Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nein zu einem Bundeswehreinsatz in Mali

Sachstand, Positionierung und Hintergrund

Von Christine Buchholz *


I. Sachstand: Neuer Militäreinsatz beschlossen

Am 12. Oktober 2012 billigte der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine von Frankreich eingebrachte Resolution, die einen internationalen Militäreinsatz nach Kapitel 7 der UN-Charta in Mali vorsieht. Drei Tage später beschlossen die EU-Außenminister in Luxemburg die Entsendung von Militärausbildern um Streitkräfte der malischen Zentralregierung in Bamako auszubilden und zu unterstützen. Die EU-Außenbeauftragte Ashton soll zum 19. November einen konkreten Plan für diese Mission vorlegen.

Der UN-Beschluss billigt im Grundsatz die Bildung einer internationalen Militärtruppe durch die westafrikanische Staatenunion ECOWAS, die die malische Zentralregierung bei der Rückeroberung des abgespaltenen Landesteils im Norden unterstützen soll. Für die Großmächte geht es darum, die Operationsbasis des militanten Islamismus in der Sahara und im Sahel zu zerstören. Als Argument für den neuen Militäreinsatz wird das Leid der Zivilbevölkerung in Nord-Mali angeführt, von denen vieler auf der Flucht und unterernährt sind.

Eine der treibenden Kräfte des internationalen Einsatzes ist die französische Regierung. Ihre Position befindet sich in einem komplementärem Verhältnis zu jener Deutschlands. Frankreich will sich als ehemalige Kolonialmacht nicht offen an der Spitze stehen und braucht dafür die EU. Deutschland hat ungeachtet seines Führungsanspruches in der EU kein mit Frankreich vergleichbares Gewicht in Westafrika und verlässt sich auf Frankreich, um einem Militäreinsatz die notwendige Durchschlagskraft zu verleihen.

Am 22. Oktober prescht Kanzlerin Merkel auf einer Tagung der Bundeswehr vor und erklärt: „Freiheitliche demokratische Staaten können nicht akzeptieren, das der internationale Terrorismus im Norden des Landes ein sicheres Rückzugsgebiet erhält.“ Verteidigungsminister De Maizière sekundierte: Die Bundeswehr muss „einsatzbereit und einsatzfähig sein – und zwar schnell und ohne lange Vorbereitung.“ Westerwelle sagte: „Wenn dort Terroristenschulen aufgebaut werden können, weil ein völlig rechts- und staatsfreier Raum dort entsteht, dann bedroht das unsere Sicherheit auch in Europa.“ Der interventionistische Übereifer der Regierung löste heftige Kritik im Bundeswehrverband aus. Der Bundeswehrverband ist ein Interessenverband aktiver und ehemaliger Angehöriger der Bundeswehr sowie ihrer Familienangehörigen, also so etwas wie eine Ständeorganisation der Soldaten. Dessen stellvertretender Bundesvorsitzender Wüstner bemängelte drei Tage nach Merkels Vorstoß: „Uns treibt die Sorge um, dass die Bundeswehr wieder einmal [!] unüberlegt und verantwortungslos in einen Einsatz entsendet wird, der Teil einer nur lückenhaften politischen Konzeption ist.“ Ähnlich äußerte sich der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Kujat.

Vor diesem Hintergrund ruderte die Regierung zunächst verbal zurück. Westerwelle betonte, es müsse erst Klarheit über die Ziele gewonnen werden. „Ein Kampfeinsatz kommt nicht infrage“ so Regierungssprecher Seibert. Als Vorbild für die Mission wird EUTM in Somalia ins Spiel gebracht – eine Ausbildungsmission, die einen Kampfeinsatz afrikanischer Truppen flankiert.

II. Unsere Position

DIE LINKE hat keinen Grund, ihre Kritik an der möglichen Entsendung der Bundeswehr nach Westafrika abzumildern, nur weil die Bundesregierung sie nun als eine Ausbildungsmission ohne Kampfauftrag klein reden will. Es geht nach wie vor um die Unterstützung eines internationalen Kampfeinsatzes zur militärischen Rückeroberung eines Gebietes, das die Größe Frankreichs umfasst.

