Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Frankreich verbaut Verhandlungsweg

Paris plant Aufstockung der Truppen und militärische »Lösung«

Von Martin Ling *

Frankreich erntet für sein militärisches Vorgehen außerhalb Malis weitgehend Zustimmung. Dass eine ausländische Intervention die islamistischen Gruppierungen zusammenschweißt, ihnen die Propagierung eines »Heiligen Krieges« erleichtert, wird in Kauf genommen. Ein Konzept für eine dauerhafte Befriedung Malis hat Paris nicht in der Schublade.

Die Würfel sind gefallen: Frankreichs UN-Botschafter Gérard Araud drohte den islamistischen Rebellen in Mali nach einer Sondersitzung des Sicherheitsrates einen harten militärischen Kampf an. Der hat längst begonnen und die Rebellen haben den Fehdehandschuh aufgenommen. »Wir haben keine Flugzeuge oder Raketen, aber wir haben den Glauben an Gott, und der wird uns zum Sieg führen«, bekundete ein Sprecher von Ansar al-Dine (»Verteidiger des Glaubens«). Ansar al-Dine ist die malisch dominierte Rebellenbewegung des Tuareg-Führers Iyad Ag Ghaly, die inzwischen offenbar mit der algerisch dominierten AQMI und der mauretanisch geprägten Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) gemeinsame Sache macht. Bis vor Kurzem war das noch anders und der Norden faktisch dreigeteilt: Ansar al-Dine kontrollierte Kidal, die Mujao die Stadt Gao und der Al-Qaida-Ableger AQMI Timbuktu. Aus den Städten haben sie sich nach den Luftangriffen Frankreichs wohl weitgehend zurückgezogen, um nun gemeinsam in der Fläche den »Heiligen Krieg« anzugehen.

Dafür spielt ihnen die Intervention von Frankreich in die Karten, meint der Tuareg-Experte Georg Klute: »Die Rebellen werden die Angreifer als Ungläubige deklarieren, sich in die Wüste zurückziehen und einen Guerillakrieg beginnen.« Das Eingreifen Frankreichs ist für den Ethnologieprofessor der Universität Bayreuth ein Art »Neokolonialismus«, der als Hilfe für die malische Regierung verbrämt wird. »Keine Frage: Die malische Regierung war unfähig, mit den Problemen im Norden fertig zu werden und hat Frankreich um Hilfe gebeten.« Doch Frankreich verfolge in Mali klare Eigeninteressen: Zum einen wolle die »Grande Nation« ihre Stellung in der Region ausbauen und zum anderen gebe es ein konkretes materielles Interesse: die Sicherung der Wirtschaftsinteressen der AREVA-Gruppe, des französischen Industriekonzerns, der seit 40 Jahren im benachbarten Niger Uran für den europäischen Atomstrom abbaut.

Davon ist in den Verlautbarungen Frankreichs keine Rede. Stattdessen plant Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian nach übereinstimmenden Berichten vom Dienstag, bis zu 2500 Soldaten in das westafrikanische Land zu schicken. Dies soll schrittweise geschehen. Die Luftangriffe wurden auch gestern unentwegt fortgesetzt, zusätzlich wurde die Truppenpräsenz am Boden ausgebaut. Eine Kolonne von 40 gepanzerten französischen Fahrzeugen traf in Bamako ein, während zehntausende Malier die Flucht ergriffen.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind bislang nahezu 150 000 Menschen in benachbarte Länder geflohen. Innerhalb des Landes hätten weitere 230 000 Menschen ihre Wohnorte verlassen, um sich andernorts in Sicherheit zu bringen, teilte das UNHCR am Dienstag in Genf mit.

Frankreich verteidigt seine Intervention als Reaktion auf den Vormarsch der islamistischen Rebellenbewegungen vergangene Woche. Klute, der noch im Dezember in der Region weilte und in Algerien mit Vertretern von Ansar al-Dine zusammentraf, vertritt hingegen die Auffassung, dass die Rebellen mit ihrer Offensive nur dem ohnehin von langer Hand und für später geplanten militärischen Eingreifen Frankreichs zuvorgekommen seien. Dabei hätte sich »der wichtigste militärische Kopf«, Iyad Ag Ghali von Ansar al-Dine offenbar verkalkuliert. Weder habe er mit einer derart schnellen Reaktion Frankreichs gerechnet noch angenommen, dass Paris bereits so weit vorbereitet war, um so schnell reagieren zu können. »Hätten die Rebellen das Hauptquartier der malischen Armee, die Militärbasis in der Stadt Sévaré im Norden des Landes, erobert, wäre eine Rückeroberung Nordmalis immens erschwert worden«, beschreibt Klute den militärischen Plan Ag Ghalys.

Die EU plant derweil, Frankreich zu unterstützen, und will so schnell wie möglich Militärausbilder entsenden. Nach einer Krisensitzung und einem Telefonat mit Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte die EU-Außenbeauftrage und Kommissionsvizepräsidentin Catherine Ashton, sie wolle noch in dieser Woche mit den Außenministern der Europäischen Union zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über die Möglichkeiten einer direkten Unterstützung der malischen Regierung zu beraten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte, dass Partnerländer auf die Bitte der malischen Regierung reagiert hätten, sie im Kampf gegen »das beunruhigende Vordringen bewaffneter und terroristischer Gruppen nach Süden zu unterstützen«.

Um eine Lösung auf dem Verhandlungsweg, für die sich laut Klute vor allem Algerien in den vergangenen Monaten stark gemacht hat, geht es der EU und auch der UNO nicht mehr - obwohl so bis zum militärischen Vorpreschen Frankreichs die offizielle Sprachregelung lautete und selbst Frankreichs Präsident François Hollande bei seinem Algerien-Besuch dafür plädierte. Dabei liefen da längst die Vorbereitungen für einen Militäreinsatz. Und was bei alledem unter den Tisch fällt: »Mit einer Rückkehr zum Status quo ante ist im Norden nichts gewonnen, denn dieser Zustand hat den Aufschwung der Islamisten und die Staatskrise doch erst bewirkt«, blickt Klute skeptisch in die Zukunft.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Januar 2013


Mali ersucht Algerien um Finanz- und Militärhilfe im Kampf gegen Extremisten **

Die malische Regierung hat das benachbarte Algerien im Zusammenhang mit der im Norden von Mali laufenden Militäroperation gegen bewaffnete Extremisten um militärische und finanzielle Hilfe ersucht, schreibt die algerische Zeitung „Al-Habar“ am Mittwoch.

Es geht unter anderem um „militärische Verkehrsmittel und andere Militärtechnik sowie um scharfe Munition“. „Algerien prüft diese Bitte, der möglicherweise stattgegeben wird“, so das Blatt.

Als Hauptbedingung für die beantragte Militärhilfe haben die algerischen Behörden Garantien dafür genannt, dass gegen die Zivilbürger in der Region Azawad keine Waffen eingesetzt werden.

Diese Region von Mali wie auch der Süden von Algerien wird von den Touareg-Stämmen bewohnt.

Die malischen Streitkräfte führen derzeit mit französischer Unterstützung Kampfhandlungen gegen die zahlreichen und gut bewaffneten Gruppen von Islamisten, die den Norden von Mali kontrollieren. Algerien war von Anfang an skeptisch in Bezug auf eine gewaltsame Lösung des Problems im benachbarten Mali mit Unterstützung ausländischer Militärs und hatte sogar versucht, einen Dialog zwischen den Behörden und den Rebellen in die Wege zu leiten.

Die algerische Führung befürchtete, dass die Kampfhandlungen im Nachbarland sich auf die Situation in den Grenzegebieten negativ auswirken und zudem einen Zustrom von malischen Flüchtlingen auslösen könnten.

Späterhin wurde jedoch bekannt, dass Algerien der französischen Luftwaffe die Nutzung des eigenen Luftraums für den Militäreinsatz in Mali genehmigt hatte. Außerdem hat Algerien zu Beginn der aktiven Phase der Kampfhandlungen seine Grenze zu Mali geschlossen.

Die radikalen Anhänger des Islam, denen die malischen Behörden Kontakte mit dem Terrornetzwerk Al-Qaida vorwerfen, halten seit mehreren Monaten den Norden von Mali unter Kontrolle und drohen, weitere Territorien des Landes zu besetzen. Die Führung von Mali, die nicht im Alleingang mit den Islamisten fertig werden kann, hatte Frankreich um Hilfe gebeten. In der Nacht zum Montag flog die französische Luftwaffe Angriffe auf Islamisten-Stellungen in Mali. Die Rebellen erlitten schwere Verluste und zogen sich aus den größeren Städten zurück. Die Regierungskräfte haben es aus Mangel an militärischen und finanziellen Mitteln noch nicht vermocht, den Norden des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen.

Mit Genehmigung des UN-Sicherheitsrates soll demnächst ein afrikanisches Militärkontingent zur Unterstützung der Behörden in Mali eintreffen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Mittwoch, 16. Januar 2013


Presse: Putschisten und Touareg-Rebellen in Mali wurden von US-Instrukteuren geschult ***

Die Putschisten und Touareg-Rebellen in Mali, deren Handlungen zur Besetzung des nördlichen Teils des Landes durch Islamisten geführt hatten, sind einem Zeitungsbericht zufolge von US-Instrukteuren im Kampf gegen den Terrorismus geschult worden.

"In den zurückliegenden vier Jahren haben die USA ein umfassendes Anti-Terror-Programm in der Region absolviert sowie bis zu 600 Millionen Dollar in die Ausbildung von Militärkontingenten in Mali investiert", berichtet die "New York Times" am Montag. "Nachdem gut bewaffnete Islamisten aus dem benachbarten Libyen im März 2012 in nördliche Gebiete von Mali eingedrungen waren, kam es in Mali zu einem Militärputsch mit dem von den Amerikanern ausgebildeten General Amada Sanogo an der Spitze."

Dem Blatt zufolge haben die Amerikaner nicht nur den heranreifenden Putsch übersehen, sondern auch außer acht gelassen, dass das Kommando über Elitetruppen an Vertreter der Touareg übertragen wurde, die seit rund 50 Jahren im Konflikt mit der Zentralregierung stehen. "Im April riefen die Touareg im Norden von Mali den Staat Azawad aus. Die Befehlshaber von drei der vier Armeeeinheiten im Norden des Landes gingen samt Personal und Waffen auf die Seite der Separatisten über, verstärkt durch etwa 1600 Deserteure."

"Die Hilfe der Amerikaner erwies sich als nutzlos. Sie hatten die falsche Wahl getroffen", zitierte das Blatt einen malischen Offizier.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Montag, 14. Januar 2013


Paris schickt Panzer

Frankreich setzt Luftangriffe in Mali fort und baut Truppenkontingent aus. UN-Sicherheitsrat begrüßt Intervention. Hunderttausende Menschen auf der Flucht

Von Simon Loidl ****


Frankreich ist endgültig wieder zur Kolonialmacht geworden. Während seit vergangenem Freitag Kampfflugzeuge vom zentralafrikanischen Tschad aus starten, um Bomben auf malische Städte und Dörfer abzuwerfen, rollten in der Nacht zu Dienstag in Côte d’Ivoire stationierte Panzer der Grande Nation über die Grenze nach Mali. Nach Armeeangaben trafen gestern morgen 40 Panzerfahrzeuge und Truppentransporter in der Hauptstadt Bamako ein. Alle drei Länder waren Kolonien, in denen Frankreich seine Präsenz nie aufgab und seit dem Angriff auf Côte d’Ivoire im Frühjahr 2011 auch militärisch ausspielt.

Derzeit sind offiziellen Angaben zufolge 750 französische Soldaten an dem Angriff in Mali beteiligt. Am Dienstag kündigte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an, daß die Truppenstärke »schrittweise« auf 2500 Soldaten ausgebaut werden soll. Unterstützung erhielt Paris vom UN-Sicherheitsrat. Das Gremium begrüßte bei seiner Sitzung am Montag abend in New York den französischen Angriff.

Am Dienstag trafen laut Nachrichtenagentur AFP die Generstabschefs mehrerer afrikanischer Staaten in der malischen Hauptstadt zusammen, um über den Militäreinsatz der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ­ECOWAS zu beraten. Bis zu 3300 Soldaten sollen aus den Ländern der Region zum Einsatz kommen, das größte Kontingent will Nigeria stellen.

Die EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, hat unterdessen die EU-Außenminister für Donnerstag zu einer Sitzung nach Brüssel geladen. Dabei soll etwa die geplante Entsendung von Militärausbildern sowie finanzielle und logistische Unterstützung für die ­ECOWAS-Truppe beraten werden, erklärte Ashton.

Die Bundesregierung hat nach Angaben von Verteidigungsminister Thomas de Maizière noch keine Entscheidung über einen Einsatz getroffen. Man prüfe derzeit den Einsatz von Transportflugzeugen, sagte de Maizière am Dienstag in Berlin.

Unterdessen bekräftigten die Grünen noch einmal ihre Unterstützung des Krieges. »Was Frankreich jetzt macht, ist eine Notoperation«, so Fraktionschefin Renate Künast gestern.

Die Linkspartei sprach sich erneut gegen den Einsatz aus. Der Wehrexperte der Fraktion im Bundestag, Paul Schäfer, sagte, die Regierung »schickt sich an, in Mali alle Fehler aus dem Afghanistan-Einsatz zu wiederholen«.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind bereits fast 150000 Menschen vor dem Konflikt geflohen. Das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten spricht von 230000 Binnenvertriebenen. Für die Versorgung der Malier würden laut Welternährungsprogamm derzeit 100 Millionen Euro benötigt. Obwohl absehbar ist, daß sich die humanitäre Katastrophe durch den französischen Angriff verschärft, begrüßte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon letzteren. Dessen Büro teilte am Montag laut Reuters mit, daß Ban hoffe, der Einsatz würde die »Offensive der Terroristen« stoppen.

Über die Opfer in der Zivilbevölkerung, die die Angriffe bislang gefordert haben, schweigen sich die französischen Militärs, von denen ein großer Teil der Informationen über den Verlauf der Kämpfe kommt, aus. Bei einem Bombardement in der Nacht zum Dienstag auf die tags zuvor von Aufständischen eingenommene Ortschaft Diabaly sind mindestens fünf Menschen getötet und mehrere andere verletzt worden – angeblich ausschließlich »islamistische Kämpfer«.

**** Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. Januar 2013


Flucht vor dem Krieg

Frankreichs Intervention in Mali verschärft die Lage der Bevölkerung *****

Angesichts des Widerstandes der islamistischen Rebellen in Mali richtet sich Frankreich auf einen längeren Einsatz in dem westafrikanischen Land ein. Nach übereinstimmenden Berichten will Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bis zu 2500 Soldaten nach Mali schicken.

Ein Sprecher der malischen Streitkräfte sagte am Dienstag, Frankreich habe seine Luftangriffe gegen Stellungen der Rebellen in Gao, Kidal und Timbuktu im Norden des Landes fortgesetzt. Mit seinem vom UN-Sicherheitsrat einhellig befürworteten Militäreinsatz will Frankreich nach eigenen Angaben verhindern, dass die Rebellen weiter auf die Hauptstadt Bamako vordringen.

Die Militärchefs der Mitgliedsländer der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS berieten am Dienstag über die Aufstellung einer rund 3300 Mann starken gemeinsamen Kampftruppe. Neue Truppenverbände würden in Kürze in Mali eintreffen. Der ECOWAS-Vorsitzende Alassane Ouattara, Präsident der Côte d'Ivoire, trifft heute in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deutschland erwägt die Bereitstellung von Flugzeugen, mit denen Soldaten der ECOWAS-Länder transportiert werden sollen.

Die Lage in Mali hat sich nach Angaben von Helfern durch die jüngsten Kämpfe weiter zugespitzt. Seit dem militärischen Eingreifen Frankreichs habe sich die Zahl der innerhalb Malis geflohenen oder vertriebenen Menschen um mehr als 30 000 erhöht, berichtete das UN-Büro zur Nothilfekoordinierung (OCHA). Insgesamt sind seit April 2012 fast 150 000 Menschen in benachbarte Länder geflohen, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf mit. Im Bild: Flüchtlinge aus Mali in Dori, Burkina Faso.

***** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Januar 2013


Altes Lied

Von André Scheer ******

Es ist der ganz gewöhnliche Imperialismus, der ganz gewöhnliche Krieg um Rohstoffe und Einfluß. Der Krieg, den Frankreich unter lautstarkem Beifall aus Deutschland in Mali führt, macht die Präsenz der einstigen Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent sichtbar. Die Fakten finden sich dezent versteckt in Nebensätzen der Agenturmeldungen. So heißt es, daß französische Panzer in Mali eingerückt sind, kommend aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). Weiter wird notiert, daß die französischen Flieger, die Städte in Mali bombardieren – und dabei selbstverständlich nur Terroristen, auf keinen Fall aber Einwohner treffen –, vom Tschad aus starten. Kaum erwähnt wird, daß der eigentliche Auslöser für den Bürgerkrieg im Norden Malis der Krieg gegen Libyen war, der die gesamte Region noch mehr destabilisierte. Und es fällt auf: Der Hauptfeind ist austauschbar. Im Norden Malis gelten die Islamisten – Gruppen, die eine politische Organisation des Staates nach den Vorgaben ihres jeweiligen Verständnisses der islamischen Religion anstreben – als Terroristen, die um jeden Preis gestoppt werden müssen. In Syrien sind sie Bündnispartner einer »von der internationalen Gemeinschaft als legitime Vertretung des Volkes anerkannten« Allianz bewaffneter Gruppen, deren Dominanz unter den Aufständischen gegen die Regierung von Baschar Al-Assad inzwischen auch von deutschen »Patriot«-Raketen beschirmt wird. Deutsche Waffen werden ohne Wenn und Aber in die wahabitische Klerikalmonarchie Saudi-Arabien geliefert, während die schiitische Islamische Republik Iran zur Existenzgefahr für die zivilisierte Welt stilisiert wird. Mit den islamistischen Milizen, die Libyen beherrschen, hat sich der Westen arrangiert, solange diese nicht die Raffinerien und Fördertürme der Ölkonzerne attackieren. In Ägypten sind die Muslimbrüder aber schon wieder die Bösen, und hierzulande sowieso.

Kaum ziehen wir den religiös-ideologischen Vorhang beiseite, entdecken wir ganz materielle Gründe für Krieg, Interventionen und Besatzung – und für die wechselnden Allianzen. So gibt es immer wieder Berichte über eine Förderung von Uranerz durch den französischen Atomkonzern ­AREVA in dem Gebiet in Mali, das nun durch die Aufständischen bedroht ist. Doch Bodenschätze sind für Frankreich ganz bestimmt nicht der Grund für das »Eingreifen«, ist sich etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung sicher, denn: »So ist der größte Handelspartner Malis nicht die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, sondern längst schon China mit einem Anteil von mehr als einem Viertel.« Wird genau dadurch nicht ein Schuh daraus?

