Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chaos statt Befreiung

Libyen weiter im Bürgerkrieg. Regierung erwägt Ruf nach Interventionstruppen

Knut Mellenthin *

Mit der Blockade aller internationalen Flughäfen durch Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen hat der libysche Bürgerkrieg eine neue Stufe erreicht. Der gesamte Luftverkehr über dem Land ist eingestellt. Die wichtigste Verbindung ins Ausland ist zur Zeit der Landweg nach Tunesien. Ein Regierungssprecher sagte am Montag, daß man ein Ersuchen um die Entsendung fremder Streitkräfte in Erwägung ziehe, um den Staat in die Lage zu versetzen, seine Bürger und seine Ressourcen zu schützen und um »das Chaos einzugrenzen«. Viel Bedeutung ist dieser Äußerung jedoch vorläufig nicht beizumessen, da Libyen seit Monaten keine allgemein anerkannte und respektierte Regierung hat. Es hat bisher auch noch niemand Bereitschaft gezeigt, in Libyen erneut militärisch zu intervenieren oder gar Bodentruppen dorthin zu schicken.

Besonders heftig umkämpft ist seit dem Wochenende der Flughafen der Hauptstadt Tripolis. Dort hatte sich gleich nach dem Sturz Muammar Al-Ghaddafis im Herbst 2011 eine Miliz festgesetzt, die mit der westlibyschen Stadt Sintan in Verbindung steht. Die Angreifer, die das Flughafengelände seit mehreren Tagen mit Artillerie und Raketenwerfern beschießen und schwere Zerstörungen verursacht haben, kommen unter anderem aus der Stadt Misurata und werden der islamistischen Miliz Ansar-Al-Scharia zugerechnet. Diese wird von der US-Regierung für den Überfall auf das amerikanische Konsulat in Bengasi am 11. September 2012 verantwortlich gemacht, bei dem mehrere US-Bürger, darunter auch Botschafter John Christopher Stevens, getötet wurden.

Die Sintan-Miliz, die zunächst hauptsächlich lokale und Stammesinteressen durchsetzen wollte, ist seit einigen Monaten mit Khalifa Haftar verbündet, der am 16. Mai gegen Regierung und Parlament putschte. Sein erklärtes Ziel ist die »Säuberung« Libyens »von allen Dschihadisten«. Der ehemalige General der Streitkräfte Ghaddafis wird von Teilen des Militärs unterstützt, hat sich aber trotzdem bisher nicht gegen die zahlreichen ihn bekämpfenden Milizen durchsetzen können. Sein Hauptquartier befindet sich in der Nähe der ostlibyschen Stadt Bengasi.

Haftar hatte 1987 mit Ghaddafi gebrochen und versucht, im Dienst der CIA im benachbarten Tschad eine Rebellenarmee aufzustellen. Nach einem Regierungswechsel im Gastland mußte der US-Auslandsgeheimdienst mehrere hundert seiner libyschen Söldner in die Vereinigten Staaten evakuieren. Haftar lebte dort rund zwanzig Jahre lang und wurde Staatsbürger der USA. Er kehrte erst im März 2011 kurz nach Beginn des Aufstands gegen die Regierung Ghaddafi nach Libyen zurück. Das State Department bestreitet, daß Haftar seinen Putsch mit der CIA zumindest koordiniert hat, und verweigerte zunächst jeden Kommentar zu den Vorgängen. Im Juni gab US-Botschafterin Deborah Jones schließlich zu, daß ihre Regierung Haftars Militäraktionen »gegen ganz spezielle Gruppen« selbstverständlich nicht verurteilt.

Der wichtigste politische Erfolg, den der Putschführer und seine Verbündeten bisher erreichen konnten, war die Auflösung des sogenannten Allgemeinen Nationalkongresses und die hastig angesetzte Neuwahl des Parlaments, das nun erstmals Abgeordnetenhaus heißen soll. Die Wahl fand am 25. Juni bei auffallend niedriger Beteiligung statt. Offiziell wird sie mit nur 18 Prozent angegeben. Bei der ersten Wahl nach dem Sturz Ghaddafis im Juli 2012 hatte sie 60 Prozent betragen. Viele Wahllokale blieben aus Sicherheitsgründen geschlossen. Daher müssen 16 der 200 Mandate durch Nachwahlen vergeben werden.

Mit der Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses wird nicht vor Sonntag gerechnet. Erstmals wurden die Abgeordnetensitze ausschließlich durch Direktwahl und nicht über Parteilisten vergeben. Daher dürfte es auch nach Vorliegen des Ergebnisses zunächst schwer fallen, sich ein Bild von der politischen Zusammensetzung des Parlaments zu machen. Allgemein wird jedoch erwartet, daß die Fundamentalisten schwächer als bisher vertreten sein werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


Zurück zur Libyen-Seite

Zur Libyen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage