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NATO kann es Rebellen nicht recht machen

Libysche Insurgenten rügen Pakt-Strategie / Russland warnt vor direkter Militärhilfe *

Die Gegner des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi haben die Strategie der NATO in dem Konflikt scharf kritisiert. Der Pakt, so hieß es, bombardiere oftmals zu spät und gehe nicht entschieden genug vor,

»Leider hat uns die NATO bisher enttäuscht«, sagte der Militärführer der Rebellen, General Abdulfattah Junis, auf einer Pressekonferenz in der ostlibyschen Metropole Bengasi. Die NATO bombardiere oftmals zu spät und gehe nicht entschieden genug vor. Von einem Kontakt der Rebellen zur NATO bis zum Luftangriff dauere es bis zu acht Stunden. »Wird dann der betreffende Gaddafi-Trupp auf seinem Vormarsch warten, bis er aus der Luft bombardiert wird? Natürlich nicht!«, ereiferte sich Junis. »Bedauerlicherweise lässt uns die NATO hängen.«

Ein Offizieller des Bündnisses, der namentlich nicht genannt werden wollte, widersprach dieser Darstellung. »Die Intensität der NATO-Operationen lässt nicht nach«, sagte er. Seit der Übernahme des Kommandos über die Luftoperationen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen am Donnerstag vor einer Woche (31. März) habe das Bündnis 400 Kampfeinsätze geflogen, hieß es.

Bereits zuvor hatte die NATO-Führung darauf hingewiesen, dass gezielte Luftangriffe, etwa bei der von Gaddafi-Truppen belagerten Stadt Misurata, Piloten und Einsatzplaner vor größte Probleme stellten. Gaddafi missbrauche inzwischen die Zivilbevölkerung als »Schutzschild«, um schwere Waffen wie Panzer und Schützenpanzer vor Angriffen zu schützen.

Unterdessen hat die NATO den Bewohnern der umkämpften Stadt Misrata am Mittwoch ihre Unterstützung zugesichert. Eine NATO-Sprecherin bezeichnete den Schutz der Bevölkerung in Misrata als »oberste Priorität« der Militärallianz. Die britische Luftwaffe bombardierte nach Angaben des Verteidigungsministeriums sechs gepanzerte Fahrzeuge und sechs Panzer der Gaddafi-Truppen im Gebiet von Misrata und Sirte.

Russland hat die NATO vor einer direkten Militärhilfe an die Rebellen gewarnt. »Das wäre ein Bruch der UN-Resolution«, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch in Moskau. Der Beschluss des Sicherheitsrates erlaube nicht automatisch eine »Einmischung in den Bürgerkrieg«, so Lawrow. Russlands Präsident Dmitri Medwedjew betonte erneut, dass Russland sich im Libyen-Konflikt nicht militärisch engagieren werde. »Wir werden an keinen Operationen teilnehmen und rufen alle Seiten zu Verhandlungen auf«, betonte er.

Die Aufständischen werfen der algerischen Regierung vor, sie habe Staatschef Gaddafi bei der Rekrutierung von Söldnern geholfen. Ein libyscher Unterstützer der Aufständischen, der in der Schweiz lebt, legte am Mittwoch eine Liste von Flügen ohne Flugnummer vor, mit denen vom 18. bis 20. Februar – in den Tagen des Aufstandes – Söldner verschiedener Nationalitäten nach Libyen gebracht worden sein sollen.

Gaddafi hat erstmals seit Beginn der Luftangriffe offiziell den Kontakt zu US-Präsident Barack Obama gesucht. Die staatliche libysche Nachrichtenagentur Jana meldete am Mittwoch, er habe eine Botschaft an Obama geschickt. Zum Inhalt dieses Briefes machte die Agentur keine Angaben.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2011


Schuld sind immer die anderen

Ghaddafi-Gegner in Libyen fühlen sich von NATO, Algerien und Türkei im Stich gelassen **

Während libysche Regierungstruppen die Aufständischen in dem nord­afrikanischen Land immer weiter zurückdrängen, machen diese dafür ihre Verbündeten und neutrale Regierungen verantwortlich. Am Mittwoch mußten sich die Aufständischen vollständig aus dem Ölhafen Al-Brega zurückziehen, während der Militärführer der Rebellen, Abdulfattah Junis, am Dienstag abend (5. Apr.) im ostlibyschen Bengasi der NATO vorwarf, sie nicht ausreichend zu unterstützen. Die Allianz bombardiere oftmals zu spät und gehe nicht entschieden genug vor. Das westliche Militärbündnis wies die Vorwürfe zurück. NATO-Kampfjets hätten seit dem Beginn der Intervention 400 Kampfeinsätze in Libyen geflogen, hieß es am Mittwoch in Brüssel.

