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Fremdbestimmung

Libyen: Westen vollzieht Regimewechsel

Von Werner Pirker *

Hätte die Absicht der Libyen-Kontaktgruppe bei ihren Beratungen in Istanbul tatsächlich darin bestanden, eine politische Lösung zu suchen, dann wäre eine solche von ihr selbst zunichte gemacht worden. Die Anerkennung des Übergangsrates von Bengasi als legitime Regierung Libyens, verbunden mit der öffentlich ausgesprochenen Delegitimierung der bestehenden Regierung, ist keine Friedensgeste, sondern eine verspätete Kriegserklärung. Wundern sollte es nicht. Denn was sich da als Libyen-Kontaktgruppe in Szene setzt, sind die Länder, die am Krieg gegen Libyen beteiligt sind, der politische Ausdruck der militärischen Aggressionsgemeinschaft somit. Und die hat bisher alle Vorschläge der legitimen libyschen Staatsmacht zu einer friedlichen Lösung des Konflikts kaltschnäuzig ausgeschlagen.

Darunter auch das Angebot des Ghaddafi-Lagers, sich als Machtregime zurückzunehmen und einem – international überwachten – Parteienwettbewerb zu stellen. Denn die Demokratie, die die Herren von Bengasi meinen, ist eine, aus der eines der beiden Lager der libyschen Gesellschaft dauerhaft ausgeschlossen bleibt. So ticken sie nun einmal, die CIA-gesteuerten »Demokratiebewegungen«. Aus US-Kreisen ist zu hören, daß Washington seine Beziehungen zum Übergangsrat verstärken wolle, sobald dieser einen Plan für eine demokratische und umfassende Regierung vorgelegt habe. Da wird man lange warten können. Noch hoffnungsloser dürfte es um die westliche Forderung nach einer Übergangsregierung bestellt sein, die das gesamte Spektrum der libyschen Gesellschaft umfassen solle. Mit den »Ghaddafi-Schergen« sei kein gemeinsamer Staat zu machen, wird es aus dem Rebellenlager tönen. Sie seien deshalb aus der Gesellschaft auszuschließen. Und nachdem die westlichen Kriegspropagandisten selbst die wüstesten Meldungen über die Tataren der Wüste in die Welt gesetzt haben, werden sie dem schwer widersprechen können.

Dennoch erstaunt es, welches Selbstbewußtsein die militärisch nicht gerade erfolgsverwöhnten Aufständischen an den Tag legen, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihre Unfähigkeit, sich aus eigener Kraft durchzusetzen, mit immer größeren westlichen Zuwendungen honoriert sehen wollen. Die sich als Herren des Geschehens aufspielenden Kostgänger der Invasion wissen um die prekäre Situation der Kriegsallianz, die sich eine weitere Niederlage nicht mehr leisten kann. Und schon gar nicht in der in Aufruhr geratenen arabischen Welt. In Libyen soll der fremdbestimmte Gegenbeweis zur erwachenden arabischen Selbstbestimmung erbracht werden.

Die Entscheidung zur Anerkennung des Bengasi-Regimes bei gleichzeitiger Nichtanerkennung der völkerrechtlich legitimierten libyschen Staatsmacht stellt eine neue Stufe der Eskalation im imperialistischen Ordnungskrieg gegen die Staatensouveränität dar. Es ist zu hoffen, daß die arabische Revolution eine Antwort auf diesen illegalen Regimewechsel findet.

* Aus: junge Welt, 16. Juli 2011


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