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Mali droht Ernährungsnotstand

Rotkreuz-Sprecher Moustapha Diallo über die Lage der Bedürftigsten in dem Krisenland *


Das französische Parlament hat der Verlängerung der Militärmission im Krisenstaat Mali zugestimmt. Beim Votum in der Nationalversammlung gab es keine Gegenstimmen, nur die kommunistischen Abgeordneten und ihnen nahestehende Parlamentarier enthielten sich. Das Mandat sieht die schrittweise Reduzierung der französischen Truppenpräsenz von derzeit 3850 auf 1000 Soldaten bis zum Jahresende vor. Moustapha Diallo ist Sprecher des Westafrika-Büros des Roten Kreuzes. Über die Lage in Mali sprach mit ihm Markus Schönherr.

Das Rote Kreuz wird mit westlichen Werten assoziiert. Wie veränderte die Machtergreifung durch radikale Islamisten die Arbeitsumwelt der Organisation?

Wir sind die weltgrößte humanitäre Organisation. Unser Ziel ist es, das menschliche Leiden zu mindern und das Leben der Schwächsten zu verbessern, ohne Benachteiligung wegen Nationalität, Ethnie, Glaube oder politischer Meinung. Trotz der schwierigen Situation in Mali konnten wir dies bis heute aufrechterhalten.

Erlauben Ihnen die Fundamentalisten, in deren Gebieten zu arbeiten?

Die Stärke des Roten Kreuzes liegt in seinem breiten Netz an Freiwilligen. Dieses Netzwerk erlaubt es uns, selbst an den schwierigsten Orten zu operieren. Unsere Freiwilligen arbeiten in Dörfern und Gemeinschaften im ganzen Land, ob im sicheren Süden oder im umkämpften Norden.

Wie steht es um die derzeitige humanitäre Situation im Norden?

Ernst und extrem fragil. In weiten Teilen des Nordens kommt vermutlich bald eine Ernährungskrise dazu, dort leiden die Menschen unter dem unterbrochenen Nahrungsmittelhandel. Für Flüchtlinge und intern Vertriebene ist Zugang zu Wasser, Unterschlupf, medizinischer Versorgung und Bildung immer noch schwierig.

Wie unterstützen Sie die Opfer des Bürgerkriegs, abgesehen von Nahrungsmitteln?

Wir vereinen Familien, stellen wichtige Verbrauchsprodukte zur Verfügung und stärken das lokale Rote Kreuz. Daneben versorgen wir die Bevölkerung mit Medizin und Trinkwasser.

Gastfamilien sind keine unmittelbaren Opfer. Unterstützen Sie diese dennoch?

Die Vertriebenen aus dem Norden haben meist all ihre Habseligkeiten zurückgelassen und sind bei Familien im Süden untergekommen. Häuser, Wasser, Nahrung und Toiletten werden da reichlich knapp. Das Rote Kreuz hilft mit Zelten und Lebensmitteln. Dennoch, die Notlage der Familien und ihrer Schützlinge bleibt enorm.

Ziehen manche bereits zurück in den Norden?

Zurzeit gibt es 470 000 Vertriebene in der Region, allein 292 000 in Mali selbst. Manche von ihnen kehren langsam in den Norden zurück, aber die meisten weigern sich, bevor es dort nicht sicher ist, Hilfsorganisationen vordringen und sie versorgen können.

Sie bereisten kürzlich die Flüchtlingslager in Niger ...

... wo derzeit rund 50 000 Malier in fünf Lagern leben. Unterernährung grassiert. Wegen der schlechten Ernte, unstetigem Regen und steigenden Lebensmittelpreisen, kombiniert mit dem Mali-Konflikt, können die Bauern kaum ihre eigenen Familien ernähren. In den Flüchtlingslagern sucht das Rote Kreuz unterernährte Kinder und päppelt sie auf. Die Familien werden über Ernährung aufgeklärt.

Berichten zufolge kam es seitens der malischen Armee zu Missbrauch gegenüber der Bevölkerung. Wie reagierte das malische Rote Kreuz?

Das Rote Kreuz hat sieben fundamentale Prinzipien, von denen eines die Neutralität ist. Um das allumfassende Vertrauen aufrecht zu erhalten, dürfen wir keine Seiten einnehmen oder uns in Debatten politischer, ethnischer oder ideologischer Natur einlassen. Alles andere würde unsere Neutralität in einen Kompromiss verwandeln und unsere Fähigkeit schwächen, Hilfe zu leisten.

Inwiefern hat die französische Militärintervention Ihre Arbeitsweise verändert?

Gar nicht. Unser Ziel ist es, die Leiden der bedürftigsten Menschen zu mindern, und das erreichen wir, wie gesagt, durch unsere Freiwilligen. Sie hatten immer schon Zugang zu den Gemeinden im gesamten Land.

Vorige Woche kündigte der Präsident Tschads an, seine Truppen wegen des zu hohen Risikos bald abzuziehen. Frankreich will schrittweise sein Militär reduzieren. Fürchten Sie um die Sicherheit Ihrer Freiwilligen?

Das Rote Kreuz darf sich weder auf Friedenstruppen noch auf das staatliche Militär stützen. Das würde ebenfalls unsere Neutralität gefährden. Das Rote Kreuz hat aber auch keine bewaffneten Leibwächter. Unser Sicherheitsteam steht in ständiger Verbindung mit den Akteuren im Feld. Die Delegation hat immer ein aktuelles Bild von der Sicherheitssituation und trifft die Entscheidung über Entsendung oder Abzug.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. April 2013


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