Folgende Punkte sollten meines Erachtens Grundlage unserer Positionierung sein:
  1. Hintergrund für die Abspaltung des Nordens von Mali bildet eine Tuareg-Rebellion, die soziale Wurzeln hat. Völlig ignoriert wird in den Medien derzeit, dass die Tuareg über Jahrzehnte national unterdrückt wurden. Vom Reichtum unter dem Boden der Sahara (zum Beispiel im Norden Nigers, wo französische Atomkonzerne Uran fördern), haben sie nie etwas abbekommen. In den 90er Jahren wurden ganze Tuareg-Familien Opfer von Gewalttaten, die die malische Armee und Milizen verübt haben. Die EU und die verschiedenen Bundesregierungen haben die Forderungen der Tuareg nach nationaler Selbstbestimmung stets ignoriert. Erst, als radikale Islamisten die Situation ausnutzen und auf dem Rücken der Tuareg-Unabhängigkeitsbewegung ihre eigene Machtbasis errichten, da beginnt sich der Westen für die Region zu interessieren.
  2. Die Intervention stützt eine illegitime Regierung (dazu Details weiter unten im „IV. Hintergrund: Putsch in Mali“).
  3. Das Flüchtlingselend, dass alle Parteien beklagen, wird sich durch einen Krieg verschärfen. Es droht die dauerhafte Entwurzelung der Tuareg-Bevölkerung. Zu glauben, dass dies die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Armut in der Region verbessert, ist absurd. Auch die beklagenswerte Zerstörung von Kulturgütern, dessen sich bewaffnete islamistische Kräfte schuldig gemacht haben, würde durch einen Krieg verschärft werden.
  4. Es droht ein ethnisch aufgeladener Krieg. Die Truppen des malischen Militärs und der ECOWAS werden nicht zwischen Tuareg und islamistischen Organisationen unterscheiden. Ein Krieg wird sich gegen alle Tuareg richten, die im malischen Militär und in der malischen Regierung nicht vertreten sind. Es gibt bereits jetzt entsprechende Meldungen, die beunruhigen. Der französische Sender RFI berichtete am 27. Oktober von acht Tuareg-Hirten, die unweit der Kaserne von Diabali in der Region Segou entführt und hingerichtet worden seien. Soldaten dieser Kaserne werde auch die Ermordung von sechzehn islamischen Geistlichen im September zur Last gelegt.
  5. Bundesregierung geht es darum, im Kampf um die afrikanischen Bodenschätze Stärke zu zeigen. Die Bereitschaft der Bundesregierung, sich erneut an einem Krieg auf dem afrikanischen Kontinent zu beteiligen verdeutlicht, dass es beim Umbau der Bundeswehr vor allem um die Wiederherstellung einer global agierenden Interventionsarmee zur Sicherung deutscher Einflusssphären geht. De Maizière drückte es jüngst im Zusammenhang mit der Debatte um einen Mali-Einsatz so aus: „Als starkes Mitglied der internationalen Gemeinschaft wir Deutschland künftig eher häufiger gefragt werden, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen – auch militärisch.“
  6. Das ursprüngliche Vorpreschen der Bundesregierung in Bezug auf Mali ist offenbar auch von der Angst geprägt, sie könnten von Grünen und SPD getrieben werden. Diese gefallen sich darin, die vergleichsweise besonnene Haltung Westerwelles zu Libyen und Syrien zu kritisieren. Auch wenn die Regierung in den letzten Tagen zurückhaltendere Töne bezüglich der konkreten Ausgestaltung der Bundeswehrmission anschlägt, kann uns das nicht beruhigen. Der Grundsatzbeschluss ist gefallen. Die Bundesregierung macht damit zum Verbündeten eines Militäreinsatzes der putschistischen malischen Armee, der ECOWAS und anderer Truppen. Sie wird sich auch an deren Handeln messen lassen müssen.
  7. Die Behauptung, es ginge nur um die Ausbildung der malischen Armee, ist ohnehin fadenscheinig. Denn diese Art der Unterstützung wird längst geleistet. Malische Offiziere und Truppen werden seit langem von der US-Armee trainiert. Auch zwischen Deutschland und Mali besteht seit Jahren eine enge Zusammenarbeit. Von Mitte November 2009 bis Januar 2010 trainierten deutsche Soldaten Ausbilder der malischen Armee. Seit 2007 versorgt die Bundeswehr Mali darüberhinaus mit ausgemustertem Material im Rahmen des Ausstattungshilfeprogramm für ausländische Streitkräfte (AH-P). Das diesbezügliche Volumen beläuft sich seit 2009 auf mehr als drei Millionen Euro, für den Zeitraum 2013 bis 2016 sind bereits Projekte in Höhe von weiteren 3,3 Millionen Euro geplant.
  8. Alle Staaten der ECOWAS sind bettelarm. Es ist ein Skandal, dass diese Staaten ermutigt und unterstützt werden in dem Versuch, den ersten internationalen westafrikanischen Krieg seit der Unabhängigkeit der Staaten 1960 vom Zaum zu brechen. Der Angriff auf Nordmali hat nicht nur unkalkulierbare geopolitische Folgen für die Zukunft der Region. Er verbrennt auch im großen Umfang Gelder, die dringend an anderer Stelle zur Entwicklung der Länder gebraucht werden.
  9. Der Interventionsbeschluss des UN-Sicherheitsrates und die Unterstützung durch die Bundesregierung gibt der ECOWAS internationalen politischen Kredit und stellt diese Institution als ein Teil der Lösung dar. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Zur ECOWAS gehören 15 westafrikanische Staaten. Viele werden von Regierungen geführt, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
  10. Ein Angehöriger einer der von Islamisten entführten französischen Geiseln hat im Interview mit dem Radiosender RFI im höchsten Maße seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die Vorbereitung eines militärischen Angriffs seitens EU und französischer Regierung ist auch aus dieser Sicht unverantwortlich. Es ist könnte auf ein Todesurteil für die französischen Geiseln hinauslaufen.
  11. Das wichtigste Argument ist: Es gibt keine Lösung von außen – und ein militärisches Eingreifen würde alles verschlimmern.
III. Hintergrund: Tuareg und Ansar ad-Din

