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In Madagaskar fehlt es an sauberem Wasser

Mit Hilfe der afrikanischen Entwicklungsbank und der EU baut Regierung die Sanitärversorgung aus

Von Fanja Saholiarisoa, Antananarivo *

Zwei Drittel der auf dem Land lebenden Madagassen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Mit internationaler Unterstützung wird nun versucht, die prekäre Situation zu mildern.

Für viele Menschen in Tsaramasay-Ankazomanga, einem Armenviertel der madagassischen Hauptstadt Antananarivo, ist die Nacht um fünf Uhr zu Ende. Dann wird die einzige öffentliche Wasserzapfstelle des Quartiers aufgedreht. Wer hier den Zehnlitereimer mit seiner Tagesration Trinkwasser noch vor Arbeitsbeginn füllen will, muss früh aufstehen, denn die Warteschlange ist lang. Wasser gibt es hier nur stundenweise, morgens zwischen fünf und acht Uhr, mittags von zwölf bis 14 Uhr und am frühen Abend zwischen 17 und 18.30 Uhr.

Wer die Öffnungszeiten verpasst, geht leer aus. Der Straßenhändler Rasojarison beispielsweise ist den ganzen Tag über unterwegs und kommt häufig zu spät zur Zapfstelle. »Unsere Familie hat alle Mühe, sich an die vom Quartierchef festgelegten Öffnungszeiten zu halten«, klagt er. »Obwohl wir für die Benutzung der öffentlichen Trinkwasserstelle monatlich 500 Ariary (0,20 Euro) bezahlen, gehen wir oft leer aus.« Frühmorgens schleppt er zwei Eimer Wasser nach Hause. Falls er mehr braucht, ist er auf die Unterstützung der Nachbarn angewiesen oder muss Wasser kaufen.

Nicht nur in Madagaskars Hauptstadt ist Trinkwasser knapp. In den städtischen Gebieten der 587 000 Quadratkilometer großen Insel vor der südostafrikanischen Küste haben nach offiziellen Angaben zwei Drittel der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser, in ländlichen Regionen sind es nur 14 Prozent. Der »Sechste Kontinent«, wie das Tropeneiland mit seinen rund 19,4 Millionen Einwohnern gern genannt wird, gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt.

Ohne internationale Finanzhilfen lassen sich hier weder die Wasserversorgung verbessern noch Sanitärsysteme aufbauen. Auch die in seinem Viertel mit 4000 Einwohnern fehlende sanitäre Infrastruktur stellt Rasojarison und seine Familie vor große Probleme. »Für eine eigene Latrine reicht unser Geld nicht«, berichtet seine Frau Jeannine. »Wir müssen die einzige öffentliche Toilette des Viertels aufsuchen und für deren Benutzung bezahlen.« Landesweit gibt es in Madagaskar nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) nur in drei Prozent der Haushalte sanitäre Einrichtungen. Durchfall ist nach Malaria die häufigste Todesursache bei Kindern.

Die im Stadtviertel Ankorondrano-Adranomahery lebende Séraphine Rafenomanana kritisiert nicht nur die unzureichende Trinkwasserversorgung des Viertels. Die 50-Jährige, die den Lebensunterhalt für sich und ihre sechs Kinder als Waschfrau verdient, klagt auch über fehlende Waschplätze. »Wir Wäscherinnen haben zwar im Voraus dafür bezahlt, doch jetzt erklären die verantwortlichen Behörden, das Gelände eigne sich nicht für den Bau eines Waschhauses. So werden wir hier ausgeplündert«, berichtet sie. In ländlichen Gebieten ist die Wasserversorgung noch viel mühsamer. »In der Trockenzeit ist es schwierig, auch nur einen Eimer mit Wasser zu füllen«, erzählt Félicie Felana Ravaomanalina.

Sie ist in Soalandy zu Hause, einem Viertel von Ankadivorobe, einer Stadt 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Antananarivo. Hier gibt es keine einzige öffentliche Trinkwasserstelle. Die rund 6000 Menschen des Viertels müssen sich mit Brunnenwasser begnügen oder mit Wasser aus den Bewässerungskanälen für die Reisfelder. »Im Wahlkampf haben die Politiker viel über die Wasserund Sanitärversorgung geredet, doch sie haben ihre Versprechen nicht gehalten«, meint Ravaomanalina. In Manjakandriana, einer Stadt in Osten von Antananarivo, erheben die Behörden monatlich umgerechnet 1,20 Dollar an Gebühren für die Wasserversorgung. »Doch wegen der verrotteten Leitungen wird Wasser besonders zwischen August und Oktober so knapp, dass man sich nicht erfrischen kann«, erzählt die Gemüseverkäuferin Fanjanirina Ravoarinelina.

Auch Patrick Razakamananifidy, ein hochrangiger Beamter im Energie- und Bergbauministerium, räumt ein, dass Madagaskars Wasserversorgungsnetz mangelhaft ist. Zudem fehle es an Fachpersonal. »Wenn Nichtregierungsorganisationen oder Gemeinden Trinkwasserstellen installieren, ist niemand da, der sich um eine korrekte Verwaltung der Anlage kümmert«, kritisiert er.

Die Europäische Union will Abhilfe schaffen und hat das 47-Millionen-Dollar-Projekt »Water II« auf den Weg gebracht. Es soll die Wasserversorgung einer halben Million Menschen sichern. Dem Fünfjahresplan der Regierung (2007-2012) für die Versorgung der Insel mit Trinkwasser und sanitären Grundeinrichtungen fehlt zur Umsetzung die ausreichende Finanzierung. Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) erklärte sich Anfang Juli bereit, diesen Aktionsplan mit einem auf 30 Monate angelegten Kredit von 97 Millionen Dollar zu unterstützen. »Damit werden wir ihn schneller umsetzen und 7,6 Millionen Menschen in Städten und in ländlichen Siedlungsgebieten versorgen können«, ist aus dem Energieministerium zu hören. »Wir werden noch vor der Freigabe der Kredite Ende Juli einen Zeitplan aufstellen.« Darin müssten auch die Entwicklungsziele der 22 Regionen integriert und die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden, fordert Herivelo Rakotondrainibe, Koordinator des nationalen Komitees »Wash«, das sich seit 2002 für eine bessere Versorgung mit Trinkwasser und Siedlungshygiene engagiert. Dann wird sich vielleicht auch der Lebenstraum des Straßenhändlers Rasojarison aus Antananarivo erfüllen lassen: genügend Trinkwasser für jeden Haushalt. IPS

* Aus: Neues Deutshcland, 29. Juli 2008


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