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Historische Wahlschlappe in Malaysia

Regierende Koalition erlitt schwerste Niederlage seit fast 40 Jahren

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Die politische Landschaft in Malaysia steht nach der Parlamentswahl am Wochenende vor einem Umbruch. Die regierende Koalition Barisan Nasional (Nationale Front) erlitt die schwerste Niederlage ihrer Geschichte und verlor ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament sowie die Macht in vier Bundesstaaten. Regierungschef Abdullah Ahmad Badawi wies Rücktrittsforderungen dennoch zurück.

Die von den indischen und chinesischen Bevölkerungsgruppen in Malaysia getragenen Oppositionsparteien haben die jahrzehntelange Zwei-Drittel-Mehrheit der Regierung beendet.

Erstmals seit Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1957 steht die absolute Macht der Mehrheitsbevölkerung der ethnischen Malayen unter Druck. Das Regierungsbündnis der Nationalen Front unter Premier Abdullah Badawi erreichte nur noch 137 der 222 Sitze -- ein Desaster im Vergleich zu den 199 Mandaten beim Wahlgang vor vier Jahren, auch wenn Abdullah Badawi noch immer die Mehrheit im Parlament hält. Die Barisan Nasional verlor selbst den wohlhabenden Bundesstaat Penang, den Wahlkreis des Premiers. Und das bei einer Stimmbeteiligung von über 70 Prozent in einem Land, wo das Wahlsystem die Regierungsparteien bevorzugt, wo die Massenmedien de facto zensiert, Straßenproteste verboten und Regierungsgegner ohne Verfahren in Haft sind.

»Das Volk hat gesprochen«, so Oppositionsführer Anwar Ibrahim, die einstige rechte Hand von ExPremier Mahathir Mohamad. Ibrahim kam nach einer politischen Schmutzschlacht in Haft und bleibt noch einen Monat von der Politik ausgesperrt -- weshalb Abdullah Badawi die Wahlen bewusst vorgezogen hatte. Doch viele folgten beim Votum dem Programm der Gerechtigkeitspartei von Anwar Ibrahim.

Nach zuvor noch nie gesehene monatelangen Protesten von indischstämmigen Malayen gegen die ständig steigenden Preise und zahlreiche Korruptionsskandale haben weite Volksteile die Angst abgelegt und für einen Wechsel gestimmt, zumal wenn es darum geht, die Bevorzugung der ethnische Malayen im öffentlichen Leben zu beenden. Inder und Chinesen, die praktisch die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind bei der Ausbildung, im Beruf und auch vor den Richtern noch immer Bürger zweiter Klasse.

Alle drei Oppositionsparteien haben das angeprangert -- und alle legten sie zu: Die panislamische PAS, die christlich-chinesische DAP und die von Anwars Frau geführte Gerechtigkeitspartei PKR.

Die Führer der beiden indischen Alibi-Parteien in der Regierungskoalition verloren dagegen ihre Sitze. Oppositionsführer Anwar sprach von einem Umbruch: »Ich denke nicht, dass Malaysias Politik je wieder die gleiche sein wird. Dies ist der Ruf nach demokratischen Reformen.« Mit dem Fall der Zwei-Drittel-Mehrheit fiel auch die Kontrolle der Regierung über die Gesetzgebung.

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2008

Weitere Meldungen

Badawi wieder als malaysischer Ministerpräsident vereidigt

Der malaysische Ministerpräsident Abdullah Ahmad Badawi ist am Montag (10. März) für eine weitere fünfjährige Amtszeit vereidigt worden. Die Zeremonie war vorläufiger Schlusspunkt nach einem politischen Erdbeben in Malaysia, in dem Badawis Nationale Partei bei der Parlamentswahl am Samstag (8. März) ihre Zweidrittelmehrheit verloren hatte. Zudem musste sie in fünf der 13 Bundesländer die Regionalregierung abgeben.

Badawi sah sich wegen des schlechtesten Wahlergebnisses für die Regierungspartei seit 51 Jahren mit Forderungen konfrontiert, als Regierungschef zurückzutreten. Nach Einschätzung von Beobachtern ist Malaysia nun auf dem Weg zu einem Zweiparteiensystem: Die Opposition vervierfachte ihre Abgeordnetenzahl von 19 auf 82. Viele ranghohe Mitglieder der Nationalen Partei verloren ihr Mandat in dem 222 Sitze zählenden Parlament. Sie verfügt im neuen Parlament über 140 Mandate

Der Stimmeneinbruch für die Nationale Partei wird auf Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen, eine große Kluft zwischen Arm und Reich, zunehmender Kriminalität und Wut über die Selbstbereicherung der herrschenden Elite zurückgeführt.