Im April 2012 kommt es zur Abtrennung des Norden Malis, nachdem ein Bündnis aus Islamisten und Tuareg-Rebellen wichtige Städte einnehmen, darunter Timbuktu. Die von Tuareg getragene „Nationale Bewegung für die Befreiung von Asawad“ (MNLA) erklärt den Norden unter dem Namen Asawad zum unabhängigen Staat. Diese Region, flächenmäßig größer als der dichter bevölkerte Südteil, ist seit Malis Unabhängigkeit 1960 vernachlässigt worden und total verarmt. Seit den 60er Jahren kam es immer wieder zu Rebellionen der Tuareg, deren politische Vertreter mehr Autonomie fordern. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verarmung ist der Sahel und der Südrand der Sahara zu einer Zone geworden, in der Schmuggel und auch Menschenraub zu einer Quelle des Einkommens geworden ist.

Heute wird eine internationale Militärintervention mit dem Flüchtlingselend gerechtfertigt. Von den 365.000 Flüchtlingen Malis (Stand: September 2012) sind viele bereits vor den neuesten Kämpfen geflohen. Die Flucht der Familien hat mehrere Ursachen: Armut, anhaltende Dürre, politische Unsicherheit. Die Angst vor der malischen Armee wie vor den islamischen Milizen, aber auch der unmittelbar drohende Krieg hat die Situation für viele Familien nun unerträglich gemacht und verschärft das Flüchtlingselend.

Der militärische Erfolg der Tuareg-Rebellen wird in den Medien auf zwei Faktoren zurückgeführt: der Zufluss an Waffen und Kämpfern aus Libyen, sowie das Bündnis der MNLA mit einer neuen islamischen Guerilla namens Ansar ad-Din („Verteidiger des Glaubens“).

Das erste Argument wird zum Beispiel von der FDP-Abgeordneten Hoff vorgetragen. Sie sagt, die malische Armee sei „traumatisiert und miserabel ausgerüstet“ und habe deshalb den mit Waffen aus Gaddafis Beständen ausgerüsteten Islamisten nicht standhalten können.

Das Argument ist irreführend. Tatsache ist: Die malische Armee hat massiv von amerikanischen Zahlungen an das Land in Höhe von 140 Millionen US-Dollar pro Jahr profitiert. Dennoch ist sie im Norden rasch in sich zusammengebrochen. Offenbar verfügt sie dort über zu wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Es ist festzustellen, dass die malische Regierung es über Jahrzehnte nicht geschafft hat, einen politischen Ausgleich mit den Tuareg und anderen Ethnien im Norden zu finden.

Zum zweiten Argument. Unklar ist, woher die neue Formation Ansar ad-Din eigentlich stammt und wer ihre Basis darstellt. Ansar ad-Din pflegt Beziehungen zu „al-Qaeda im islamischen Maghreb“ (AQMI). Dabei handelt es sich um ein Überbleibsel des algerischen Bürgerkriegs – die algerische GSPC heftete sich nach 2001 das al-Qaeda-Label an. Ansar ad-Din ist nicht identisch mit AQMI, sondern wurde von einem Politiker der Tuareg gegründet. Die Zusammenarbeit mit AQMI ist Ergebnis der Umstände.

