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Mazedonischer Lauschangriff

Opposition veröffentlicht abgehörte Telefonate. Rücktritt der Regierung gefordert

Von Roland Zschächner *

In Mazedonien rumort es, und zwar gewaltig. Der seit 2006 amtierende Ministerpräsident Nikola Gruevski wird von der sozialdemokratischen Opposition attackiert. Am Dienstag reichte die sozialdemokratische Oppositionspartei SDMS Strafanzeige wegen krimineller Machenschaften gegen Gruevski und weitere Minister der rechtskonservativen Regierungspartei VMRO-DPMNE ein.

Seit dem 9. Februar veröffentlicht der SDMS-Parteichef Zoran Zaev Mitschnitte von Telefonaten. Seit 2006 sollen über 20.000 Mazedonier vom Geheimdienst des Landes abgehört worden sein. Neben Journalisten, Diplomaten und Oppositionspolitikern sind darunter auch Regierungsmitglieder. Wer die Aufnahmen weiterreichte, ist unklar, doch vieles deutet darauf hin, dass sie direkt aus der Geheimdienstzentrale kommen. Zaev fordert den Rücktritt der Regierung, die Veröffentlichungen sollen Gruevski unter Druck setzen.

Anfang der Woche wurden neue Aufnahmen veröffentlicht. Es handelt sich um ein Telefonat zwischen der Innenministerin Gordana Jankuloska und ihrem für Finanzen verantwortlichen Kollegen Zoran Stavreski. Die beiden Kabinettsmitglieder unterhalten sich in dem wahrscheinlich 2012 geführten Gespräch über das Staatsbudget für das folgende Jahr.

Beide Politiker attestieren dem geplanten Haushalt, ein »Desaster« zu sein. Die Einnahmen seien bedeutend geringer als die veranschlagten Ausgaben. Gründe dafür seien vor allem »größenwahnsinnige Forderungen« von Gruevski. Gemeint sind die immensen Ausgaben für das nationalistische Großprojekt »Skopje 2014«.

Das von der VMRO propagierte Unterfangen zielte auf die Neugestaltung der mazedonischen Hauptstadt ab. Mit gigantischen Bauten und Denkmälern will die Regierung des armen südosteuropäischen Landes der Geschichte und vor allem Alexander dem Großen huldigen. Damit soll ein mazedonischer Nationalismus geschaffen werden, der bis in die Antike zurückreicht.

Der von der rechtskonservativen VMRO propagierte Nationalismus dient der Abgrenzung gegenüber Griechenland sowie Bulgarien. Unter anderem verhinderte Athen bislang den NATO-Beitritt der ehemaligen jugoslawischen Republik, weil die den gleichen Namen trägt wie eine nordgriechische Provinz.

Ganze Häuserzeilen wurden für »Skopje 2014« abgerissen. Mehrere Museen wurden neu errichtet, die durch teuer gekaufte Artefakte gefüllt werden mussten. So sollen laut dem Gespräch zwischen Stavreski und Jankuloska über 100 Gemälde für das archäologische Museum angeschafft worden sein, während gleichzeitig nicht einmal die Heizkosten für öffentliche Gebäude bezahlt werden konnten. Das Großprojekt soll laut offiziellen Angaben rund 500 Millionen Euro kosten. Die Opposition bezweifelt das und geht von einem weit höheren Betrag aus.

Mazedonien ist eines der ärmsten Länder der Region. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 30 Prozent; über die Hälfte der jungen Menschen hat keinen Job. Mit der Zerschlagung Jugoslawiens setzte eine ungebremste Deindustrialisierung ein. Auch gibt es Spannungen zwischen der slawischen Bevölkerung und der albanischen Minderheit. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Demonstrationen.

Die sozialen Verwerfungen nehmen zu, vor allem, weil die Kosten für Prestigeprojekte wie »Skopje 2014« auf die Bevölkerung abgewälzt werden. Die Situation wird durch die zunehmend autoritäre Herrschaft von Gruevski verschärft, der mit Polizei und Justiz rigoros gegen Kritiker vorgeht. Nun veröffentlichte Aufnahmen belegen die bereits zuvor häufig geäußerte Vermutung über die Seilschaften innerhalb des mazedonischen Staatsapparats.

Doch zugleich formiert sich erstmals seit Jahren wieder Protest. Zum einen sind die Studenten seit November gegen geplante private Prüfungen auf die Straße gegangen. Sie kritisierten, dass dadurch die Autonomie der Hochschulen gefährdet sei; auch die Professoren schlossen sich dem Protest an. Mitte Dezember demonstrierten über 10.000 Menschen in Skopje; im Februar folgten Fakultätsbesetzungen. Unmut über die Regierung gibt es auch bei den rund 200.000 Freiberuflern des Landes. Sie sollen seit Januar 35 statt vormals zehn Prozent Steuern auf ihr Einkommen zahlen. Mitte Februar gingen sie zu Tausenden auf die Straße; weitere Aktionen sind geplant.

Die Regierung unter Gruevski zeigte sich bislang von den Protesten und den Veröffentlichungen der Opposition unbeeindruckt. Auch die großen Medien berichten nur äußerst zaghaft. Zaev wurde unterdessen der Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten bezichtigt. Mit welchen blieb zwar ungeklärt, doch dem Sozialdemokraten wurde vorerst der Reisepaß entzogen.

Dass die ganze Affäre ein schnelles Ende nimmt, kann bezweifelt werden. Am Montag beschloss das Parlament, dass es der Polizei zukünftig erlaubt ist, gegen Demonstranten Gummigeschosse sowie Blend- und Schockgranaten einzusetzen. Der seit 2006 regierende Gruevski scheint sich auf härtere Auseinandersetzungen einzustellen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. März 2015


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