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Nun traf der Bannstrahl auch "Al Dschasira"

Königreich Marokko duldet keine journalistische "Querulanz"

Von Alfred Hackensberger, Tanger *

Marokkos Behörden haben dem in Katar ansässigen Fernsehsender »Al Dschasira« jegliche Aktivitäten in dem Land verboten. Der Sender habe mit »verantwortungslosen Berichten« dem Ansehen und den Interessen Marokkos geschadet, hieß es Ende vergangener Woche aus dem Kommunikationsministerium in Rabat.

»Al Dschasira« berichtete wiederholt über soziale Missstände in dem nordafrikanischen Königreich und über den Konflikt in der besetzten Westsahara. Wie der Sender in einer Stellungnahme zum Verbot seiner Aktivitäten in Marokko darlegte, sei die Berichterstattung stets »professionell, ausgeglichen und präzise« gewesen. Doch darum geht es den marokkanischen Behörden offenbar nicht.

Ein Blick in marokkanische Zeitungsläden mag manchen überraschen. Neben arabischen Titeln findet man dort englisch-, französisch- und deutschsprachige Blätter und etliche Magazine: Film, Bodybuilding, Surfen und Wissenschaft. Khalid Naciri, Marokkos Minister für Kommunikation, verkündet denn auch stolz: »Wir haben große Fortschritte auf dem Gebiet der Pressefreiheit gemacht.«

Im Vergleich zur »bleiernen Zeit« unter dem diktatorischen Hassan II. mag der Minister sicherlich Recht haben. Unter Mohammed VI., der 1999 den Thron erbte, ist Marokko ein liberaleres Land geworden. Trotzdem gibt es Zensur und »rote Linien«, die nicht überschritten werden dürfen. Ausländische Presse wird von den Behörden zuerst inhaltlich geprüft, bevor sie in Geschäften ausliegen darf. Fast routinemäßig werden internationale Zeitungen wie »Le Monde« aus Paris oder »El Pais« aus Madrid immer wieder einmal verboten.

Zu den problematischen Themen zählen: Ceuta und Melilla, die beiden spanischen Enklaven auf marokkanischem Boden, die von Marokko besetzte Westsahara, die Staatsreligion Islam und die delikateste aller Angelegenheiten, nämlich das Königshaus.

Vor einem Jahr veröffentlichten die größte arabische Wochenzeitung »Nichane« und das französischsprachige Pendant »Telquel« eine Meinungsumfrage zur Regentschaft Mohammeds VI. Obwohl die Ergebnisse durchweg positiv waren, wurden die beiden Zeitschriften verboten und ihre Ausgaben verbrannt. »Der König ist kein Thema für öffentliche Diskussionen«, hieß es offiziell aus dem Palast, dem das Verbot der betreffenden Ausgaben nicht genug war. Die Omnium-Nordafrika-Gruppe, eine riesige Holdingfirma, die einen Großteil der marokkanischen Wirtschaft bestimmt und der königlichen Familie gehört, initiierte einen Anzeigenboykott gegen »Nichane« und »Telquel«. Ein Boykott, der offen zugegeben wurde, wie der Verleger beider Magazine berichtete. »Unseren Werbeagenten wurde gesagt, man habe Anordnungen erhalten, keine Aufträge an uns zu vergeben«, klagte Ahmed Benchemsi, der nach nur vier Jahren Laufzeit das Ende von »Nichane« verkünden musste. Die französischsprachige »Telquel« erscheint dagegen weiterhin. Der Großteil der Anzeigenkunden dieses liberalen, säkularen Wochenmagazins stammt aus dem Ausland.

Ohne Polizeirazzien, Verhaftungen und Prozesse hatte das Königshaus sein Ziel erreicht und dem »Querulanten« Ahmed Benchemsi seine Grenzen gezeigt. Der Verleger hatte immer wieder Themen aufgegriffen, die niemand vor ihm anzupacken gewagt hatte: das Gehalt des Königs, den nationalen Geheimdienst, eine neue Interpretation des Korans, Homosexualität oder auch populäre Witze über König und Religion. Mehrfach wurde Benchemsi dafür verhaftet, verhört und vor Gericht gestellt.

Anderen Journalisten und Publikationen erging es ähnlich. Driss Chahtane, Redakteur der Wochenzeitung »al-Mishaal«, der über die Gesundheit Mohammeds VI. geschrieben hatte, wurde wegen »Falschinformation« in erster Instanz zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ebenso Al Anouzla, der in der Tageszeitung »Al Jarida Al Aoula« darüber geschrieben hatte.

Den Karikaturisten Khalid Gueddar und seinen zuständigen Redakteur Taufik Bouachrine traf es noch schlimmer. Beiden gab man vier Jahren Haft für einen Cartoon, der Prinz Moulay Ismail und die Nationalflagge beleidigt habe. Ihre Zeitung »Akhbar Al Youm« wurde geschlossen. Kommunikationsminister Khalid Naciri verkündet indes unbeirrt, Journalisten seien eingeladen, »die Fortschritte der Demokratie zu verteidigen und sie zu bereichern, gleichzeitig aber die Gesetze zu respektieren«.

* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2010

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