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Gesucht wird ein malischer Mandela

Tuareg-Experte Georg Klute über die Legitimität der Präsidentschaftswahlen


Georg Klute ist Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Seit 1973 gehört der nördliche Sahel (Algerien, Mali, Niger) zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten. Über die Situation in Mali vor den Wahlen am Sonntag sprach mit ihm nd-Redakteur Martin Ling.


Kehrt das Land mit den Präsidentschaftswahlen zur Normalität zurück oder ist das nur die Wunschvorstellung Frankreichs?

Bestenfalls könnte ein neuer, von der Bevölkerung als legitim erachteter Präsident eine Phase der Konsolidierung einleiten. Eine Rückkehr zur Normalität vor dem Putsch im März 2012 ist nicht in allen Aspekten wünschenswert. Das würde zwar für ein Ende von Überfällen, Kriminalität, Krieg und Gewalt gelten, nicht aber für die Rückkehr des politischen Regimes in Mali selbst, das mit schweren Fehlern behaftet war und einer Günstlingswirtschaft unter Präsident Amadou Toumani Touré gleichkam. In seiner Ägide von 2002 bis zum Putsch im März 2012 wurden islamistische Gruppen geduldet und aller Wahrscheinlichkeit nach hat das Regime auch selbst an den Einnahmen dieser Gruppen aus Entführungen und Drogenhandel partizipiert. Eine Rückkehr zu dieser Normalität würde nicht weiterhelfen.

Wie könnte eine Konsolidierung aussehen?

Die Präsidentschaftswahl müsste der Beginn einer innergesellschaftlichen Auseinandersetzung sein, eines umfassenden, alle Parteien und Gruppen einbeziehenden Dialogs. Meines Erachtens wäre es sinnvoller gewesen, diesen nationalen Dialog vor den Wahlen abzuhalten und die Frage zu beantworten: Welche Gesellschaft wollen wir? Nach Ende eines solchen zeitlich begrenzten Dialogs hätten Wahlen auf einer »gesünderen« Basis stattfinden können.

Wie steht es um die Wahlmöglichkeit der rund 500 000 Flüchtlinge aus dem Norden? Sind die Voraussetzungen für eine faire und allgemeine Wahl gegeben?

Sicher nicht in vollem Umfang. Es steht fest, dass Hunderttausende Wahlberechtigte nicht teilnehmen können, darunter im europäischen Ausland lebende Malier, aber vor allem Flüchtlinge innerhalb des Landes und diejenigen, die in Nachbarländer geflohen sind. Wobei es sich da insgesamt so um rund sieben Prozent der Wahlberechtigten handeln dürfte, eine halbe Million von sieben Millionen Wahlberechtigten unter den 16 Millionen Maliern. Sollte der neue Präsident von einer großen Mehrheit der Bevölkerung als legitim anerkannt werden, könnte man mit diesen unperfekten Wahlen wohl leben. Denn dann hätte die Führung von Mali wieder eine demokratische Legitimität, die die Übergangsregierung nicht hat. Dafür ist es wesentlich, einen Präsidenten zu finden, der tatsächlich so etwas wie einen Neuanfang in der malischen Politik symbolisieren könnte – quasi einen malischen Nelson Mandela, der nicht mit der alten politischen Elite in Verbindung gebracht wird.

Ist denn unter den 26 Männern und der einen Frau unter den Bewerbern ein Nelson Mandela zumindest in Ansätzen erkennbar und wer sind überhaupt die aussichtsreichsten Kandidaten?

Ein Mandela zeichnet sich leider nicht ab. Die malische Presse handelt drei ehemalige Premierminister – Scheich Modibo Diarra, Modibo Sidibe und Ibrahim Boubacar Keita (IBK) – sowie den früheren Finanzminister Soumaila Cissé als Favoriten. Zudem Dramane Dembélé, der Wunschkandidat von Übergangspräsident Dioncounda Traoré, der selbst nicht antritt. Es gibt einige frische Gesichter, aber laut Umfragen haben sie keine guten Karten. Wie zuverlässig die Umfragen zumal in dieser Lage im Land sind, ist schwer einzuschätzen. Ich rechne mit einer Stichwahl zwischen IBK, der sich in seiner Premierszeit einen Ruf als Macher erworben hat, und Cissé. Eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang dürfte niemand erreichen.

Beide gehören zur alten Elite ...

Ja. Quasi zu den verschiedenen Regimen. IBK war einer der Premiers während der Präsidentschaft Amadou Toumani Tourés, Cissé Finanzminister unter Tourés Vorgänger Alpha Oumar Konaré, der von 1992 bis 2002 amtierte.

Die Wahlen finden auch im Norden statt. Was ist dort aus den islamistischen Gruppierungen geworden, die vor der Intervention Frankreichs die Städte Kidal (Ansar al-Dine), Timbuktu (AQMI) und Gao (MUJAO) kontrollierten?

Die malisch dominierte Ansar al-Dine ist weiter in Kidal präsent, wenn auch nicht offen als Miliz. Ein Teil von ihr hat sich dem Hochkommissariat für die Einheit des Azawad (HCUA) angeschlossen, um durch Verhandlungen die Autonomie des Nordens voranzutreiben. HCUA fungiert quasi als Auffangbecken für diejenigen Islamisten, die sich von der Ansar al-Dine abgewandt haben.

