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Kein Paradies für alle

Die Malediven sind beliebtes Urlaubsziel. Viele Bewohner des von der globalen Erwärmung bedrohten Archipels haben nichts davon

Von Thomas Berger, Neu Delhi *

Wenn Mohamed Nasheed als Staatsmann Erfolg haben will, darf er nicht nur auf seine vielbeachteten Aktivitäten gegen die globale Erwärmung und der Veringerung des weltweiten CO2-Ausstoßes setzen. Es muß ihm auf seiner durch Klimawandel von steigendem Wasserspiegel gefährdetem Archipel auch gelingen, die Kluft zwischen arm und reich zu verringern. Seit Jahren vertiefen sich die sozialen Gegensätze auf den Malediven. Ein schlüssiges Gesamtkonzept jedoch, wie er dieses Problem angehen will, ist der neue Präsident des Inselstaates im Indischen Ozean nach einem Jahr Amtszeit bisher schuldig geblieben.

Tourismus macht reich...

Dabei gilt der Inselstaat in der Re­gion vergleichsweise als wohlhabend. Gemessen an allen anderen Staaten Süd­asiens haben die Malediven das höchste Pro-Kopf-Einkommen. Soweit zur Statistik. Doch die verrät höchstens die halbe Wahrheit. Deutlicher wird das Bild, blickt man auf die Verteilung des Reichtums. Während es eine kleine Oberschicht des mehrheitlich muslimischen Landes zu enormem Wohlstand gebracht hat, verharrt ein Großteil der Bevölkerung in Armut. Etwa 40 Prozent der Insulaner haben von den stattlichen Einnahmen der Tourismusbranche nicht profitieren können und müssen sich mit umgerechnet zwei Dollar am Tag oder sogar noch weniger durchschlagen. Zu behaupten, Arme und Benachteiligte wären in dem Urlaubsparadies, das die meisten Westeuropäer immerhin schon einmal im Reisekatalog gesehen haben, eine Randerscheinung, wäre somit eine glatte Lüge.

Der kleine Staat setzt fast ausschließlich auf den Fremdenverkehr. Es ist nicht zuletzt die mangelnde Vielfalt der Insel-Ökonomie, die einen Ausweg aus der sich vertiefenden sozialen Krise nicht leicht macht. Neue Arbeitsplätze mit anständigen Verdienstmöglichkeiten für die Einheimischen entstehen so kaum. Der Tourismus trägt allein mit einem Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt bei und ist damit die wirtschaftliche Stütze des Landes. Da die Malediven aber weniger den Pauschalurlauber aus Europa, den USA oder Japan, sondern eher das gehobene Drittel der globalen Tourismuskonsumenten mit entsprechender Finanzkraft im Auge haben, kommen die Einnahmen nur wenigen Betrieben und Unternehmungen zugute. Viele dieser Anbieter betreiben Nobelressorts, weitläufige Anlagen für wenige, zahlungskräftige Gäste. Dort arbeiten dann ein paar Dutzend Kellnern, Zimmermädchen und sonstiges Servicepersonal. Kleine, an der Basis verwurzelte Firmen mit direkter Familienanbindung, wie es sie in umliegenden Ländern in großer Zahl in der Tourismuswirtschaft gibt, existieren auf den Malediven indes kaum.

Es ist eine Tatsache, daß der vom langjährigen, autokratisch regierenden Präsidenten Maumoon Abdul Gayoom -den der oppositionelle Nasheed 2008 in der Stichwahl bezwang - aufgebaute Tourismussektor die Malediven reich gemacht hat. Doch es sind zu viele, die außen vor blieben, die nicht einmal ein kleines Stück vom großen Kuchen abbekommen haben. Für den neuen Präsidenten, der jüngst mit einer Unterwassersitzung seines Kabinetts international Aufmerksamkeit erregt hatte, besteht die größte Herausforderung darin, alternative Wirtschaftsbereiche zu stärken. Beispielsweise müßte er den Fischern helfen, oder er muß das Defizit im Staatshaushalt abbauen, das mittlerweile 34 Prozent eines jährlichen BIP beträgt - der relative Wohlstand wenigstens eines Teils der Insulaner ist eben auch mit Pump erkauft. Der Wiederaufbau nach dem Tsunami im Jahr 2004, der Millionen verschlungen hat, trug nicht unerheblich zur prekären Finanzlage bei.

... aber nicht alle

Dabei gibt es nach Auffassung von Beobachtern durchaus Möglichkeiten, Problemlösungen anzugehen. Ein Schließen der Lücken in der Infrastruktur in vielen Bereichen würde beispielsweise der Baubranche staatliche Aufträge bringen. Es könnten Schulen oder Krankenhäuser errichtet werden, Bedarf besteht jedenfalls. Die Vorgängerregierung hat es trotz Bemühungen nicht geschafft, Gesundheitsversorgung und Bildung wenigstens auf den 96 bewohnten der insgesamt schätzungsweise 1190 Inseln sicherzustellen. Die Bewältigung der logistischen Herausforderungen kann aber auch in der Transportwirtschaft für einen weiteren Aufschwung sorgen.

Nicht zuletzt geht es nicht nur um die 400000 eigenen Bürger, sondern mittlerweile auch um 35000 Inder, Nepalesen, Bangladeschis und Einwohner des unmittelbar benachbarten Sri Lanka, die als illegale Einwanderer auf den Malediven leben. Obwohl die offiziell 80000 ausländischen Beschäftigten zumeist aus denselben Ländern stammen, haben die Illegalen es schwer, eine geregelte Arbeit mit einem menschenwürdigen Einkommen zu finden. Zudem sind in der Hauptstadt Malé die Mieten inzwischen teilweise auf das Niveau von Hongkong oder US-Großstädten gestiegen. Preiswerter Wohnraum ist Mangelware. Den zu schaffen, würde ebenfalls Potential für Entschärfung sozialer Probleme bei gleichzeitiger Beschäftigungssteigerung bieten.

* Aus: junge Welt, 2. November 2009


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