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Marokko: Sklavenhandel mit Hausmädchen

Millionen Kinder arbeiten unter entwürdigenden Bedingungen

Von Alfred Hackensberger, Ceuta*

Über 200 Millionen Kinder unter 15 Jahren arbeiten weltweit. Nicht wenige davon unter katastrophalen Bedingungen. Ein neuer Bericht von Human Rights Watch wirft ein Schlaglicht auf die Situation in Marokko. Hausmädchen sind in Deutschland und anderen europäischen Ländern ein Luxus, den sich die wenigen gut Verdienenden und Reichen leisten können. In arabischen Ländern sind Hausmädchen dagegen ein fester Bestandteil des Alltags. Nicht zuletzt wegen der Niedrigstlöhne, die selbst für Familien mit mittelmäßigem Einkommen erschwinglich sind. Haushaltshilfen bekommen zwischen 50 und 100 Euro pro Monat. Dafür müssen sie über 100 Stunden pro Woche arbeiten, meist ohne Pausen oder freie Tage. Obendrein dürfen viele das Haus nicht verlassen, werden geschlagen oder auch vom Hausherrn sexuell missbraucht. Kontakt zur Familie, der in diesen traditionsgebundenen Ländern sehr wichtig ist, gibt es, wenn überhaupt, nur ein, zwei Mal im Jahr. So lautet das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Feldstudie von »Human Rights Watch« über die Arbeitsbedingungen der Hausangestellten in Marokko.

»Wenn ich etwas falsch gemacht habe«, berichtet die 14-jährige Rasha, »wurde ich mit einem Schuh oder einem Gürtel geschlagen. Verließ die Familie das Haus, wurde ich eingesperrt.« Laut Studie würde es mehreren Zehntausend Mädchen in Marokko ähnlich ergehen. Die meisten sind unter 18 Jahren, die ihre Berufskarriere oft im Alter von fünf oder sechs Jahren beginnen. Die Mädchen stammen meist aus ländlichen Gegenden und ihr Lohn ist für ihre verarmten Familien oft das einzige, feste Einkommen. »Es gibt den Mythos«, sagt Clarisa Bencomo von »Human Rights Watch«, »dass sich diese Mädchen durch ihre Arbeit weiterentwickeln würden. Aber die Realität ist eine andere. Viel zu viele Mädchen leiden noch Jahre später unter den Folgen ihres psychischen und physischen Missbrauchs.«

Offiziell ist Kinderarbeit in Marokko unter 15 Jahren verboten. Aber das Gesetz erfasst nicht Hausangestellte. Staatlichen Arbeitsinspektoren ist es nicht erlaubt, private Wohnungen zu betreten und Richter schöpfen den vorhandenen gesetzlichen Rahmen nicht aus, um Arbeitgeber entsprechend zu bestrafen. Der marokkanischen Regierung ist das Problem seit Jahren bekannt. 1999 hatte sie selbst einen Bericht veröffentlicht, indem von 600 000 Kinder (die Hälfte davon Mädchen) unter 15 Jahren berichtet wurde, die statt in die Schule zur Arbeit gingen – insgesamt elf Prozent der 5,5 Millionen Kinder Marokkos. Nach dem Bericht von »Human Rights Watch« kündigte die Regierung nun einen Gesetzentwurf an, der die Arbeit von Kindern im Haushalt generell verbietet. Gleichzeitig wurde ein »Nationaler Aktionsplan« beschlossen, der in den nächsten zehn Jahren Schulprogramme initiiert und arme Familien finanziell unterstützt. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation arbeiten insgesamt 13 Millionen Kinder unter 15 Jahre im Mittleren Osten und Nordafrika. Weltweit steht diese Region damit hinter Asien (127 Mio.), Afrika (48 Mio.) und Lateinamerika (17,4 Mio.) an letzter Stelle.

So schlimm die Situation der Hausangestellten in Marokko auch sein mag, es ist nicht ganz zu verstehen, warum Human Rights Watch ausgerechnet das Maghreb-Land für ihre exemplarische Studie wählte. Das Problem der Hausmädchen ist in anderen arabischen Ländern weitaus gravierender. Dort wird es als Geschäft im großen Stil betrieben, das man fast als »Sklavenhandel« bezeichnen könnte. In Libanon oder auch in den Golfstaaten kann man sich per Katalog sein »Küchen- oder Kindermädchen« aussuchen. Am Flughafen holt man dann die bestellte Ware ab, die in der Regel aus Sri Lanka oder den Philippinen kommt. Sofort nimmt man den Mädchen den Pass ab, um sich angeblich »vor Diebstahl zu sichern«.

Bei den staatlichen Behörden ist der neue Arbeitgeber als haftbarer »Halter« eingetragen. Ohne seine schriftliche Zustimmung kann das Hausmädchen weder in Urlaub nach Hause zu den Eltern fahren noch ihre Stellung wechseln. Wer seine Familie ohne Einverständnis verlässt, ist automatisch illegal und ohne weitere Beschäftigungsmöglichkeit. Der einzige Weg, in dieser Situation zu überleben, ist meist nur die Prostitution. In Saudi-Arabien wurde erst Anfang Januar ein Ring von Bordellen zerschlagen, in denen Hunderte von illegalen Hausmädchen zu Sexdiensten gezwungen wurden.

Letztes Jahr gewährte die libanesische Regierung eine Amnestie für »davongelaufene Hausmädchen«, sicherte ihnen eine »freie Ausreise in ihre Heimatländer zu«. Alleine vor der Botschaft Sri Lankas in Beirut standen weit über 1000 Mädchen Schlange, um einen neuen Pass für die Heimreise zu beantragen, den ihre Arbeitgeber konfisziert hatten.

Generell gelten Hausangestellte aus dem Ausland als Menschen zweiter Klasse. Physischer und psychischer Missbrauch sind keine Ausnahmen. Oft sind sie jahrelang eingesperrt und wissen sich nicht anders zu helfen, als aus dem Fenster zu springen. Urteile wegen Missbrauchs gibt es nur selten. In Saudi-Arabien kam eine Hausherrin nur deshalb vor Gericht, weil sie es zu weit getrieben hatte. Nach jahrelangen Schikanen und Schlägen, hatte die Frau zum heißen Bügeleisen gegriffen, um ihre Angestellte zu bestrafen. Kürzlich starb in Riad ein Hausmädchen, weil es zum wiederholten Male aus dem Fenster geworfen worden war. Die Hausmädchen aus Sri Lanka und den Philippinen im Mittleren Osten sind ein gutes Beispiel der viel zitierten neuen Form der »Globalisierung«. Ob Kinder oder nicht, man holt sich billige Arbeitskräfte aus unterentwickelten Ländern und nützt dabei ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aus. Diese Art von »Globalisierung« wird auch vor Marokko nicht Halt machen. Sicherlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch marokkanische Hausangestellte vielleicht in Europa zum Exportschlager werden. In Ceuta, der spanischen Enklave auf marokkanischem Territorium, sind diese »modernen Zeiten« bereits angebrochen. Tag für Tag strömen Tausende von Haus- und Kindermädchen aus Marokko über die Grenze, um dort bei spanischen Familien ein paar Euro zu verdienen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2006


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