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Machtkampf in Skopje

Zehntausende gehen in Mazedonien gegen die Regierung auf die Straße. Furcht vor Spannungen im Land

Von Roland Zschächner *

In Mazedonien wächst die Furcht vor gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern der rechtskonservativen Regierung von Nikola Gruevski und der Opposition. Am Sonntag hatte ein Bündnis um die sozialdemokratische SDSM von Zoran Zaev zu einer Massendemonstration in Skopje aufgerufen. Sie forderten den Rücktritt von Gruevski, dem sie vorwerfen, korrupt zu sein und das Land autoritär zu regieren. Insgesamt nahmen am Sonntag rund 20.000 Menschen an dem Protest teil. Es waren weit weniger Demonstranten als das Bündnis »Bürger für Mazedonien« erwartet haben dürfte. Für den gestrigen Montag hatten Unterstützer des Premiers ebenfalls zu einer Demonstration in der Hauptstadt aufgerufen.

Neben unzähligen mazedonischen Fahnen waren am Sonntag auch viele albanische und vereinzelt auch türkische zu sehen. Abgesehen von den jeweiligen Flaggen fehlten politische Symbole hingegen fast vollständig. Es sollte gezielt der Eindruck einer breiten, ethnisch gemischten Protestbewegung erzeugt werden, der nur das Wohl des Landes am Herzen liege.

Während der Kundgebung hatten vor allem junge Menschen auf dem Platz vor dem Regierungssitz damit begonnen, Zelte zu errichten. Sie würden dort so lange ausharren, bis Gruevski zurückgetreten sei, verkündeten die Demonstranten.

Die wirtschaftliche Situation des Balkanlandes ist schlecht. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei rund 30 Prozent, bei unter 30jährigen ist sie weit höher. Wer kann, sucht Arbeit in einem Staat der EU. Spätestens seit 2002, als die regierende Partei VMRO-DPMNE an die Macht kam, wurde das Land strikt nach neoliberalem Modell umgestaltet. Seit 2005 ist Mazedonien Beitrittskandidat für die Europäische Union, seit 2008 ebenfalls für die NATO.

Seit Februar veröffentlicht Zaev mitgeschnittene Telefonate von Regierungsvertretern. Diese wurden ihm wahrscheinlich aus Geheimdienstkreisen zugespielt. Es scheint, dass der Sicherheitsapparat in Anhänger Gruevskis und der Sozialdemokraten gespalten ist.

Die Mitschnitte liefern ein schonungsloses Bild der Lage des Landes. Erschreckend ist vor allem, wie korrupt die Minister und Beamte sind, sowie in welch einer desaströsen wirtschaftlichen Lage sich Mazedonien befindet. Die Regierung sieht hinter der Kampagne Zaevs eine von ausländischen Mächten gesteuerte Strategie zur Destabilisierung. Außerdem seien die Aufnahmen manipuliert.

Am 5. Mai wurden Gespräche zwischen Gruevski, der ehemaligen Innenministerin Gordana Jankuloska und hochrangigen Geheimdienstlern über den Mord an Aleksandar Neskoski publik. Der junge Mann war am 6. Juni 2011 vermutlich von einem Polizisten zu Tode geprügelt worden. Aus den Telefonaten wird deutlich, was alles unternommen worden war, um den Mord zu vertuschen.

Nach der Veröffentlichung der Mitschnitte gingen am vergangenen Dienstag in Skopje mehrere tausend Menschen auf die Straße und forderten Aufklärung. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Es schien, dass die Proteste gegen die Regierung an Fahrt aufnehmen würden.

Doch am 9. Mai kam es in der Stadt Kumanovo zu einer mehrstündigen Schießerei zwischen Polizisten und vermeintlichen UÇK-Kämpfern aus dem angrenzenden Kosovo. Acht Polizisten starben, 14 Angreifer wurden erschossen. Die Hintergründe der Attacke sind weiterhin unklar. Opposition und Regierung beschuldigen sich gegenseitig, dahinter zu stecken. Vertreter der NATO und der EU haben Gespräche zwischen Gruevski und Zaev einberufen. Beide sollen sich darauf verständigt haben, die politische Krise ohne Gewalt lösen zu wollen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Ende der vergangenen Woche zu Besuch im benachbarten Serbien war, vermutet hingegen inszenierte Spannungen: Mazedonien hat sich bisher nicht an den EU-Sanktionen gegen Russland beteiligt. Auch strebt Skopje einen raschen Ausbau der Pipeline »Turkish Stream« an, die russisches Gas über die Türkei und Mazedonien nach Europa pumpen soll.

Lawrow warnte am Freitag in Belgrad vor deiner Eskalation durch eine »farbige Revolution«. Ein solcher, von den USA finanziell und logistisch unterstützter Sturz der Regierung in Skopje, bedrohe laut Lawrow nicht nur die Region sondern auch das restliche Europa.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Mai 2015


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