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Madagaskars Rivalen unter Zeitdruck

Präsident und Expräsident sollen Plan für Wahlen vorlegen

Von Johannes Stein *

Madagaskar kommt seit dem Militärputsch 2009 nicht zur Ruhe. Nun trafen sich der amtierende Präsident Andry Rajoelina und sein damals gestürzter Vorgänger Marc Ravalomanana auf den Seychellen zum Schlichtungsgespräch.

Fluchtpunkt Seychellen. Auf Descroches, einer Insel des nördlich von Madagaskar gelegenen Archipels, wollten die madagassischen Streithähne Andry Rajoelina und Marc Ravalomanana nahe der Heimat unter Vermittlung des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden. Insbesondere geht es darum, das bereits im September 2011 beschlossene Abkommen über Wahlen mit Leben zu erfüllen.

Rajoelina, Offizierssohn und früherer Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, der mit Nachtklubs reich wurde, steht seit dem Putsch im Februar 2009 an der Spitze einer Übergangsregierung. Die tiefe politische und soziale Krise bekam er indes nicht in den Griff. Sein Kontrahent und Vorgänger Ravalomanana wurde infolge der Ermordung von mehr als 30 Menschen bei den Demonstrationen im Februar 2009 durch die Nationalgarde gestürzt und ins südafrikanische Exil getrieben. 2010 wurde er in Abwesenheit zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Trotz des von beiden Seiten 2011 ausgehandelten politischen Fahrplans für die Insel, in der unter anderem die Rückkehr aller politischen Flüchtlinge eingeräumt wird, gelang es dem Expräsidenten Ravalomanana im Februar nicht zurückzukehren, weil Rajoelina die Sperrung aller Flughäfen veranlasste. Das heizte die Stimmung zwischen den beiden Parteien weiter auf.

Seit dem Regierungswechsel kam es bereits häufiger zu neuen Putschversuchen, zuletzt als am Sonntag vor acht Tagen meuternde Soldaten gewaltsam eine Militärbasis bei Ivato, dem größten Flughafen des Landes in der Nähe der Hauptstadt, stürmten. Dabei wurden neben dem Anführer der Aufständischen, Koto Mainty, drei weitere Kämpfer von Regierungstruppen getötet und vier andere verletzt. Der Rest der Truppe ergab sich und wurde anschließend verhaftet. Mainty war einst Leibwächter des Verteidigungsministers der Übergangsregierung, Noel Rakotonandrasana, der 2010 selbst aufgrund eines Putschversuches verhaftet wurde.

Die Instabilität des Landes greift schon länger um sich. Auch in den Provinzen nimmt die Kriminalität zu. Neben den immer häufiger werdenden Überfällen auf die »Buschtaxis« bei den Überlandfahrten wurden im südlich gelegenen Ort Befotaka Anfang Juni 18 Soldaten und Polizisten getötet und mindestens vier verletzt, als sie versuchten, die Hochburg der »Dahalo« genannten Viehdiebe einzunehmen, die bereits mehrere tausend Zebu-Rinder erbeutet und sich in einigen Regionen zu einer Art Guerilla organisiert haben. Aufgrund der Gefechte flüchteten etwa 1800 Menschen der Region in deren Hauptstadt Tolanaro.

»Es wird ein weiteres Treffen in einigen Tagen geben«, verkündete Rajoelina gegenüber Reportern. Ihm zufolge fanden bereits zwei Treffen statt, doch ein Übereinkommen sei nicht ausgehandelt worden, auch weil Rajoelina keine Entscheidungen treffen wollte, die eine neuerliche Destabilisierung des Landes zur Folge haben könnten.

»Die Rückkehr zu Stabilität in Madagaskar ist sehr wichtig für alle Länder des südlichen und westlichen Afrika sowie die Seychellen «, verkündete James Michel, der als Präsident der Seychellen ebenfalls an dem Treffen teilnahm. Er warnte davor, dass die extreme Armut auf der Insel zu einer »sozialen Katastrophe« führen kann. Die 15 Mitglieder der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft setzten den beiden Kontrahenten eine Frist bis Ende des Monats, um ihren Konflikt beizulegen und einen Zeitplan für Wahlen vorzulegen. Offen ist, ob Rajoelina und Ravalomanana selbst kandidieren werden oder Platz für neue Kandidaten machen. Nach einem Aufschwung sehnen sich die knapp 22 Millionen Bewohner Madagaskars, von denen laut UNO 76,5 Prozent unter der Armutsgrenze leben.

* Aus: neues deutschland, Montagtag, 30. Juli 2012


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