Die Börse in Kuala Lumpur reagierte auf die Wahlschlappe der Regierungspartei am Montag mit Kursverlusten reagiert. Der Kuala Lumpur Composite Index eröffnete 4,1 Prozent schwächer bei 1.242,64 Punkten.

Nachrichtenagentur AP, 10. März 2008

Historische Wahlschlappe für Regierungskoalition in Malaysia

Die in Malaysia regierende multiethnische Koalition hat bei der Parlamentswahl am Wochenende die schlimmste Niederlage seit fast 40 Jahren erlitten. Nach Angaben der Wahlkommission verfehlte das Bündnis Barisan Nasional (Nationale Front) erstmals seit 1969 die Zwei-Drittel-Mehrheit. Demnach kam das Regierungsbündnis auf 137 von 222 Sitzen. Vor vier Jahren hatte die Koalition noch 91 Prozent der Sitze gewonnen. Wahlforscher machten die hohe Inflation, wachsende Kriminalität sowie die Unzufriedenheit der chinesischen und indischen Minderheit für die Verluste verantwortlich.

Wie die Wahlkommission in Kuala Lumpur mitteilte, fehlen Barisan Nasional nun elf Sitze zur Zwei-Drittel-Mehrheit, die Verfassungsänderungen ermöglicht. Regierungschef Abdullah Ahmad Badawi gab sich nach der Schlappe wortkarg. Die Koalition könne die nächste Regierung bilden, sagte er vor Journalisten in seiner Parteizentrale in Kuala Lumpur. "Ich werde eine Erklärung veröffentlichen und meine Sicht der Dinge mitteilen, wenn alles vorbei ist. Das ist alles, was ich zu sagen habe." Auf die Frage, ob das schlechte Ergebnis als Misstrauensvotum zu werten sei, sagte Abdullah: "Vielleicht. Es gibt eine Vielzahl von Botschaften des Volkes."

Oppositionsführer Anwar Ibrahim feierte das Wahlergebnis als den "Anbruch einer neuen Zeit" für Malaysia. Der "Mythos", dass Abdullahs Partei unbesiegbar sei, sei nun beendet. Anwars Partei Keadilan zog mit 31 Sitzen als stärkste Oppositionskraft in das Parlament ein. Die chinesische Demokratische Aktionspartei errang laut Wahlkommission 28 Sitze, die islamische Partei PAS 23 Sitze. Außerdem siegten Oppositionsparteien in fünf der 13 Bundesstaaten. Zuvor war nur ein Staat in der Hand der Opposition.

Die Koalition Barisan Nasional steht seit der Unabhängigkeit von Großbritannien vor gut 50 Jahren an der Spitze Malaysias. Zuletzt verfehlte sie 1969 nach blutigen Auseinandersetzungen zwischen den ethnischen Gruppen die Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Mehrheit der Bevölkerung des südostasiatischen Landes sind Malaien (60 Prozent). Rund 25 Prozent der Einwohner sind chinesischer Abstammung, etwa acht Prozent haben indische Vorfahren.

Nachrichtenagentur AFP, 9. März 2008

Krawalle bei Parlamentswahl in Malaysia

Kuala Lumpur (AP) Bei der Parlamentswahl in Malaysia ist es am Samstag (8. März) zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Anhängern der Opposition gekommen. Die Polizei setzte nach Angaben von Augenzeugen Tränengas ein. Die Oppositionsanhänger sollen zuvor Busse mit Anhängern der Regierungspartei mit Steinen beworfen haben. 19 Personen wurden festgenommen.

Die Wahl wird zeigen, wie groß die Popularität der Regierungskoalition noch ist, nachdem es zuletzt massive Klagen über die Diskriminierung von chinesischen und indischen Minderheiten in dem Land gab. Ein Sieg für Ministerpräsident Abdullah Ahmad Badawi und seiner regierenden Koalition der Nationalen Front steht zwar nicht in Zweifel. Allerdings ist fraglich, ob die Koalition ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament halten kann, die sie seit der Unabhängigkeit im Jahr 1957 bei allen außer einer Wahl immer erreicht hatte. Zeitgleich werden in zwölf der 13 malaysischen Staaten neue Regionalparlamente gewählt.

