Kleiner Putsch in Mali
Militär zwingt Übergangsregierung zum Rücktritt
Von Simon Loidl *
In der Nacht zu Dienstag ist der interimistische Premierminister Malis, Cheick Modibo Diarra, von Soldaten verhaftet worden. Wenige Stunden später erklärte er seinen Rücktritt. Eine kurze Rede des Chefs der Übergangsregierung wurde im Fernsehen übertragen. Darin gab er das Ende seines Kabinetts bekannt, nannte aber keine Gründe für diesen Schritt.
Als er verhaftet wurde, war Diarra verschiedenen Berichten zufolge im Begriff, das Land zu verlassen. Ein Militärsprecher erklärte laut Nachrichtenagentur dapd, Diarra »habe aus Mali fliehen wollen«. Radio France International meldete hingegen, der Premierminister wollte für medizinische Untersuchungen nach Paris fliegen.
Hintergrund der Verhaftung sind Differenzen zwischen Diarra und der Armee über die Lösung des Konfliktes im Norden des westafrikanischen Landes. Während die Regierung sich für eine Intervention durch eine Militärallianz aus mehreren Ländern der Region mit Unterstützung von EU und USA einsetzt, lehnen die vormaligen Putschisten jegliche Einmischung von außen ab. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und die Afrikanische Union (AU) unterstützen den Plan, gegen die Islamisten vorzugehen. Mehrere Länder der Europäische Union wollen sich an einer Intervention beteiligen. Am vergangenen Montag beschlossen die EU-Außenminister die Entsendung von 250 Militärausbildern nach Mali.
Diarras Regierung war seit April dieses Jahres im Amt und sollte nach dem Putsch einige Wochen zuvor das Land bis zu den nächsten regulären Wahlen führen. Im März hatten Militärs unter der Führung von Hauptmann Amadou Sanogo den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré gestürzt und zehn Regierungsmitglieder verhaftet. Auslöser des Staatsstreichs war die nach Ansicht der Soldaten mangelhafte Unterstützung für den Kampf der Armee gegen aufständische Tuareg im Norden Malis. Ausgerechnet der Umsturz hatte dann zur Folge, daß der gesamte Norden des Landes der Kontrolle Bamakos entglitt. Mehrere Städte wurden von Kämpfern der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) im Bündnis mit islamistischen Organisationen eingenommen. In der Folge kam es zu Rivalitäten zwischen den Gruppen, die zu einer Verdrängung der säkular ausgerichteten MNLA führten. In den vergangenen Wochen gab es Berichte, wonach es mittlerweile verstärkte Spannungen zwischen den islamistischen Gruppen gibt. So zeigte die MNLA-Abspaltung Ansar Dine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der MNLA und Regierungsvertretern.
In der Hauptstadt war es bereits im Mai zu ersten Auseinandersetzungen zwischen den Putschisten und der provisorischen Regierung gekommen. Nach einem Angriff auf Interimspräsident Dioncounda Traoré wurde Hauptmann Sanogo zwsichenzeitlich zum neuen Übergangspräsidenten ernannt. Im August präsentierte Premier Diarra schließlich eine neue Regierungsmannschaft, in der mehrere Vertraute Sanogos vertreten waren. Traoré war kurz zuvor nach einer zweimonatigen Behandlung seiner bei dem Angriff erlittenen Verletzungen aus Frankreich wieder in sein Amt zurückgekehrt.
