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Rivalitäten um Regierungsbildung

Libysche Aufständische kommen mit Übergangskabinett nicht voran *

Eigentlich sollte die erste offizielle Übergangsregierung Libyens bereits am Sonntag (18. Sept.) vorgestellt werden. Doch Rivalitäten zwischen den Aufständischen aus den verschiedenen Städten des Landes behindern den Prozess.

Die Bildung einer Übergangsregierung in Libyen kommt nicht so recht voran, weil sich einige Gruppen übergangen fühlen. In Tripolis hieß es dazu am Montag, die Aufständischen aus der Stadt Misrata, von denen in den vergangenen Monaten besonders viele in den Kampf gegen die Truppen von Muammar al-Gaddafi gezogen waren, wollten den Ministerpräsidenten stellen. Sie hatten in den vergangenen Tagen Abdurrahman al-Suwaihly für das Amt des Regierungschefs vorgeschlagen. Suwaihily hatte sich in den vergangenen Monaten als lokaler Anführer der Rebellen hervorgetan.

Dies würde die Pläne von Mahmud Dschibril durchkreuzen, der bislang als Vorsitzender des sogenannten Exekutivrates so etwas wie ein Regierungschef war. Er hatte zuvor erklärt, die ursprünglich für Sonntag geplante Bildung der Regierung werde sich um einige Tage verzögern. Dschibril will in der ersten offiziellen Übergangsregierung angeblich sowohl Ministerpräsident sein als auch das Amt des Außenministers übernehmen.

Auch an den aktuellen Kämpfen um die Gaddafi-Hochburgen Sirte und Bani Walid sind vor allem Rebellen aus Misrata beteiligt. 34 verletzte Kämpfer aus Misrata kamen am Montag am Flughafen Kairo an. Sie sollen nach Informationen von Flughafenmitarbeitern in Ägypten medizinisch behandelt werden. Bislang ist es den Rebellen nicht gelungen, die Kontrolle in Bani Walid und Sirte zu übernehmen. Auch die Wüstenstadt Sebha im Süden wird noch von Gaddafi-Anhänger gehalten.

Die Kämpfer des Übergangsrates rechnen damit, Bani Walid bis Mittwoch (21. Sept.) einzunehmen. Die Kämpfer seien am Morgen in die rund 170 Kilometer südöstlich von Tripolis gelegene Stadt eingedrungen, hieß es.

Zu den Gruppen, die sich bei der Regierungsbildung bislang nicht ausreichend berücksichtigt fühlen, gehört offensichtlich auch die Muslimbruderschaft. Ein Sprecher der Islamistenbewegung sagte der Zeitung »Libya al-Yom«, bislang habe sich niemand vom Übergangsrat oder vom Exekutivrat offiziell an die Muslimbrüder gewandt, obwohl diese ebenso ein Teil der libyschen Gesellschaft seien wie andere Gruppierungen. Sprecher Suleiman Abdul Kader erklärte, die Regierungsmitglieder würden nach ihren Fähigkeiten ausgewählt. Im Übergangsrat, der von Mustafa Abdul Dschalil geleitet wird, seien dagegen die verschiedenen Regionen vertreten.

Es wird erwartet, dass sich die Bildung der Regierung bis zur Rückkehr Abdul Dschalils verzögern wird. Der Chef des Übergangsrates hält sich diese Woche bei den Vereinten Nationen in New York auf und führt auch Gespräche mit der US-Regierung.

* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2011


Krieg hat sich gelohnt

Total-Konzern freut sich auf die Ausbeutung libyscher Ölquellen

Von Karin Leukefeld *


Nachdem der UN-Sicherheitsrat nicht nur eingefrorene Gelder in Milliardenhöhe, sondern auch den libyschen Sitz in der Vollversammlung der Vereinten Nationen an die neuen Machthaber in Tripolis übergeben hat, wurde am Sonntag die Bildung einer Übergangsregierung für Libyen durch internen Streit im Nationalen Übergangsrat (NTC) verhindert. Einige Personen seien mit der vorgeschlagenen Postenvergabe nicht einverstanden gewesen, erklärte der Vorsitzende des Rates, Mahmud Dschibril in Bengasi. Der Plan sah vor, Vertreter aus allen Teilen des Landes einzubeziehen, auch aus denjenigen, in denen noch gegen die neuen Machthaber Widerstand geleistet wird.

Die Kämpfe um die Hafenstadt Sirte und den Wüstenort Bani Walid dauern weiter an. Am Sonntag (18. Sept.) meldete sich ein Sprecher Muammar Al-Ghaddafis im syrischen Fernsehsender Arrai zu Wort. Man habe 17 Ausländer in Bani Walid festgenommen, die auf der Seite der NTC-Rebellen gekämpft hätten. Es handele sich um Franzosen, Briten und eine Person aus Katar. Es seien »technische Experten« und »beratende Offiziere«, sagte der Ghaddafi-Sprecher. Vertreter der NATO, Frankreichs und Großbritanniens hatten am Samstag einen Arrai-Bericht dementiert, wonach einige Nato-Soldaten von Ghaddafi-Kämpfern gefangengenommen wurden.

Der französische Total-Konzern freut sich derweil auf die Ausbeutung der libyschen Ölquellen. Konzernchef Christophe de Margerie sagte in einem Interview mit dem Handelsblatt, man sei bereits wieder vor Ort und gehe davon aus, daß die Förderanlagen unbeschädigt seien. Die »libyschen Autoritäten« wünschten eine rasche Wiederaufnahme der Ausbeutung, »denn Fördereinnahmen sind wichtig für den Wiederaufbau«. Total wolle das Geschäft mit Flüssiggas vorantreiben und der nationalen Gesellschaft helfen, »ihre Öl- und Gasreserven aggressiver und strukturierter zu erschließen«. Unter der alten Regierung »war ein Großteil der Reserven dem Zugriff ausländischer Gesellschaften entzogen«, so de Margerie. Total habe den neuen Machthabern eine umfassende industrielle Partnerschaft angeboten, »die Antwort ist positiv«.

Der französische Rechtsanwalt Jacques Verges hat angekündigt, Präsident Nicolas Sarkozy wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zu belangen. Verges warf der NATO vor, bei ihren Bombenangriffen in Libyen Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt zu haben

** Aus: junge Welt, 20. September 2011


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