Nachrichtenagentur AP, 8. März 2008

Und ein Vorbericht:

Malaysias Opposition will zulegen

An einen Machtwechsel glaubt jedoch niemand ernsthaft

Von Thomas Berger


Nach jahrzehntelanger Dominanz der Nationalen Front (BN) steht Malaysia am Sonnabend erstmals vor einer spannenden Wahl. Obwohl die Regierungskoalition unter Premier Abdullah Badawi erneut gewinnen dürfte, kann es knapp werden.

Rund 11 der 26 Millionen Einwohner Malaysias sind als Wahlberechtigte registriert und dürfen über die Zusammensetzung des nationalen Parlaments sowie der Volksvertretungen in den 13 Teilstaaten und 3 Territorien abstimmen. Bislang hält die regierende BN – ein Bündnis aus 14 Parteien – im Repräsentantenhaus 199 von 219 Sitzen. Oppositionelle Stimmen wie die der Demokratischen Aktionspartei (DAP) mit 12 und der Islamischen Partei (PAS) mit 7 Mandaten konnten sich im parlamentarischen Betrieb kaum Gehör verschaffen.

Doch diesmal wollen DAP und PAS der Nationalen Front Paroli bieten. Dritter im Bunde einer losen Allianz ist die Partei für Volksgerechtigkeit (PKR). Deren geistiger Führer ist Anwar Ibrahim – zugleich so etwas wie die Galionsfigur der Opposition, die auf ein Drittel der Sitze hofft. Ibrahim, bis zum Bruch im Jahr 1998 politischer Ziehsohn und »Kronprinz« des langjährigen Premierministers Mahathir Mohamad, saß später nach konstruierten Korruptions- und Sodomievorwürfen seines einstigen Mentors im Gefängnis und ist noch bis April von allen politischen Ämtern ausgeschlossen. Das hindert ihn jedoch nicht, als »Berater« am Sturz des Mahathir-Nachfolgers Badawi zu arbeiten. Ibrahims Frau ist offizielle Parteichefin, seine 27-jährige Tochter tritt in einem Wahlkreis gegen eine amtierende Ministerin an.

An einen Machtwechsel glaubt ernsthaft niemand – obgleich die Unzufriedenheit im Land groß ist. Premier Badawi fehlt das Charisma seines Vorgängers. Immerhin aber gilt er selbst als Saubermann – anders als etliche seiner Bündnispartner, denen krumme Geschäfte nachgesagt werden. Überhaupt ist der Wirtschafts-motor Malaysias, der einst die ganze südostasiatische Staatengemeinschaft ASEAN antrieb, ins Stottern geraten. Die Arbeitslosigkeit steigt stetig, gerade junge Leute klagen über Mangel an Perspektiven.

Dazu kommt die zunehmende ethnische Spaltung der Gesellschaft. Die ethnischen Malaien, die etwa 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen, genießen Privilegien, die Inder (8 Prozent) und Chinesen (25 Prozent) faktisch zu Bürgern zweiter Klasse degradieren. Während die Chinesen traditionell immerhin einen großen Teil der Wirtschaft kontrollieren, stehen die Inder auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter. Die Aktionsfront für Hindu-Rechte (HINDRAF) fordert seit Monaten lautstark Gleichberechtigung. Nach gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften sitzen fünf ihrer prominentesten Führer aufgrund eines Anti-Terror-Paragrafen ohne Prozess in Haft.

In der Mehrheit waren die Inder bisher jedoch der Nationalen Front treu ergeben. Fraglich ist, ob sie diesmal zu Hause bleiben oder für die Opposition stimmen. Wo diese auf dem Stimmzettel von der Islamischen Partei (PAS) repräsentiert wird, dürfte dies kaum der Fall sein. Die Islamisten wollen die religiöse Gesetzgebung so wie in ihrer Hochburg, dem Staat Kelantan, nämlich im ganzen Land einführen. Kelantan im Norden Malaysias ist derzeit das einzige nicht von der BN regierte Gebiet. Ein gemeinsames Programm hat das Oppositionsbündnis nicht vorzuweisen. Das einzige verbindende Ziel von Liberalen und Islamisten ist ein Machtwechsel. Anwar Ibrahim kann Massen bewegen, doch er ist auch ein Meister darin, je nach Bedarf die Versöhnung aller Malaysier zu predigen oder aber den frommen Muslim hervorzukehren.

Ganz ähnlich gebärdet sich Badawi. Etliche Wähler sind von allen Parteien gleichermaßen enttäuscht. So kommt es nicht von ungefähr, dass ausgerechnet Maimun Yusuf besonders populär ist: Die 89-jährige Kandidatin will die Probleme mit gesundem Menschenverstand statt mit politischem Kalkül anpacken.

Aus: Neues Deutschland, 7. März 2008




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