Im Sommer 2012 zerbrach das Bündnis zwischen Ansar ad-Din und der MNLA. In Timbuktu und anderen Städten errichtet Ansar ad-Din eine Art wahabistisches Wildwest-Regime. Paradox: durch den neuen Beschluss auf Militärintervention gibt es Berichte über neue Verhandlungen zwischen Ansar ad-Din und der MNLA. Es ist völlig klar, dass ein Angriff der malischen Regierung und der ECOWAS von beiden als Bedrohung angesehen wird. Auch werden sich viele Tuareg bedroht fühlen, die bislang in keiner der Formationen kämpfen.

Bei den beiden Formationen handelt es sich im Übrigen nicht um verhandlungsunfähige Wilde. RFI meldete am 22. Oktober: Unter dem Druck einer drohenden Intervention sind „Iyad Ag Ghali, Anführer von Ansar ad-Din und sein Gegenüber bei der MNLA, Bilal Ag Cherif, zur Diskussion bereitet. Ersterer unterhält Verbindungen mit Algerien, letzterer befindet sich derzeit in Burkina Faso. Beide plädieren für eine nicht-militärische Verhandlungslösung mit dem malischen Staat.“

IV. Hintergrund: Putsch in Mali

Am 21. März 2012 wird Amadou Toumani Touré, der demokratisch gewählte Präsident Malis, durch einen Militärputsch aus dem Amt entfernt. Begründung des Putschisten: Touré sei unfähig, einen effektiven Kampf gegen die Separatisten im Norden zu führen. In der Folge des Putsches kommt es jedoch nicht zu einer Gegenoffensive der Armee im Norden. Vielmehr bricht sie dort endgültig zusammen.

Der Anführer der Putschisten, Amadou Haya Sanogo, ist als Hauptmann ein Offizier des Mittelbaus. Er ist US-nah. Sanogo nahm an Ausbildungsmaßnahmen in den USA in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2010 teil.

Die erste Reaktion auf den Putsch durch USA, EU und ECOWAS war dessen ungeachtet feindselig. Alle forderten sie die Herstellung der verfassungsgemäßen Ordnung. Die USA kürzten ihre Hilfen um die Hälfte. EU, Bundesregierung, Weltbank stellten die Kooperation mit Mali ein – bis zum Putsch war Mali ein Darling der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. ECOWAS und Afrikanische Union setzten die Mitgliedschaft Malis aus. ECOWAS drohte mit dem Abdrehen des Zugangs zur Gemeinschaftswährung CFA.

Unmittelbar nach dem Putsch wurden in den internationalen Medien auch über ethnische Spannungen berichtet. Voice of America berichtete von Übergriffen gegen Tuareg überall im Land. Think-Africa-Press meldete: die neue Junta begänne, irreguläre Milizen verschiedener Ethnien, insbesondere der Songhai auszurüsten, um die Tuareg zu bekämpfen.

Mit dem Scheitern der neuen Junta, den Norden militärisch zurückzuerobern, setzten neue Überlegungen ein. Kurze Zeit nach dem Putsch in Bamako kommt es zu einem Ausgleich zwischen der ECOWAS und den Putschisten. Der jetzige Präsident Traoré wird von den Putschisten im Einvernehmen mit der ECOWAS eingesetzt. Im Gegenzug wurde dem Putschistenführer Sanogo der Status eines „ehemaligen Staatsoberhauptes“ gewährt, mit all den damit verbundenen Privilegien.

Traoré hat keinerlei Machtbasis außerhalb der ECOWAS und des von den Putschisten beherrschten Militärs. Auf Grundlage des Deals zwischen Putschisten und ECOWAS darf Traoré nun ein Jahr lang weiter regieren. Als er Ende Juli die Bildung der „Regierung der nationalen Einheit“ forderte, ging dies zugleich mit der Entmachtung des bisherigen Ministerpräsidenten Diarra einher.

Die Illegitimität der jetzigen Regierung in Bamako scheint weder SPD und Grüne noch Union und FDP zu kümmern, wenn es um die neue Militärmission geht – obgleich die seit dem Putsch suspendierte deutsche Entwicklungszusammenarbeit weiterhin ausgesetzt bleibt.

Der Beschluss der VN und der EU auf eine militärische Intervention zur Unterstützung der ECOWAS und der malischen Regierung legitimiert die Ergebnisse des Putsches. Sie festigt die Position der putschistischen Militärs und lässt keine Raum für eine Demokratie in Mali.

* Christine Buchholz, MdB, ist friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion der LINKEN im Deutschen Bundestag.


Zurück zur Mali-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zur Seite "Militärinterventionen"

Zurück zur Homepage