik in der arabischen Welt in den vergangenen acht Jahren. Heute kann gesagt werden, dass Russland endgültig das Blatt der sowjetischen Hinterlassenschaft in den Beziehungen zur arabischen Welt gewendet hat. Das Bedauern über das Ende des einstigen Aufblühens der sowjetisch-arabischen Beziehungen sowie über die Fiaskos und versäumten Möglichkeiten der 90er Jahre, die Schulden und gegenseitigen Ansprüche - fast alles davon ist Vergangenheit. Eine auf Pragmatismus beruhende und entideologisierte Zusammenarbeit, nüchterne Kalkulationen statt des selbstsicheren Erfolgswahns: Das ist der neue Stil des Dialogs zwischen Moskau und der arabischen Welt.

Der Stil wurde in den vergangenen acht Jahren, in der Putin-Ära erarbeitet, und Russlands Weg dahin war nicht einfach. Hinter uns liegen die Lehren vom Irak: großartige Pläne, die in Verluste umgeschlagen sind, und neue Hoffnungen. Inzwischen hat die russische Unternehmenswelt weitere Golfstaaten für sich entdeckt. Besonders auffällig ist der Durchbruch in den russisch-saudischen Beziehungen und die allmähliche, wenn auch nicht immer störfreie Rückkehr auf die alten, noch von den Sowjet-Zeiten her bekannten Märkte von Ägypten, Syrien, Algerien und Libyen. Eine Rückkehr, bei der die Verbreitung der sozialistischen Ideen durch Gas- und Ölpipelines abgelöst wird.

Acht Jahre diplomatischer und wirtschaftlicher Schlachten waren nötig, um zurückzukommen und den Ländern des Großen Nahen Ostens zu beweisen, dass Russland ein würdiger und zuverlässiger Partner ist; acht Jahre, um die Verluste und Enttäuschungen als Folge des Zerfalls der UdSSR auszulöschen. Was bevorsteht, sind ein harter Kampf um die Märkte und möglicherweise neue Enttäuschungen. Aber jetzt ist Moskau darauf gefasst.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. April 2008



Stillschweigen über Waffenverträge mit Libyen

Von Nikita Petrow **

Der Besuch von Präsident Wladimir Putin in Libyen hat die Medien zu zahlreichen Berichten über die Verträge in der Erdöl- und Gasindustrie veranlasst.

Die Verträge betreffen insbesondere die Ausbeutung neuer Vorkommen, den Bau von Gasverflüssigungswerken und Erdölraffinerien sowie eines neuen E-Werks. In den Meldungen ist die Rede auch von den Plänen, die Eisenbahnstrecke Sirt - Benghazi an der Mittelmeerküste zu verlegen, womit sich die Russische Eisenbahnen AG (RZD) beschäftigen wird, von der Abschreibung der libyschen Schulden in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar und von anderen Handels- und Wirtschaftsabkommen. Nur ein einziges Thema wird eher ungenügend beleuchtet: die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, obwohl kurz vor Putins Libyen-Reise die Presse recht viel darüber geschrieben hatte. Was ist geschehen? Wurde etwa keiner der geplanten Verträge unterzeichnet?

Eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. Fangen wir damit an, dass die militärtechnische Zusammenarbeit Russlands mit anderen, erst recht arabischen Ländern stets vertraulich behandelt wird. Begreiflicherweise: Nicht alle Abnehmer von Russlands Rüstungen und Militärtechnik wünschen öffentliche Nachrichten über den Inhalt ihrer Verträge und die Menge der Waffen, die sie für ihre Armee kaufen. Der Kampf der größten Weltmächte um das Eindringen in die äußerst reichen arabischen Waffenmärkte, auf denen sofort mit Geld gezahlt wird, ist sehr stark. Auch die geringste Störung der Balance zugunsten beispielsweise von Moskau stößt immer auf wütenden Widerstand an allen politischen, wirtschaftlichen und Informationsfronten. Zugleich damit auch auf einen recht starken Druck. Nicht alle sind bereit, ihm zu widerstehen. Deshalb kommen solche Abmachungen in der Regel im Stillen oder, mal anders ausgedrückt, im Informationsvakuum zustande.

Libyen, das sowohl zu den USA als auch zu Großbritannien und anderen westlichen Ländern sehr komplizierte Beziehungen hat, ist da keine Ausnahme. Eher schon die Regel. Das Land, das vieljährigen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats ausgesetzt war und weder neue Waffen kaufen noch die in seinem Bestand vorhandene Rüstung modernisieren durfte, weiß sehr gut darum. Auch hat seine Führung die vor nicht so langer Zeit unternommenen Raketen- und Bombenschläge der US-amerikanischen Air Force, vor denen niemand Tripolis schützen konnte oder wollte, noch nicht vergessen. Die Libyer haben also keine große Lust, der ganzen Welt mitzuteilen, dass sie bei Russland Luftverteidigungssysteme oder Panzer und U-Boote mit Flügelraketen an Bord gekauft haben. Es sind ihnen deswegen keine Vorwürfe zu machen. Moskau seinerseits kann ebenfalls nicht gegen die Gentlemen's Agreements mit dem Partner im Waffenhandel verstoßen. Daher die kleine "Schweigeverschwörung".