Die MUJAO mit ihren mauretanischen Wurzeln wurde von der französischen Armee aufgerieben – von den 600 gefallenen Islamisten sollen sehr viele der MUJAO entstammen. Die Reste sind in die Dörfer und in die libysche Sahara geflohen. Das gilt auch für die algerisch geprägte AQMI. Sie hat sich aus den Städten zurückgezogen, die malischen Mitglieder wohl in die malischen Dörfer, wo sie die Kultur der Tuareg weiter hochhalten. Gelöst sind die Probleme im Norden weder durch die Intervention noch durch die Wahlen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Juli 2013

Musterstaat in der Krise

Bis zum Militärputsch im vorigen Jahr galt Mali als einer der wenigen demokratischen Musterstaaten in Afrika. Von 1992 bis 2012 gab es ein Mehrparteiensystem mit friedlichen Machtwechseln nach Wahlen. Gleichzeitig kämpfen die Menschen ums tägliche Überleben, denn Mali gehört zu den ärmsten Ländern weltweit.

Auch Korruption und hohes Bevölkerungswachstum stehen der Entwicklung in dem zu mehr als 60 Prozent von Wüste bedeckten Land im Weg. Die Lebenserwartung der rund 16 Millionen Einwohner liegt im Durchschnitt bei nur 54,5 Jahren. Knapp 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Fast drei Viertel der Erwachsenen können nicht lesen und schreiben.

Das 1,24 Millionen Quadratkilometer große Land am Südrand der Sahara ist einer der wichtigsten Baumwollproduzenten Afrikas. Dürreperioden haben der Landwirtschaft aber nachhaltig geschadet. Zudem gehört Mali zu den größten Goldförderern des Kontinents. Als Lieferant von preisgünstigen Konsumgütern wird China ein immer wichtigerer Handelspartner. nd



Ein Ehrenplatz für Frankreichs »Eingreiftruppe«

Präsident François Hollande genießt zu Hause für die militärische Intervention in Mali breite gesellschaftliche Unterstützung

Von Ralf Klingsieck, Paris **


In Frankreich wird die Militärintervention in Mali seit Januar 2013 von großen Teilen der Politik und der Gesellschaft getragen.

Als am 14. Juli der französische Nationalfeiertag wie alle Jahre mit einer Militärparade auf den Pariser Champs Elysées begangen wurde, nahm diesmal die Intervention in Mali einen Ehrenplatz ein. An zweiter Stelle unter den Paradeeinheiten marschierten Abordnungen der französischen »Eingreiftruppe« sowie der Armee Malis und der UN-Stabilisierungsmission für Mali MINUSMA. So wollte Präsident François Hollande den »Sieg gegen den Terrorismus in Mali« feiern.

Hollande surft damit weiter auf der Welle der breiten Zustimmung in der französischen Öffentlichkeit und quer durch fast alle Parteien zur militärischen Intervention im Januar, durch die der Marsch der islamistischen Milizen auf Bamako gestoppt und die Errichtung eines fundamentalislamischen »Gottesstaates« im Herzen Afrikas verhindert werden sollte.

Als im Februar im Pariser Parlament über die Aktion abgestimmt wurde, votierten mit den Sozialisten auch die rechten UMP-Abgeordneten dafür. Nur die Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken sowie die meisten Grünen-Abgeordneten brachten ihre Bedenken durch Stimmenthaltung zum Ausdruck. Seitdem sind die Grünen-Politiker längst umgefallen und jetzt stellt nur noch die Linksfront unbequeme Fragen nach Sinn und Ziel des militärischen Engagements in Mali, nach dessen Dauer und den Kosten, vor allem jedoch nach den Interessen, die dahinter stecken, und nach den Folgen für die Bevölkerung des Landes. Das sind Themen, zu denen sich die Regierung möglichst wenig und nur vage äußert und die auch im traditionellen Fernsehinterview des Präsidenten am 14. Juli nur am Rande gestreift wurden. Allerdings wiederholte er seine Absicht, mit der »Franceafrique«, den Sonderbeziehungen zu den ehemaligen Kolonialländern, Schluss zu machen und sich auch nicht für ein Eingreifen zugunsten des einen oder anderen politischen Lagers in diesen Ländern instrumentalisieren zu lassen.

Doch seine Ankündigungen, die französischen Truppen schnellstens aus Mali wieder abzuziehen, dürften noch lange leere Versprechungen bleiben. Die Lage ist nicht danach. Zwar sind die Islamisten und ihre Verbündeten im Norden Malis militärisch vernichtend geschlagen. Doch der Gegner hat sich nur über die Grenze in den Süden Libyens und in den Norden Nigers zurückgezogen. In Bamako würde man es offenbar gern sehen, wenn die französische Präsenz im Norden noch länger anhält, zumal so die ethnischen Konflikte zwischen der Bevölkerungsmehrheit und den nur zu oft als »Kollaborateure Al-Qaidas« geschmähten Tuareg eingedämmt werden könnten.

Ende 2013 sollten nur noch 1000 französische Militärs im Land verbleiben. Der Zeitplan ist Makulatur. Die UN-Friedenstruppe MINUSMA ist zwar seit Juli im Land, aber es klemmt an allen Ecken und Kanten. Der Rückzug der »Grande Nation« muss warten.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Juli 2013


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