Am vergangenen Wochenende war es in Bamako zu Demonstrationen für eine Militärintervention im Norden des Landes gekommen. Die Kundgebungen wurde verschiedenen Berichten zufolge von Diarra mitorganisiert. Die vormaligen Putschisten werfen ihm vor, den Versuchen zur Lösung des Konfliktes entgegenzuarbeiten. So boykottiere er etwa seit Tagen eine nationale Konferenz, die Auswege aus der Situation suche. Dies führten Armeevertreter auch als Begründung für die Verhaftung an. »Dies ist kein neuer Staatsstreich«, sagte ein Sprecher der März-Putschisten gegenüber dem Sender France 24 zu den Vorfällen vom Dienstag. Diarra habe aber keine seiner Aufgaben erfüllt: Weder sei der Weg für Neuwahlen geebnet worden, noch habe der Premier den Konflikt im Norden lösen können. Diarra habe lediglich seine persönliche Agenda verfolgt und nicht im Interesse des Landes gehandelt. Noch im Laufe des Tages wollte die Armee einen Nachfolger für das Amt des Premiers präsentieren.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Dezember 2012
Regierung in Mali gestürzt
EU bereitet weiter Einsatz von Militärausbildern vor **
Mit dem erzwungenen Rücktritt der
Regierung in Mali haben frühere Putschisten
das politische Chaos in dem
westafrikanischen Land verschärft.
Nur wenige Stunden nach der Erstürmung
seines Hauses trat Regierungschef
Cheick Modibo Diarra
zurück. »Ich entschuldige mich bei
allen Menschen in Mali, die unter
dieser Krise zu leiden haben«,
sagte er am Dienstagmorgen in einer
Fernsehrede, in der er seinen
Rücktritt und den der gesamten
Regierung bekannt gab. Diarra
sprach von der »schwierigsten
Phase unserer Geschichte«. Die
Militärs betonten derweil: »Dies ist
kein Putsch.«
Der Chef der Übergangsregierung
war in der Nacht von etwa 15
Soldaten zeitweise festgenommen
worden. Die Soldaten sollen auf
Befehl von Hauptmann Amadou
Haya Sanogo gehandelt haben, der
bereits im März in einen Militärputsch
verwickelt war. Ein Militärsprecher
in Bamako sagte der
Nachrichtenagentur dpa, Diarra
befinde sich in Sicherheit. Präsident
Dioncounda Traoré werde einen
neuen Regierungschef ernennen.
Die Ursache für die militärische
Intervention seien interne
Konflikte gewesen, sagte der Militärsprecher.
Der geplante Militäreinsatz
im Norden Malis habe keine
Rolle gespielt. Die Militärs hatten
im März den gewählten Präsidenten
Amadou Toumani Touré
mit der Begründung gestürzt, dass
die Regierung nicht entschlossen
genug im Kampf gegen die Islamisten
und Tuareg-Rebellen im
Norden des Landes durchgreife.
Regierungschef Diarra galt als
entschiedener Befürworter einer
internationalen Friedenstruppe,
die im Auftrag der UNO gemeinsam
mit den malischen Einheiten
die Macht der Separatisten im
Norden brechen soll. Angeblich
wollen manche Militärs, unter ihnen
Hauptmann Sanogo, lediglich
internationale Unterstützung bei
Ausrüstung, Ausbildung und Logistik.
Der Militäreinsatz soll aber
in nationaler Regie geführt führen.
Die Vorbereitungen der EU für
den Einsatz von Militärausbildern
in Mali gehen trotz des Sturzes von
Regierungschef Diarra weiter.
»Natürlich werden wir ganz besonders
aufmerksam verfolgen,
welche Haltung das Militär einnimmt
und ob es sich weiterhin in
das politische Leben einmischt
oder nicht«, sagte ein Sprecher der
EU-Außenbeauftragten Catherine
Ashton am Dienstag in Brüssel.
Derzeit befänden sich keine EUMilitärs
in Mali, um den Einsatz
vorzubereiten.
Die EU-Außenminister hatten
am Montag beschlossen, zwischen
200 und 250 Militärausbilder nach
Bamako zu schicken. Sie sollen
dort malische Soldaten ausbilden
und bei Reorganisation der Streitkräfte
helfen. Damit soll Malis Militär
in die Lage versetzt werden,
auch im Norden des Landes wieder
die Kontrolle zu übernehmen.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Dezember 2012
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