Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

ECOWAS schickt Truppen

Staatenbund will Übergangsperiode nach Militärcoups in Mali und Guinea-Bissau überwachen

Von Thomas Berger *

Bei einem außerplanmäßigen Gipfeltreffen in Abidjan, der Hauptstadt von Côte d’Ivoire, haben die Führer des westafrikanischen Staatenbundes ECOWAS am Donnerstag beschlossen, nach den dortigen Militärcoups Truppen nach Guinea-Bissau und Mali zu entsenden, »um beiden Ländern zu helfen, zu ziviler Herrschaft zurückzukehren«, wie es hieß.

500 bis 600 Soldaten sollen umgehend nach Guinea-Bissau entsandt werden, wo eine Fraktion des Militärs am 12. April geputscht und damit die laufenden Präsidentenwahlen abgebrochen hatte. Sollten die Putschisten dem ECOWAS-Kontingent nicht binnen drei Tagen den Weg für die Mission ebnen, sollen Sanktionen gegen das Land erlassen werdent. Nigeria, Senegal, Togo und Côte d’Ivoire haben dem Vernehmen nach zugesagt, Soldaten für die Friedenstruppe zur Verfügung zu stehen. Beiden Ländern wurde zudem dringend angeraten, binnen zwölf Monaten durch Wahlen eine Rückkehr zu ziviler Herrschaft einzuläuten – nicht erst 2014, wie es aus Guinea-Bissaus Putschistenkreisen zuletzt geheißen hatte.

Für Mali ist sogar eine Truppenstärke von »mindestens 3000« vorgesehen, wie Paul Koffi Koffi, der Vizeaußenminister von Côte d’Ivoire, am Rande des Gipfels gegenüber Reportern bekräftigte. Daß der Staatenbund aber nicht nur mittels der Truppenstärke in einem innenpolitischen Konflikt Partei ergreift, statt sich nur um »die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung« zu kümmern, wird an weiteren Äußerungen deutlich. »Die Staats- und Regierungschefs haben beschlossen, alle notwendigen Schritte vorzunehmen, um Mali bei der Wiedererlangung seiner Einheit und territorialen Integrität zu unterstützen«, heißt es im offiziellen ECOWAS-Statement.

Gerade im Fall Malis könnte sich dieser Schritt allerdings als Bumerang erweisen und die innenpolitische Situation weiter verschärfen. Die Tuareg-Rebellen, die am 6. Aprill formell die Unabhängigkeit des von ihnen kontrollierten Norden Malis aufgerufen haben, dürften den ECOWAS-Plan als faktische Kriegserklärung auffassen. Objektiv wird damit der Kampf zwischen den Aufständischen und der Zentralmacht in Bamako internationalisiert. Unklar ist momentan, ob das ECOWAS-Engagement zum Ziel hat, einem Eingreifen externer Mächte zuvorzukommen und eine »afrikanische Lösung« zu ermöglichen – oder ob nun erst recht einem Engagement etwa der früheren Kolo­nialmacht Frankreich der Boden geebnet wird, das die Region immer als seine besondere Einflußsphäre betrachtet.

Der Westen hat große Sorge vor der Rolle, die radikalislamische Gruppen angeblich oder tatsächlich bei der Tuareg-Erhebung spielen. Der Aufstand wird in erster Linie zwar von der separatistischen Nationalen Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) getragen. Mit Azawad wird das Siedlungsgebiet der Volksgruppe im Norden und Nordosten Malis bezeichnet, das als eigener Staat proklamiert wurde. Die MNLA ist eine Sammlungsbewegung, die sich nach der Rückkehr bewaffneter Tuareg-Einheiten aus dem libyschen Bürgerkrieg neu formiert hatte. Neben der MNLA gibt es aber weitere Organisationen, die auf religiös-fundamentalistischer Grundlage stehen. Dazu gehören die länderübergreifend aktive Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) oder auch die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO), auch bekannt als Ansar Dine. Dieser Gruppe werden gleichfalls intensive Kontakte in internationale islamistische Netzwerke nachgesagt. Naffet Kaita, Tuareg-Experte an der Universität von Bamako, sieht in einem aktuellen Interview mit Vertretern des UN-Informationsnetzes IRIN die Islamisten von MUJAO sogar als wichtigste Kraft hinter der Rebellion im Norden Malis. Der belgische Historiker Baz Lecocq äußerte an gleicher Stelle, daß die MNLA keineswegs die Ziele der Islamisten teile, diese aber nicht angreifen wolle, solange eine große Gegenoffensive von Malis Armee zu befürchten sei. Die islamistischen Gruppen seien einerseits »eine Trumpfkarte« für die MNLA, andererseits wäre ein Zweifrontenkrieg für die Separatisten nicht zu bewältigen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. April 2012


Zurück zur Mali-Seite

Zur Guinea-Bissau-Seite

Zur Afrika-Seite

Zurück zur Homepage