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Hilferuf aus Skopje

Mazedonien: Das Land steht am Rande des Krieges. Ein Bericht von Rüdiger Göbel (junge welt)

Wirklichkeitsferner könnte die Wahrnehmung nicht sein: Bei den albanischen Gewaltsezessionisten in Nordmazedonien handele es sich offenbar nur um wenige Kämpfer, meinte NATO-Generalsekretär George Robertson am Mittwoch in Brüssel. Zudem schwänden deren Möglichkeiten mehr und mehr. In Skopje sieht man die in kürzester Zeit eskalierte Lage realistischer. Die mazedonische Regierung erwägt angesichts der Ausweitung der UCK-Angriffe sogar die Verhängung des Ausnahmezustands. Verteidigungsminister Ljuben Paunovski erklärte am Donnerstag, das Land stehe am Rande eines Krieges.

Bei neuen Gefechten zwischen der albanischen Untergrundgruppe »Nationale Befreiungsarmee« (UCK) und mazedonischen Sicherheitskräften um die Stadt Tetovo wurden am Donnerstag mittag zwei Einwohner im Vorort Kale verletzt. Bereits am Mittwoch hatte sich die UCK mehrstündige Feuergefechte mit der mazedonischen Polizei geliefert. Dabei wurde nach Angaben des mazedonischen Ministerpräsidenten Ljubco Georgijevski ein Albaner von Scharfschützen der UCK erschossen. Insgesamt seien 17 Menschen verletzt worden, darunter 15 Polizisten. Zuvor hatten mehrere tausend albanische Demonstranten in Tetovo in Westmazedoniens lautstark ihre Solidarität mit der UCK bekundet.

In der Nacht zum Donnerstag verlagerten sich die Gefechte von Tetovo weg auf drei Dörfer nördlich der Stadt. Kämpfe soll es auch in den Dörfern Brest und Malino Malo an der Grenze zu Jugoslawien gegeben haben. Ein Polizeisprecher nannte die Lage außerordentlich ernst.

Mazedoniens Präsident Boris Trajkovski berief für Donnerstag eine Sitzung der Militärführung ein. Er machte klar, daß Skopje die territoriale Integrität Mazedoniens schützen werde. Verhandlungen mit den Gewaltsezessionisten der UCK werde es nicht geben.

Aus Furcht vor einer weiteren Gewalteskalation verließen am Donnerstag viele mazedonische Familien das umkämpfte Tetovo. Vor den Tankstellen der zweitgrößten Stadt Mazedoniens bildeten sich lange Schlangen. Die Polizei verstärkte ihre Präsenz.

Skopje hat um weitere Ausrüstungshilfe für seine Sicherheitskräfte gebeten. Aus den Nachbarländern Griechenland und Bulgarien gab es in den letzten Wochen bereits Hilfe. Die NATO selbst äußerte sich bislang zurückhaltend bis ablehnend. In Berlin sorgt man sich vorrangig um die Bundeswehrsoldaten. Rund 1200 Mann stark ist die deutsche Truppe in Tetovo, die für den Nachschub für die im benachbarten Kosovo stationierten deutschen KFOR- Einheiten zuständig sind. Nach den Gefechten am Mittwoch wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, erklärte das Verteidigungsministerium in Berlin. Deutsche Soldaten seien in die Auseinandersetzungen nicht verwickelt, hieß es ausdrücklich.

Das Europaparlament forderte am Donnerstag die KFOR zu entschlossenerem Handeln auf. Das Eindringen »albanischer Extremisten« in das Grenzgebiet zwischen dem Kosovo und Mazedonien müsse unbedingt verhindert werden, notfalls mit militärischen Mitteln, verlangte die Strasbourger Versammlung. Die KFOR müsse energischer als bisher vorgehen. Daß damit ausgerechnet der Teufel aufgefordert wurde, seinen Beelzebub auszutreiben, geht aus den jüngsten Äußerungen des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica hervor. Dieser beschuldigt die NATO, in der Vergangenheit die albanischen Gewaltsezessionisten unterstützt zu haben. Den vom westlichen Militärbündnis geführten Kosovo-Truppen warf er »direkte Zusammenarbeit« mit den albanischen Rebellen in Südserbien vor. Die KFOR habe den albanischen »Terrorismus« erst möglich gemacht und in einem gewissen Maß auch unterstützt, so Kostunica in einem Interview mit der Tageszeitung USA Today. KFOR- Hubschrauber seien augenscheinlich zur logistischen Unterstützung der Terroristen eingesetzt worden, sagte Kostunica. Mehrere KFOR-Einheiten hätten direkt mit den albanischen Rebellen zusammengearbeitet. In Brüssel wies man die Anschuldigungen aus Belgrad zurück. Kostunicas Aussagen seien »schlichtweg falsch«, so ein Sprecher der NATO kurz, aber umgehend.

Aus: junge welt, 16. März 2001

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