Offenbar als Reaktion auf die Forderung der algerischen Regierung nach einem Waffenstillstand im benachbarten Libyen haben die Rebellen Algier vorgeworfen, es habe Staatschef Ghaddafi bei der Rekrutierung von Söldnern geholfen. Die Algerier hätten sowohl Flugzeuge der Luftwaffe als auch der staatlichen Fluggesellschaft eingesetzt, um Kämpfer nach Libyen zu transportieren, hieß es.

Auch auf die Türkei sind die Aufständischen sauer und verweigerten im Hafen von Bengasi einem türkischen Schiff mit Hilfsgütern, dort anzulegen, bestätigte die Sprecherin des selbsternannten libyschen Übergangsrates, Iman Bugaighis, am Mittwoch. Zuvor hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor Waffenlieferungen an die Rebellen gewarnt. Zudem hatte die türkische Marine ein Schiff der Aufständischen auf dem Weg in die umkämpfte Stadt Misurata gestoppt und zur Umkehr gezwungen.

Kritische Daimler-Aktionäre haben dem Konzern unterdessen vorgeworfen, doppelt an dem Krieg in Libyen zu verdienen. Die Daimler AG habe Rüstung sowohl an die Armee von Ghaddafi wie an die Truppen der sogenannten »Koalition der Willigen« geliefert, sagte der Sprecher der Gruppe, Paul Russmann. (dpa/PL/jW)

** Aus: junge Welt, 7. April 2011


Ghaddafi soll Reformen anführen

Libysche Regierung zu Zugeständnissen bereit. NATO setzt Luftangriffe fort ***

Ungeachtet aller diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Krieges in Libyen hat die NATO auch am Dienstag (5. Apr.) wieder Angriffe geflogen. Wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete, attackierten Kampfjets etwa 30 Kilometer östlich des umkämpften Ölhafens Brega zwei Kleinlastwagen mit Soldaten. Die USA haben unterdessen in der Nacht zum Dienstag wie angekündigt ihre Beteiligung an dem Einsatz vorerst beendet.

Die Türkei hat die libysche Regierung Zeitungsberichten zufolge aufgefordert, mit einem Rücktritt von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi den Weg für eine Lösung des Konflikts frei zu machen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte in Ankara mit seinem libyschen Amtskollegen Abdelati Laa­bidi über einen Waffenstillstand in Libyen gesprochen und will dieses Thema in den kommenden Tagen mit Vertretern der Aufständischen erörtern, die ebenfalls in der türkischen Hauptstadt erwartet werden.

Die libysche Regierung hat sich derweil zu politischen Reformen bereiterklärt, zugleich jedoch die ausländische Verletzung der libyschen Souveränität verurteilt. Weiter beharrt Tripolis auf einer Führungsrolle von Ghaddafi, der ein Garant für die Sicherheit des Landes sei. »Wir können jedes politische System haben, jede Veränderung der Verfassung, Wahlen, ein Referendum. Aber der Führer muß sie leiten«, sagte Regierungssprecher Moussa Ibrahim am Dienstag im staatlichen Fernsehen. Zugleich bestritt er, daß die Regierungstruppen Zivilisten angriffen: »Wir kämpfen gegen bewaffnete Milizen, und wer bewaffnet ist, ist kein Zivilist.«

Die Aufständischen in Bengasi machen unterdessen einen Abzug der Regierungstruppen aus Misurata und anderen umkämpften Städten zur Bedingung für einen Waffenstillstand. Außerdem müsse die Ghaddafi-Familie Libyen verlassen.

(AFP/PL/dpa/jW)

*** Aus: junge Welt, 6. April 2011


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