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Anschlag auf den Innenminister

In Libyen bekämpfen sich Regierung, Ghaddafi-Anhänger und Islamisten

Von Gerrit Hoekman *

Auf den libyschen Innenminister Seddik Abdel Karim ist am Mittwoch ein Attentat verübt worden. Auf dem Weg vom Ministerium zum Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Tripolis geriet der einflußreiche Politiker in einen Hinterhalt, als Unbekannte das Feuer auf seinen Wagen eröffneten. Abdel Karim blieb unverletzt. Es ist der zweite Anschlag innerhalb kurzer Zeit auf ein Regierungsmitglied des nordafrikanischen Landes: Vor zwei Wochen kam der stellvertretende Industrieminister Hassan Al-Droui in seiner Heimatstadt Sirt bei einem Anschlag ums Leben.

»Libysche Männer fürchten weder Kugeln, Bomben noch Raketen«, sagte ein martialisch aufgelegter Abdel Karim im libyschen Fernsehen, meldet die staatliche Nachrichtenagentur ­LANA. Die Regierung werde vor Kriminalität und Terrorismus nicht zurückweichen. Kein leichtes Unterfangen, denn gut zwei Jahre nach Muammar Al-Ghaddafis Tod versinkt der ölreiche Wüstenstaat im Chaos. Warlords teilen das Land unter sich auf. Schwerbewaffnete Rebellengruppen marodieren durch die Städte und terrorisieren die Bevölkerung. Beduinenstämme gehen aufeinander los, und militante Islamisten, die Al-Qaida nahestehen, verbreiten Terror.

Im Augenblick versuchen Anhänger des im Oktober 2011 gestürzten Ghaddafi das südlibysche Sebha zu erobern. Die Erben des Revolutionsführers sollen die Hunderttausend-Einwohner-Stadt seit Tagen mit Granaten und Raketen beschießen. Es habe mehrere Dutzend Tote gegeben, berichtet die BBC.

Der Schweizer Fernsehsender SRF meldet die Einnahme einer Militärbasis in der Nähe von Sebha durch Ghaddafi-Rebellen. Ministerpräsident Ali Seidan habe daraufhin den Ausnahmezustand über den Süden des Landes verhängt, wo außerdem seit langem verfeindete Stämme miteinander kämpfen. Die Regierung habe Armee-Einheiten in die Region geschickt, die aus verbündeten Milizionären bestehe.

Das Interesse der meisten deutschen Medien an Libyen geht unterdessen mittlerweile gegen null, obwohl dem Land nun dasselbe Schicksal droht wie dem Irak, Syrien und Afghanistan – Tod und Terror jahrelang. Beobachter befürchten, die Unruhen in Libyen könnten über kurz oder lang das gesamte Nordafrika destabilisieren. Nicht zu vergessen auch: Das Land gehörte bis zu Ghaddafis Sturz zu den größten Erdölexporteuren der Welt. Nun kämpfen die Regierung, die Milizen und die vielen Stämme um die Herrschaft über das wertvolle Schwarze Gold. Weil sie ein größeres Stück von den Exporteinnahmen wollen, blockieren bewaffnete Rebellen seit einem halben Jahr drei große Ölhäfen im Osten, berichtete die BBC. Die Menge des ausgeführten Rohöls habe sich seitdem mehr als halbiert.

Die neu aufgestellte libysche Armee hat den kampferprobten Rebellen wenig entgegenzusetzen, sie hat die Kontrolle über große Teile des Landes verloren. Überall im Land kommt es zu Scharmützeln, die sich oft zu tagelangen Gefechten entwickeln. Es kämpft jeder gegen jeden. Im Oktober starben in Tripolis mehr als 40 Menschen bei blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen und Bürgerwehren. »Autobomben und Attentate sind in Bengasi ein Teil des Alltags geworden«, berichtete die BBC aus der zweiten großen Metropole. Die Regierung habe versucht, die Rebellen mit staatlichen Jobs zu kaufen, doch die meisten seien weiterhin ihren Kommandanten gegenüber loyal.

Bei den radikalen Islamisten dürfte diese Taktik ohnehin nicht fruchten. Nach Medienberichten bereiten die Fundamentalisten gerade einen Angriff auf die Hafenstadt Derna vor, in deren Umland Al-Qaida Trainingscamps und Waffenlager errichtet haben soll.

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. Januar 2014


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