Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mazedonischer Nachkrieg

NATO und EU erklären Parlamentswahl zum Tauglichkeitstest

Von Detlef D. Pries *

Die einzige international gebräuchliche Bezeichnung, in der Jugoslawien bis heute fortlebt, ist der Name, unter dem Mazedonien 1993 in die UNO aufgenommen wurde: »Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien«, englisch abgekürzt FYROM. In diesem Staat wird heute ein neues Parlament gewählt. Vorausgegangen ist weniger ein Wahlkampf als ein Wahlkrieg.

Ministerpräsident Vlado Buckovski zählt es zu den Errungenschaften der vergangenen Regierungsperiode, dass die USA das Land inzwischen unter dem Namen anerkennen, den es sich selbst gegeben hat: Republik Mazedonien. Auch Russland und China tragen den Tatsachen längst Rechnung. Nur die EU hat ihr Mitgliedsland Griechenland bisher nicht bewegen können, den Widerstand gegen die Bezeichnung »Mazedonien« aufzugeben. Das – so heißt es in Athen – sei ein Name griechischen Ursprungs, der nur der griechischen Nordprovinz Makedonien und der gleichnamigen historischen Region zustehe. Der nördliche Nachbar heißt deshalb in Griechenland nur »Skopje« – nach der mazedonischen Hauptstadt.

Allzu schwer scheint die Anerkennung des Namens durch die USA in den Augen der mazedonischen Wähler allerdings nicht zu wiegen. Vlado Buckovski und sein Sozialdemokratischer Bund (SDSM), der einst aus dem Bund der Kommunisten Mazedoniens hervorging, laufen nämlich Gefahr, bei den heutigen Parlamentswahlen (5. Juli) zu verlieren. Letzte Umfragen billigen der Regierungskoalition einen Stimmenanteil von rund 40 Prozent zu. Die Opposition – angeführt von der mazedonisch-nationalistischen VMRO-DPMNE – käme demnach auf mehr als 48 Prozent. Die Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei der Mazedonischen Nationalen Einheit (so die Langform des Parteinamens) unter dem früheren Finanzminister Nikola Gruevski könnte also auf die Regierungsbänke zurückkehren, die sie 2002 verlassen musste. Zumal wenn sich die stärkste Partei der albanischen Minderheit, die Demokratische Union für Integration (DUI), zum Partnerwechsel entschließen sollte.

Die DUI ist die politische Nachfolgerin der albanischen »Befreiungsarmee« UCK, die sich im Gefolge des Kosovo-Kriegs einen bewaffneten Konflikt mit den slawisch-mazedonischen Sicherheitskräften geliefert hatte. Im Jahre 2001 erst schlossen die Parteien unter internationalem Druck in Ohrid ein Abkommen, das den Albanern in Mazedonien größere Rechte einräumte. Die UCK übergab den NATO-Truppen der Operation »Essential Harvest« daraufhin 4000 alte Waffen.

Offenbar liegen jedoch noch genügend in den Arsenalen. Denn der diesjährige Wahlkampf drohte in Krieg auszuarten. Anhänger rivalisierender albanischer Parteien demolierten einander mit Bulldozern und Handgranaten die Parteibüros, und Wahlkampftrupps von SDMS und VMRO lieferten sich nächtliche Schießereien mitten in Skopje. Besorgte NATO- und EU-Emissäre warnten, solches Maß an Gewalt sei »nicht hilfreich« für Mazedoniens Bemühen um Mitgliedschaft im Militärpakt und in der Union. Die EU hatte dem Land im Dezember 2005 den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt, ohne ein Datum für den Beginn von Verhandlungen zu nennen.

Die 1,7 Millionen Wahlberechtigten haben indes andere Sorgen: Löhne und Gehälter liegen derzeit um ein Fünftel niedriger als vor 15 Jahren, ein durchschnittlicher Monatslohn beläuft sich auf umgerechnet 210 Euro und reicht nicht zur Deckung des dringendsten Bedarfs. Die Wirtschaft des rohstoffarmen Binnenlandes ist pleite, Außenhandelsdefizit und Staatsverschuldung sind enorm. Das Überleben ermöglichen Schmuggel und Schattenwirtschaft. Daran haben sich die Mazedonier ebenso gewöhnt wie an Wahlmanipulationen aller Art. Weshalb sich 30 Prozent der Wähler das Ankreuzen sparen wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2006


Zurück zur Makedonien-Seite

Zurück zur Homepage