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Putsch in Mali fiel nicht vom Himmel

Mahamadou Diarra: Die Regierung hat im Kampf gegen die soziale Krise versagt *


Mahamadou Diarra ist Koordinator aller Stationen von Radio Kayira in Malis Hauptstadt Bamako. Das Radio wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Diarra, dieser Tage Gast der Linken Medienakademie in Berlin, gehört der linken Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI) an. Über den jüngsten Putsch in seinem Land befragte ihn für das "neue deutschland" (nd) Martin Ling.


nd: Mali galt als demokratisches Musterland mit einer gut entwickelten Zivilgesellschaft. Aber am Donnerstag putschte das Militär zum ersten Mal seit 1991 wieder. Kam das auch für die Malier überraschend?

Diarra: Nein. Der Blick im Westen ist durch die Imagekampagne der Regierung von Amadou Toumani Touré getrübt. Das Land befindet sich seit vier, fünf Jahren in einer tiefen sozialen Krise, verschärft durch wachsende Gewalt und Unsicherheit. Die seit Januar eskalierende Rebellion im Norden des Landes, die weit über eine Tuareg-Rebellion hinausgeht, ist nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es ist wichtig zu wissen, dass es nicht mit der Regierung verbundene Generäle waren, die diesen Putsch vom Zaun brachen, sondern rebellierende Soldaten der mittleren und unteren Ränge um Hauptmann Amadou Sanogo. Und man muss wissen, dass die Soldaten in der malischen Gesellschaft verwurzelt sind. Mit ihren Familien erleben sie die wachsenden sozialen Probleme hautnah mitbekommen. Deswegen kam der Putsch für die Malier nicht sonderlich überraschend.

Die Putschisten werfen der Regierung Touré vor, das Militär zu wenig mit Waffen und Nachschub im Kampf gegen die rebellierenden Tuareg im Norden unterstützt zu haben. Können Sie dieses Argument verstehen?

Ja. Die Regierung behauptete zwar immer, dass die Soldaten für ihren Kampf im Norden ausreichend ausgestattet sind, die Soldaten haben bei ihren Anrufen zu Hause im Süden aber das Gegenteil erzählt.

Wie schätzen Sie den Rückhalt für die Putschisten in der Bevölkerung ein?

Der ist im Moment auf alle Fälle vorhanden. Es gibt riesige Probleme im Bildungs-, Gesundheits- und Sicherheitsbereich und in der allgemeinen Entwicklung. Die Universitäten liegen zum Beispiel seit ein paar Jahren brach. Wegen Dürre hat sich die Ernährungssituation dramatisch verschärft. Die Regierung hat sich als unfähig erwiesen, die Probleme anzugehen. Der Verdruss in der Bevölkerung ist groß.

Gibt es bereits offizielle Reaktionen der Zivilgesellschaft oder ihrer Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI)?

Von der Zivilgesellschaft liegen mir noch keine Stellungnahmen vor. Für die SADI kann ich sagen: Sie unterstützt den Putsch. Mit dieser Regierung konnte es nicht weitergehen. Ihre Politik, ihre Unfähigkeit, die Probleme im Norden Malis zu lösen, hat nahezu zwangsläufig zu dieser Zuspitzung geführt. Im Norden versuchte die Regierung, eine isolierte Lösung mit ein paar Tuareg-Rebellenführern auszuhandeln, statt alle betroffenen Parteien und Gruppen einzubeziehen. Das widerspricht der kulturellen Tradition Malis, alle Parteien an einem Tisch zu versammeln, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Mali hat ja nicht nur im Norden Probleme, es geht nicht nur um die Rebellion der Tuareg, sie sind nicht die einzigen, die dort auf die Barrikaden gehen. Malis Probleme sind grundsätzlicher: Die Regierung ist korrupt und es fehlt an Entwicklung im Norden, aber auch im Süden!

Ist es nicht ein Rückschlag für die malische Demokratie, dass die Präsidentschaftswahlen Ende April ausfallen?

Nein. Die Vorbereitungen verliefen katastrophal, freie und faire Wahlen wären das ohnehin nicht geworden. Die SADI und andere Oppositionsparteien wurden von der Wahlkommission, die den Urnengang überwachen sollte, ausgeschlossen. Vor Neuwahlen müssten die Probleme rund um Wählererfassung, Transparenz usw. an einem Runden Tisch geklärt werden.

Inwieweit erklärt sich die Rebellion im Norden durch den Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen? Von Gaddafi hieß es, er sei den Tuaregs über die Grenzen Libyens hinaus wohlgesinnt und habe auch die Tuareg-Freiheitsbewegungen im Norden Malis und Nigers unterstützt.

Es gibt sicher einen Zusammenhang. 300 höhere Offiziere aus der Gaddafi-Armee - Tuaregs mit malischen Wurzeln - sind 2011 nach Mali zurückgekehrt und haben jede Menge schwere Waffen mitgebracht. Da stellt sich die Frage, wie schwere Waffen ungehindert ins Land kommen und weshalb die Regierung das nicht unterbinden konnte. Gaddafis Mutter stammte aus Mali, die Familienbande wurden immer gepflegt. Die Regierung hatte im November versucht, die 300 Offiziere durch ein »Friedensangebot« von 100 000 Euro ruhig zu stellen. Das hat nicht geklappt.

Gibt es Anzeichen dafür, dass Frankreich oder die USA den Putsch befürwortet haben?

Das ist durchaus denkbar. Die Rebellen haben kürzlich Tessalit im Norden eingenommen. Dort versucht Frankreich schon seit der Unabhängigkeitserklärung Malis 1960 einen Luftstützpunkt einzurichten, woran auch die USA interessiert sind. Deshalb glauben viele Malier, dass das eine Rolle gespielt haben könnte. Von Tessalit aus könnte man den ganzen afrikanischen Kontinent überwachen.

Welche Perspektiven eröffnen sich jetzt? Besteht nicht die Gefahr, dass die Militärs im Norden noch gewaltsamer vorgehen?

Ich hoffe auf das Gegenteil. Die Rebellen hatten kein Vertrauen in die Regierung. Ohne die Regierung könnte es zu einer Verhandlungslösung kommen. Die malischen Familien sind weit verzweigt, sie kennen die Probleme aller Seiten und wollen sie demokratisch lösen, wie es der Tradition entspricht.

* Aus: neues deutschland, 24. März 2012


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