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Fortschritt ohne Inhalt

50 Jahre Unabhängigkeit: Malawi hat wenig zu feiern

Von Christian Selz *

Als Malawi am vergangenen Sonntag den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feierte, bemühte der im Mai neu gewählte Präsident Peter Mutharika in seiner Rede eine Reihe von historischen Vergleichen, um den Fortschritt in dem südostafrikanischen Land darzustellen. »Als dieses Land 1964 unabhängig wurde, gab es nur 60 Meilen (97 Kilometer) Teerstraße, jetzt haben wir 2000 Meilen (3218 Kilometer) Teerstraße«, begann Mutharika also und stellte die obligatorische rhetorische Frage: »Ist das nicht Fortschritt?«

Nun lag Mutharika bei der Dimension des »Fortschritts« sogar noch falsch – die nationale Straßenbehörde kam in einer 2009 veröffentlichten Erhebung auf knapp 7000 geteerte Kilometer im insgesamt mehr als doppelt so langen Straßennetz – die Stoßrichtung seiner Argumentation aber war klar: »Wir sind vorangekommen«. Der Verweis auf eigene Erfolge bei gleichzeitiger Ausblendung des Versäumten ist ein beliebtes Mittel, dessen sich Politiker auch im südlichen Afrika gern bedienen. »Wir haben eine gute Geschichte zu erzählen«, hatte beispielsweise Südafrikas Präsident Jacob Zuma zum 20. Freiheitstag seines Landes Ende April verkündet – während gleichzeitig 70000 Bergleute für einen zum Leben reichenden Lohn streikten.

Was jedoch bedenklich ist: Zuma steckte zum Zeitpunkt seiner vor Eigenlob triefenden Rede mitten im Wahlkampf, Mutharika aber ist gerade erst an die Staatsspitze gewählt worden. In einer von Bestechungsvorwürfen gegen Wahllokalmitarbeiter und weiteren massiven Unregelmäßigkeiten geprägten Abstimmung hatte er sich Ende Mai gegen Amtsinhaberin Joyce Banda durchgesetzt. Peter Mutharika dürfte dabei davon profitiert haben, daß Banda, die 2012 nach dem Tod von Bingu wa Mutharika – ein Bruder des neuen Staatschefs – ins Präsidentenamt aufgerückt war, knietief im »Cashgate«-Skandal steckte. In dessen Verlauf waren verschiedenen Quellen zufolge umgerechnet zwischen 15 und 74 Millionen Euro aus der Staatskasse verschwunden. Ihren Namen bekam die Staatsaffäre, als bündelweise Bargeld in den Autos und Wohnhäusern von Behördenmitarbeitern gefunden worden waren.

Bandas politisches Todesurteil war allerdings nicht der Skandal an sich, sondern die Reaktion der »Gebergemeinschaft«, die ihre Zahlungen an Malawi spontan einfroren. Für das Land, dessen Staatsetat zu 37 Prozent aus Finanzhilfen besteht, bedeutet dieser – immer mal wiederkehrende – Schritt stets unmittelbare Finanznot und Kürzungen im öffentlichen Dienst sowie darauf folgende Proteste. Über Banda hatte sich also schon vor der Wahl der Daumen gesenkt, das Volk durfte das an den Urnen lediglich bestätigen – wenn auch nicht ganz souverän. Von erheblichen Unregelmäßigkeiten berichtete selbst Malawis Wahlkommission, was allerdings weder die Beobachter der Afrikanischen Union noch die der Europäischen Union, davon abhielt, die Abstimmung als »frei und fair« durchzuwinken. Wirklich erheblich – so machte es den Eindruck – waren die Wahlen ohnehin nicht, einziges wichtiges Kriterium für das völlig abhängige Land schien zu sein, daß die Gebergemeinde zufriedengestellt wurde.

Der Fortschritt, von dem Präsident Mutharika nun fabuliert, bleibt entsprechend begrenzt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze und muß mit weniger als 1,25 US-Dollar (91 Eurocent) auskommen. Junge, qualifizierte Arbeitskräfte verlassen das Land in Scharen, meistens in Richtung Südafrika, wo häufig auch nur Gelegenheitsjobs als Haushälterin oder Gärtner auf sie warten. Die Bilanz zum 50. Unabhängigkeitstag bleibt so eine traurige: Malawi ist nicht vorangekommen, es bekommt nur minimale Verbesserungen dafür, daß es sich von seinen Finanziers beherrschen läßt. Wirklich unabhängig ist das Land bis heute nicht.Fortschritt ohne Inhalt

* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Juli 2014


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