Dennoch behaupten einige Experten, die mit der Situation in der militärtechnischen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern vertraut sind, dass während des Besuchs Putins einige Verträge zwischen dem libyschen Militär und dem russischen Waffenexporteur Rosoboronexport doch unterzeichnet wurden. In erster Linie betreffen sie die Modernisierung jener Kampftechnik, die Tripolis noch von der Sowjetunion oder Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre, ja sogar früher von Russland geliefert wurde. Dazu gehören die Fla-Raketenkomplexe S-125 "Petschora" und "Ossa-AKM", T-72-Panzer, Zerstörer und Patrouillenboote. Insgesamt für 300 Millionen Dollar.

Über den Kauf anderer, wohl gemerkt moderner Waffen wurden Absichtsmemoranden unterzeichnet. Es handelt sich um den Mehrzweck-Jäger Su-35, Fla-Raketenkomplexe S-300PMU2 "Favorit" und "Tor-M1", 50 T-90S-Panzer, ein Diesel-U-Boot des Projekts 636 und den Raketenwerfer "Grad". Wie es aus Kreisen der Waffeindustrie heißt, werde die Höhe der künftigen Verträge mindestens 2,3 Milliarden Dollar betragen.

Die Einigung über die gegenwärtigen und künftigen Waffenverträge bildete denn auch die Begründung für die "Abschreibung der libyschen Schulden gegenüber Russland in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar". Offizielle aus der russischen Delegation erläuterten nicht, zu welchen Bedingungen diese Schulden abgeschrieben wurden. Aber eine Untersuchung ähnlicher Praktiken, die in den Beziehungen zu Algerien Anwendung fanden, zeigt deutlich, dass Tripolis im Austausch gegen diesen Schuldenerlass die Verpflichtung übernommen hat, bei Russland "Erzeugnisse des Maschinenbaus" für den ganzen Betrag zu kaufen. Da der Bau der Bahnstrecke Sirt - Benghazi auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt wird, entfällt der Rest der "Erzeugnisse des Maschinenbaus" gerade auf die Waffen und die Militärtechnik. Auf jene, die modernisiert werden soll, und jene, über deren Kauf sich die Seiten erst geeinigt haben. Aber die restliche Schulden von einer Milliarde Dollar werden den Wert all der Waffen, die für die Zukunft geplant sind, sicherlich nicht decken. Der Preis soll noch präzisiert werden. Das gilt um so mehr, als die Verträge nicht nur für ein Jahr, sondern zumindest für fünf bis sieben Jahre angelegt sind.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich die logische Frage, ob Russland nicht sein Geld verliert, indem es Libyens Schulden, die recht ansehnlich ist, selbst gegen das Versprechen neuer Waffenverträge und der zivilen Bautätigkeit abschreibt. Lohnte es sich nicht eher, auf ihrer Tilgung zu bestehen und sie zu einer unerlässlichen Bedingung für den Abschluss neuer Verträge zu machen?

Fachleute antworten auf diese Frage eindeutig: Es ist sehr vorteilhaft, die Schulden zu den Bedingungen, die die russischen Unterhändler erreicht haben, abzuschreiben. Erstens besteht jetzt eine gewisse Garantie, dass unser Platz auf diesem Waffenmarkt nicht durch Konkurrenten eingenommen wird. Zweitens wird Tripolis an die russische Verteidigungsindustrie über Jahre hinaus "gebunden" sein, auch wenn dort eine andere Führung an die Macht kommen sollte.

Heute handelt Russland nicht mit einzelnen Modellen von Waffen und Kampftechnik, sondern mit deren Betriebszyklen. Das ist eine ganz andere Art von Geschäft. Die Waffenexporteure liefern dem Partner nicht einfach Panzer und Fla-Raketenkomplexe, sie verpflichten sich auch, ihre Betriebssicherung und effektive Kampffähigkeit im Laufe von mindestens 20 bis 30 Jahren aufrechtzuerhalten, das heißt, sie ständig zu modernisieren, zu warten, instandzusetzen und selbst durch neue, perfektionierte, aber analoge Modelle zu ersetzen. Das Beispiel mit den in Tripolis unterzeichneten Verträgen über die Modernisierung des noch gegen 1980 entwickelten und hergestellten Fla-Raketenkomplexes S-125 "Petschora" sowie des T-72-Panzers bestätigt dieses Prinzip.

Es kann angenommen werden, dass die russischen Waffenexporteure ein solches "im Stillen getätigtes Geschäft nach libyscher Art" auch auf andere Länder ausdehnen werden. Auf unserer Erde gibt es genügend Staaten, die zu den "Mächtigen dieser Welt" komplizierte Beziehungen haben, aber noch große Mengen der sowjetischen/russischen Militärtechnik besitzen, die Ersatz, Modernisierung sowie neue, nicht unbedingt hinausposaunte Lieferungen benötigt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 21. April 2008



Zurück zur Libyen-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage