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Libyen zwischen Krieg und Frieden

Islamisten lehnen den Dialog mit der gewählten Regierung ab / Anschläge auf politisch aktive Personen

Von Mirco Keilberth, Tripolis *

Der von der UNO vermittelte Dialog zur Beendigung des Machtkampfs in Libyen stößt auf Widerstand muslimischer Autoritäten. Ein Mufti hat sich gar mit einer Fatwa gegen die Gespräche gewandt.

Nach wochenlangen Auseinandersetzungen zwischen Milizen in Bengasi und Tripolis haben sich die libyschen Hauptkonfliktparteien diese Woche auf einen vorläufigen Waffenstillstand geeinigt. Bernardino Leon, Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Libyen, hatte 22 Vertreter der beiden konkurrierenden Regierungen dazu in die Stadt Ghadames im Dreiländereck Algerien/Libyen/Tunesien eingeladen. Der italienische Diplomat bezeichnete das Treffen der beiden Seiten als »historische Chance für die Rückkehr des Friedens nach Libyen«.

Während sich die im Juni demokratisch gewählte Regierung in die ostlibysche Hafenstadt Tobruk vor den islamistischen Milizen in Sicherheit gebracht hat, wird Tripolis von der sogenannten Fadschr(Morgendämmerung)-Allianz kontrolliert. Das Repräsentantenhaus in Tobruk ist die international anerkannte Vertretung, der Nationalkongress beherrscht indes ohne Mandat die Ministerien in der Hauptstadt.

Hintergrund des Konfliktes ist die Furcht des islamistischen Flügels des ehemaligen Übergangsparlamentes davor, in dem neu gewählten Repräsentantenhaus ohne Einfluss zu sein. Die Anführer des religiösen Widerstandes von 2011 gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi hätten die Abgeordneten quasi mit vorgehaltener Waffe immer wieder in ihrem Sinne beeinflusst. Nachdem bei den Wahlen im Juni aber mehrheitlich liberalere Kandidaten gewonnen hatten, sei die Hauptstadt von den Islamisten mit Waffengewalt unter ihre Kontrolle gebracht worden, erklärte mir Faradsch Abualescha, politischer Beobachter in Tripolis.

Wenige Tage später wurde er von einer Gruppe von Kriminellen aus einem Café in der Innenstadt von Tripolis entführt. »Sie sollten mich an eine extremistische Gruppe ausliefern, nur ein öffentlicher Aufschrei hat mir das Leben gerettet.« Mit einem seiner Bewacher habe er zu Zeiten Gaddafis als politischer Gefangener die Zelle geteilt, so der Schriftsteller. Während Abualescha mittlerweile freigelassen wurde, sitzen mehr als 30 Journalisten und andere politisch aktive Personen weiterhin in geheimen Milizengefängnissen.

In Bengasi geht derweil die Anschlagswelle weiter. Alleine am »schwarzen Freitag« vor zwei Wochen starben 13 Menschen, darunter der landesweit bekannte 18-jährige Jungpolitiker Taufik Binsaud. »Niemand kann unsere Offensive gegen die letzten Gaddafi-Anhänger stoppen«, drohte am Dienstag ein Sprecher der Fadschr-Allianz den internationalen Vermittlern.

Die hauptsächlich aus Misrata stammenden Fadschr-Kommandeure werfen den Vereinten Nationen vor, im Mai nicht gegen die Offensive des ehemaligen Generals Chalifa Haftar vorgegangen zu sein. Zusammen mit der libyschen Luftwaffe bekämpft Haftar die islamistische Miliz »Ansar al-Scharia« und erhält dafür Unterstützung von der ägyptischen Armee. Auch ein libyscher Geistlicher fordert die Suspendierung der Gespräche zwischen Tobruk und Tripolis. »Niemand hat das Recht, mit dem Repräsentantenhaus zu sprechen, dort wurde mit Prinzipien des Islams gebrochen«, so der wegen seiner Nähe zu den Islamisten umstrittene Mufti. Seit er mit Fatwas gegen Kreditkarten und den gemeinsamen Schulunterricht von Jungen und Mädchen vorgeht, ist seine Absetzung für die Mehrheit der Abgeordneten beschlossene Sache. Unter Fatwa versteht man eine autorisierte islamische Rechtsauskunft, an die sich Gläubige zu halten zu haben. Nun hat Mufti Scheich Sadik al-Ghirjani sogar mittels einer Fatwa zur Beendigung der Vermittlungsgespräche aufgerufen, berichtete die Nachrichtenseite Al-Wasat am Dienstag. Er forderte die Vereinten Nationen auf, das Urteil des Verfassungsgerichtes abzuwarten, das am Montag über die Rechtmäßigkeit der Machtübergabe an das Repräsentantenhaus entscheiden soll.

Nach der Rückkehr von Dschihadistengruppen aus Mali und Syrien nach Libyen hat Algerien in den letzten Wochen 12 000 Soldaten an die gemeinsame Grenze geschickt.

Aus Armeekreisen wurde bekannt, dass mehr als 200 Syrer bei dem Versuch festgesetzt wurden, nördlich der Oase Ghat von Algerien nach Libyen zu gelangen. Angeblich handelte es sich um bewaffnete Kämpfer, die zu einem nahe gelegenen Ort wollten, wo sich Camps für die militärische Ausbildung befinden sollen. Im Süden Libyens liegen gewaltige Vorräte an Gas und Öl, aber auch Wasser, um deren Kontrolle es im Krieg zwischen Tobruk und Tripolis am Ende geht. Nachdem Vertreter der Fadschr-Allianz aus Misrata vergeblich um Gunst der libyschen Tuareg warben, griffen Angehörige dieses Berbervolkes aus Mali die Minderheit der Tobu in Ghat an, die dort Ölanlagen bewachen und mit Tobruk verbündet sind.

Angesichts der Rückkehr der Islamisten nach Südlibyen drohte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian mit einer Militäraktion. Unweit der Grenze fördert der französische Areva-Konzern Uran für seine Atomkraftwerke.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Oktober 2014


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