Längst führen die Großmächte in Afrika einen Verteilungskampf um Einflußsphären und Rohstoffe. In den vergangenen Jahren haben dabei die EU und die USA massiv Boden an China verloren. Ist es da ein Wunder, wenn am Dienstag der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament, Bernd Posselt, die Lage in Mali als weiteren Anlaß nimmt, um eine EU-Armee zu fordern?

****** Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. Januar 2013 (Kommentar)

IPPNW appelliert: Verhandlungen statt Krieg

UN-Sicherheitsrat befürwortet militärische Intervention in Mali Uranabbaukonferenz in Bamako vom 16.-18.3.2012

15.01.2013

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert Bundesaußenminister Guido Westerwelle auf, sich trotz der militärischen Eskalation in Mali für politische Verhandlungen einzusetzen. Frankreich im Krieg gegen islamistische Rebellen zu unterstützen sei dagegen der falsche Weg. „Internationale Militäreinsätze können die tiefgreifende politische und ökonomische Krise in Mali nicht lösen, sondern werden weitere Kämpfer gegen den Westen mobilisieren“, erklärt Matthias Jochheim, IPPNW-Vorsitzender.

Die bereits seit langem schwelenden Verteilungskonflikte mit den Bevölkerungsgruppen im strukturschwachen Norden, zu denen die Tuareg gehören, hat die Bundesregierung bisher ignoriert. Auch die Tatsache, dass der Ausverkauf fruchtbarer Ackerböden an Banken, Investmentfonds und Konzerne zu massiven Landvertreibungen von Kleinbauern und –bäuerinnen und Viehhirten führt. Derzeit sind ca. 4,6 Millionen Menschen in Mali von Lebensmittelunsicherheit bedroht. Das Welternährungsprogramm erreicht gerade einmal 360.000 Menschen im Süden und 148.000 im Norden.

Im Mali geht es den Industrieländern zudem um die Sicherung von Rohstoffen. Das Land im Westen Afrikas, das zu den ärmsten Staaten weltweit zählt, verfügt über große Rohstoffvorkommen: Mali ist beispielsweise der drittgrößte Goldproduzent Afrikas. Außerdem verfügt das Land über Phosphatvorkommen, Öl- und Gaslagerstätten und Uranvorkommen.

Vorm 16.-18. März 2012 organisierte die Association des Ressortissants et des Amis de la Commune de Falea in Kooperation mit der IPPNW und dem uranium-network.org in Bamako eine internationale Konferenz zum Thema "Uran, Gesundheit und Umwelt".

Der französische Atomkonzern Cogema (heute AREVA) hatte in Falea, im äußersten Westen des Landes, Uran-, Kupfer- und Bauxitvorkommen entdeckt und das Vorkommen an die kanadische Firma Rockgate Capital Corporation verkauft. Sie schloss mit der Regierung Malis einen Vertrag über den Abbau dieser Rohstoffe. Weder Ältestenrat oder Gemeinderat noch die Bevölkerung wurden offiziell informiert oder gefragt.

Ende Januar oder Anfang Februar wollen AktivistInnen der malischen Sektion von Afrique-Europe-Interact zu einem 4-tägigen Friedensmarsch von Mopti nach Douentza aufbrechen. Mit dem „Weißen Marsch“ (marche blanche) soll der militärischen Intervention gegen die Rebellen eine klare Absage erteilt werden. Die InitiatorInnen setzen weiterhin auf eine dialogorientierte Lösung des Konflikts.

Weitere Informationen zum „Weißen Marsch“ unter http://afrique-europe-interact.net
Weitere Informationen über die Uranabbau-Konferenz in Bamako unter http://www.nuclear-risks.org/de/startseite/artikel/63942257c8/das-uran-muss-in-der-erde-bleiben.html


Kontakt: Angelika Wilmen, Pressesprecherin der IPPNW, www.ippnw.de, Email: wilmen@ippnw.de




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