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Alles offen in Mali

Putschregierung isoliert. Rebellen kontrollieren Norden des Landes. Frankreich warnt vor "islamistischer Gefahr"

Von Simon Loidl *

Die Militärregierung in Mali ist mittlerweile fast vollständig isoliert. Am Dienstag (3. April) kündigte die Afrikanische Union (AU) Reisebeschränkungen und Kontensperrungen gegen das Land an. Tags zuvor hatten die Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ein Handelsembargo gegen die Putschregierung beschlossen. Außerdem wurde die 2000 Mann starke Eingreiftruppe der Staatengemeinschaft mobilisiert. ECOWAS-Vorsitzender Alassane Ouattara, der mit militärischer Unterstützung aus Frankreich vor knapp einem Jahr an die Macht gelangte Präsident von Côte d’Ivoire, bezeichnete den Staatsstreich in Mali als »Schlag gegen die Demokratie«. Die bereits am Wochenende erfolgte Ankündigung des Anführers der Putschisten, Hauptmann Amadou Haya Sanogo, daß die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird und Wahlen stattfinden sollten, konnte die Strafmaßnahmen nicht verhindern.

Das Militär hatte am 22. März Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt, da dieser gegen die aufständischen Tuareg im Norden des Landes zu wenig Mittel zur Verfügung gestellt habe. Die Nachbarländer Malis versuchen nun genau wie internationale und regionale Akteure, das seither entstandene Machtvakuum in dem westafrikanischen Land für die Stärkung der eigenen Position auszunutzen. Am besten ist dies bisher den Tuareg-Rebellen und islamistischen Gruppen gelungen. Mittlerweile kontrollieren diese den gesamten Norden des Landes. Die Rechtfertigung der Putschisten, nämlich den Aufstand effektiver bekämpfen zu wollen, löste sich damit in Luft aus.

Westliche Regierungen nutzen unterdessen die unübersichtliche Lage, um eine für ihre strategischen Interessen günstige mediale Sicht der Dinge zu etablieren. Während die USA ebenfalls Sanktionen gegen die Putschregierung verhängten und die Rebellen aufforderten, die Waffen niederzulegen, ging Frankreich einen Schritt weiter. Außenminister Alain Juppé warnte am Dienstag davor, daß in Mali eine »islamistische Republik« enstehen könnte. Paris wolle die internationale Gemeinschaft gegen diese Gefahr mobilisieren. »Wir brauchen eine gemeinsame Antwort in der ganzen Region auf die islamistische Bedrohung, die von Libyen bis nach Nigeria reicht«, ließ Juppé bereits die Möglichkeit künftiger Interventionen anklingen.

Dabei ist die jetzige Situation unmittelbares Resultat westlicher Interventionspolitik. Politische Beobachter warnten bereits im vergangenen Jahr davor, daß durch den Angriff auf Libyen ausgelöste Flüchtlingsbewegungen im Zusammenspiel mit Aktivitäten islamistischer Gruppen die gesamte Sahel-Zone destabilisieren würden. Aber vor allem die Reaktivierung der militärischen Aktivitäten der Tuareg – der letzte Aufstand dieser Bevölkerungsgruppe, deren Angehörige in mehreren Ländern der Region leben, war 2009 beendet worden – steht offenbar in direktem Zusammenhang mit der Rückkehr zahlreicher Kämpfer aus Libyen. Diese hatten zuvor in der libyschen Armee gedient und kamen nach dem Sturz von Muammar Al-Ghaddafi über den Niger in den Norden Malis. Von Tausenden solcher militärisch gut ausgebildeten und mit modernen Waffen ausgerüsteten Kämpfern wurde während der vergangenen Monate berichtet.

Unklar ist indessen das Verhältnis zwischen der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (­MNLA), der stärksten Kraft der Tuareg-Rebellen, und islamistischen Gruppen. Verschiedene Medien zitierten Augenzeugen, denen zufolge mehrere Städte im Norden Malis von der MNLA gemeinsam mit der islamistischen Ansar Al-Din eingenommen wurde. Am Montag (2. April) seien demnach die Tuareg-Kämpfer aus dem am Sonntag eroberten Timbuktu wieder abgezogen, woraufhin Ansar Al-Din die tags zuvor am Gouverneurspalast gehißte MNLA-Fahne eingeholt und statt dessen eine schwarze Fahne aufgezogen habe. Diese Berichte deuten darauf hin, daß das Bündnis zwischen MNLA und Ansar Al-Din rein taktisch ist und nach gemeinsamen Erfolgen Machtkämpfe zwischen den Gruppen aufbrechen könnten. Die MNLA hat verschiedentlich jegliche Zusamenarbeit mit den Islamisten bestritten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. April 2012


Tuareg-Rebellen rufen Unabhängigkeit für Nord-Mali aus **

Nach ihrem Vormarsch im Norden Malis haben die Tuareg-Rebellen die Region Azawad für unabhängig erklärt. "Wir verkünden feierlich die Unabhängigkeit von Azawad, die von heute an gilt", sagte der Sprecher der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) laut AFP vom 6. April. Die MNLA wolle die Grenzen zu den angrenzenden Staaten anerkennen, sagte der Sprecher der Gruppierung dem französischen Sender France 24. Alle militärischen Aktionen würden eingestellt. Auch in einer im Internet verbreiteten Erklärung gaben die Tuareg-Rebellen die Unabhängigkeit von Azawad bekannt.

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung stieß international auf Ablehnung. Frankreichs Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte in Paris, die Unabhängigkeitserklärung habe keine Bedeutung, solange sie nicht von den afrikanischen Staaten anerkannt werde. Ein Sprecher des Außenministeriums in Paris erklärte, die Erklärung werde als "null und nichtig" betrachtet.

Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton sagte in Brüssel, die EU habe in der Krise durchgehend deutlich gemacht, dass sie die territoriale Unversehrtheit Malis respektiere. Die Krise in dem westafrikanischen Land müsse innerhalb der verfassungsrechtlichen Bestimmungen beigelegt werden. Die EU unterstütze die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) bei der Suche nach einem politischen Ausweg.

Auch die Afrikanische Union (AU) wies die Ausrufung der Unabhängigkeit durch die Rebellen zurück. Diese sei "nichtig und habe keinen Wert", hieß es in einer Erklärung von AU-Kommissionspräsident Jean Ping.

Algeriens Ministerpräsident Ahmed Ouyahia sagte der französischen Zeitung "Le Monde", sein Land akzeptiere niemals, dass die territoriale Integrität Malis in Frage gestellt werde. Algerien setze auf einen Dialog, um die Krise beizulegen. Am Donnerstag (5. April) waren im malischen Gao sechs algerische Diplomaten verschleppt worden. Zu der Tat bekannte sich die islamistische Gruppe Ansar Dine.

Azawad nennen die Tuareg-Rebellen ihre Heimatregion, die sich in Mali vom Westen bis in den Norden erstreckt und auch Teile des nördlichen Niger und des südlichen Algerien umfasst. Nach dem Militärputsch am 22. März in Mali gelang es der MNLA gemeinsam mit Ansar Dine innerhalb weniger Tage weite Teile des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die Islamisten hatten sich jedoch zuletzt von den Tuareg distanziert und ihre vormaligen Verbündeten aus der Stadt Timbuktu vertrieben. Ein Ansar-Dine-Sprecher sagte am Freitag (6. April) in einer Videobotschaft, seine Gruppierung erkenne die Unabhängigkeitserklärung der Tuareg nicht an. "Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind", sagte der Sprecher. Ziel sei es, das islamische Recht der Scharia zu verhängen.

Die ECOWAS-Staaten hatten am Donnerstag (5. April) in einer zwölfstündigen Sitzung grünes Licht für einen 2000 Mann starken Militäreinsatz im Norden Malis gegeben. Der Plan muss allerdings nach Diplomatenangaben noch von den jeweiligen Staatschefs unterzeichnet werden.

** Meldungen von Nachrichtenagenturen, 6. April 2012



Mali im Übergang

Von Martin Ling ***

Es ist ein kleiner Schritt aus einer großen Krise: In Mali hat der zivile Übergangspräsident Dioncounda Traoré die Amtsgeschäfte übernommen. Die Putschregierung von Hauptmann Amadou Sanogo ist damit nach drei Wochen schon wieder Geschichte. Doch gelöst ist damit noch keines der Probleme, die die Soldaten der unteren und mittleren Ränge am 22. März aus ihrer Sicht zum Staatsstreich genötigt haben: der Aufstand im dünn besiedelten Norden und die schlechte Ausrüstung der Armee, die den Rebellen das Handwerk legen soll. Und schon gar nicht gelöst sind die den Konflikten zugrunde liegenden Probleme: die generelle Unterentwicklung des Landes und die Vernachlässigung des Nordens, dem in der im Süden weit entfernt gelegenen Hauptstadt Bamako traditionell kein großes Augenmerk gewidmet wird. Probleme gibt's schließlich auch vor der Haustür.

Traoré ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden: Er muss nicht weniger als die territoriale Einheit wiederherstellen. Denn die steht de facto nach der Ausrufung der Unabhängigkeit in Nord-Mali am 6. April durch die Tuareg auf dem Spiel. Auch wenn die Tuareg für ihren Staat Azawad (Land der Nomaden) über ihren Stamm hinaus weder international noch national oder regional bisher auf Unterstützung zählen können, wird es nicht einfach, Mali wieder zu vereinen. Auf dem Tisch liegt bisher nur eine militärische »Lösung«. Doch ohne eine Entwicklungsstrategie wird der Norden nicht zu befrieden sein. Das zeigt die Erfahrung.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 13. April 2012 (Kommentar)


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