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Ein Waffendeal mit ausgefrästen Nummern

Strafanzeigen wegen Lieferung deutscher G36-Sturmgewehre nach Libyen – Untersuchungsausschuss droht

Von René Heilig *

In Libyen sind G36-Sturmgewehre der deutschen Firma Heckler & Koch (H & K) aufgetaucht. Sie sollen illegal ans Gaddafi-Regime geliefert worden sein. Hat Deutschland sich etwas vorzuwerfen? »Nach allem, was ich weiß, nein«, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) gestern.

Es könnte sein, dass de Maizière demnächst vor einem Staatsanwalt sagen muss, was er weiß. Denn die rüstungskritische »Aktion Aufschrei« hat Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Stuttgart gestellt. Verdacht: Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll-, gegen das Außenwirtschaftsgesetz sowie wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. H & K betont, es »gab zu keinem Zeitpunkt G36-Lieferungen nach Libyen durch die Heckler & Koch GmbH oder ihr verbundene Unternehmen und Organisationen«. Und als ob man eigene Unschuld untermauern will, stellte H & K gleichfalls Strafanzeige. Gegen unbekannt. Die Rottweiler Ermittler gaben den Fall eiligst an die Stuttgarter Kollegen ab.

Unschuld bekundet auch das Bundeswirtschaftsministerium. Es habe selbstverständlich keinen Antrag zur Lieferung von Sturmgewehren nach Libyen gestattet. Denn, zum Zeitpunkt, als die Waffen – damals gewiss fabrikneu – vom Beschussamt Ulm geprüft worden sind – das war 2003 –, schrieb die Bundesregierung in die jährlichen Rüstungsexportberichte: »Die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg hat gezeigt, dass in vielen kriegerischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen die weitaus meisten Opfer durch den Einsatz von Kleinwaffen und leichten Waffen (z. B. Maschinenpistolen, Sturmgewehre, leichte Mörser, u. ä.) und dazugehöriger Munition verursacht werden.« Daher setze man sich »auf internationaler Ebene ... für eine effiziente Verhinderung der illegalen Verbreitung dieser Waffen ein. Hinsichtlich der legalen Ausfuhr von Kleinwaffen befürwortet sie strikte und effiziente Kontrollen.«

Auf nationaler Ebene verfolgte Deutschland eine »restriktive Exportkontrollpolitik für Kleinwaffen«. Sie unterliegen besonders strengen Regelungen. Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen in Drittländer sind nur ausnahmsweise und aus besonderen Gründen gestattet. Kurzum: Eigentlich kann es keine G36 in Libyen geben. Doch da sind sie, brandneu zumeist, hergestellt in Oberndorf (Baden-Württemberg. Es wäre ein Leichtes – beispielsweise für den Zoll im Rahmen einer Außenwirtschaftsprüfung – zum Hersteller zu gehen und in von diesem gesetzlich zu führenden Waffenbuch hinter den Waffennummern Empfänger und Endverwerter der Sturmgewehre zu ermitteln.

Doch so klug waren der oder die Dealer auch. Nach Ganovenart frästen sie die ursprünglichen Nummern raus. Statt der üblichen achtstelligen Ziffernfolge brachte man beispielsweise die Registriernummer A-231 an. Nach Fragen von ND unter anderem zu den Waffennummern wurde dem Tübinger Regierungspräsidium ein Maulkorb verpasst – von der Staatsanwaltschaft Stuttgart, die noch immer nur ein »Vorprüfungsverfahren« betreibt, »um zu ermitteln, ob es einen Anfangsverdacht für eine Straftat gibt«. In Ulm war man gerade noch so mutig, zu bestätigen, was durch den Prägestempel ohnehin bewiesen ist: Die Waffen wurden vom Beschussamt Ulm auf »Qualität und Maßhaltigkeit geprüft«. Daraus lasse sich nicht ableiten, ob die G36 für das In- oder das Ausland bestimmt waren.

A-321 – so eine Registrierung – ist den Fahndern des Zollkriminalamtes in Köln noch nicht untergekommen, hört man aus der taffen Behörde. Nachgeordnete Zöllner verweisen sofort an das Berliner Finanzministerium. Das sieht das Wirtschaftsressort in der Pflicht, das verspricht, sich – sobald es geht – mit den neuen libyschen Behörden ins Benehmen zu setzen.

Bleibt noch das Kanzleramt als Auskunftsstelle. Dort regierte vor Merkel SPD-Mann Gerhard Schröder. Der hatte mit Gaddafi geheime Ausbildungshilfe verabredet. 2004 bis 2008 drillten deutsche Polizisten (auch aus Baden-Württemberg) und Bundeswehrsoldaten libysche Kollegen, mit denen deutsche Dienste gut kooperierten. Sicher scheint, dass G36 zumindest seit 2005 im Besitz libyscher Sicherheitsdienste waren. Ein Augenzeuge, der sich bei den »Stuttgarter Nachrichten« meldete, will damals auch dem Verdacht nachgegangen sein, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) in die Lieferung verwickelt sein könnte. Er habe dafür aber »trotz intensiver Recherchen Mitte der 2000er Jahre vor Ort keinerlei Anzeichen« gefunden. Ablenkungsversuch oder Wahrheit?

Im Kanzleramt liegt möglicherweise der Schlüssel zur Aufklärung. Dort gibt es eine Abteilung 6. Die ist zuständig für den BND. Und so der nicht bereits über eigenes Wissen verfügt und weiß, wer die Waffen wann, wie, warum und für wen nach Libyen geschafft hat, könnten die Agenten sich um Antworten bemühen. Bevor es ein Bundestagsuntersuchungsausschuss tut. Denn es ist nicht nur für den ehemaligen UN-Waffeninspektor und heutigen Linksabgeordneten Jan van Aken denkbar, dass man so ein Gremium braucht.

* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2011


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