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Moskau thematisiert Gaddafi-Rücktritt

Machtverzicht bei Gesprächen in Russland erörtert / Angeblich Rebellentrupps in Tripolis *

Ein möglicher Machtverzicht Gaddafis war Thema beim Besuch des libyschen Außenministers in Moskau. Derweil lehnt Libyens Staatschef Gespräche mit den Gegnern seiner Regierung weiter kategorisch ab.

Beim Besuch des libyschen Außenministers in Moskau diese Woche ist nach Angaben aus dem russischen Außenministerium »konkret« über einen Machtverzicht Muammar al-Gaddafis gesprochen worden. Wie die russische Nachrichtenagentur Interfax am Freitag (22. Juli) unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Vertreter des Außenministeriums berichtete, war das Thema am Mittwoch Gegenstand der Diskussionen zwischen Abdelati al-Obeidi und seinem Kollegen Sergej Lawrow – »auch im Licht der bereits aufgenommenen Kontakte zwischen Tripolis' Vertretern und den Amerikanern und Franzosen«. Obeidi hatte nach dem Treffen gesagt, ein Rückzug Gaddafis stehe nicht zur Debatte.

Russland hält Kontakt sowohl zu Vertretern des libyschen Staatschefs als auch zu den für seinen Sturz kämpfenden Rebellen. Eine Anerkennung des Nationalen Übergangsrates der Aufständischen als legitime Vertretung des libyschen Volkes lehnt Moskau im Gegensatz zu zahlreichen westlichen Ländern aber ab.

Gaddafi schließt Gespräche mit den Gegnern seiner Regierung weiter kategorisch aus. »Bis zum Jüngsten Tag wird es keine Verhandlungen mit ihnen geben«, sagte er in einer Audio-Botschaft, die in der Nacht zum Freitag vom staatlichen libyschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Zugleich forderte er die Stämme in der von den Aufständischen kontrollierten Großstadt Misrata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, dazu auf, diese zu »befreien«. »Diese Farce sollte beendet werden. Es ist eine Schande, dass ihr sie akzeptiert.«

Indes vermeldeten die Aufständischen westlich von Misrata Fortschritte. Bei Dafnija, zwischen Misrata und der Gaddafi-Hochburg Slitan gelegen, rückten sie vier Kilometer in Richtung Slitan vor, berichtete der Nachrichtensender Al-Dschasira am Freitag (22. Juli). An diesem Frontabschnitt nahmen sie außerdem einen hohen Kommandeur der Gaddafi-Truppen gefangen. General Abdul Nabi Sajid sei dabei leicht verletzt worden und werde demnächst vernommen. Wie der Sender weiter meldete, soll es bewaffneten Aufständischen in der Hauptstadt Tripolis gelungen sein, einen Angriff auf ein Gebäude zu beginnen, in dem hochrangige Funktionäre zu einer Beratung zusammengekommen waren. Angeb-lich haben die Aufständischen Einsatzkommandos nach Tripolis eingeschleust. »Das sind kleine Gruppen, gute Kämpfer, ausgebildet in Bengasi«, sagte der Rebellen-Befehlshaber Fausi Bukatif am Donnerstag in der Küstenstadt Bengasi, der Hochburg der Aufständischen. »Wir haben sie mit Waffen und Granaten ausgerüstet.« Zudem kursierten Gerüchte, Aufständische in Tripolis hätten versucht, Angehörige der Führung um Gaddafi zu töten.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011


Russland ratlos

Von Roland Etzel **

Wenn ein libyscher Außenminister in dieser Zeit, da sich sein Land im Kriege befindet, Verhandlungen in Moskau führt, beansprucht das normalerweise Aufmerksamkeit. Doch hat Russland tatsächlich einen neuen Akzent in der verfahrenen Libyen-Situation setzen können? Die Antwort geht in Richtung eines Neins. Weder gibt es einen erkennbaren Vermittlungsansatz noch eine Aufforderung zur Waffenruhe. Und die Beteiligung an der Suche nach einem Exil für Gaddafi, um das der Betroffene nicht einmal gebeten hat, kann schon gar nicht in Moskaus Interesse liegen. Man würde damit lediglich einen Wunsch des Westens erfüllen.

Russland laviert, scheint ratlos. Einerseits möchte es einstige gute Beziehungen zur afrikanischen Welt nach deren Vernachlässigung in der Jelzin-Zeit reanimieren. Bemühungen, als neutraler Mittler einen Krieg in Afrika beenden zu helfen, sind dafür nicht die schlechteste Empfehlung. Andererseits ist die Neutralität Russlands in diesem Falle nicht sehr belastbar. Als Vetomacht war seine Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat im März faktisch ein Ja zur Legitimierung des Luftkrieges gegen Libyen – ein Land, zu dem man jahrzehntelang exzellente Beziehungen pflegte. Nicht nur in Afrika riecht das ein bisschen nach schnödem Verrat.

Wohl um diesen Eindruck zu zerstreuen, hat sich Moskau mehrfach beschwert, die NATO überschreite die Befugnisse des UN-Mandats. Doch solange man im Rat nicht wenigstens um eine Überprüfung nachsucht, haben derartige Einlassungen nicht mehr als Alibicharakter. Alle Gesten der Geschäftigkeit mögen darauf hinweisen, dass Russland in Libyen Interessen hat – ein Konzept für den Konflikt hat es nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011


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