Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

In der Wüste gestrandet

Krieg in Mali verschärft auch die sozialen Probleme in Mauretanien

Von Gerrit Hoekman *

Mauretanien ist eines der ärmsten Länder in Afrika. Der trockene Wüstenstaat kann kaum seine eigenen dreieinhalb Millionen Einwohner ernähren. Doch seitdem in Mali ein blutiger Bürgerkrieg tobt, sind nach Angaben der Vereinten Nationen rund 70000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland über die Grenze nach Mauretanien geströmt. Die libanesische Tageszeitung As-Safir schätzt ihre Zahl sogar auf 200000. Die meisten von ihnen leben in den Flüchtlingslagern. 15000 von ihnen flohen, nachdem Frankreich in den Konflikt zwischen der malischen Regierung und radikalen Islamisten eingegriffen hat.

Die internationale Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« hat erst unlängst wieder auf die katastrophale humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern hingewiesen. Im Camp Mberra sind immer mehr Kinder unterernährt, die Sterblichkeitsrate bei unter Zweijährigen ist dramatisch gestiegen, schlägt »Ärzte ohne Grenzen« Alarm. 10000 Menschen leben dort seit Monaten mitten in der Sahara, As-Safir spricht von über 50000.

Zwar kommen Hilfsgüter aus dem Ausland an, doch die reichen hinten und vorne nicht. »Die mauretanische Regierung ist gezwungen einzuspringen und verteilt Hilfe, die für die eigenen Armen gedacht war«, berichtet As-Safir. Besonders das Wasser ist knapp. Anstatt der nötigen Mindestration von 20 Litern pro Tag, bekommt ein Campbewohner in Mberra im Moment nur etwas mehr als die Hälfte, stellt der Report »Gestrandet in der Wüste« fest, den »Ärzte ohne Grenzen« unlängst herausgegeben hat. Der Wassermangel ist gefährlich für die Gesundheit bei Temperaturen bis zu 50 Grad.

Das Flüchtlingsdesaster trifft Mauretanien in einer Phase innerer Instabilität. Die wirtschaftliche Lage hat sich aufgrund des Kriegs in Mali erheblich verschlechtert, der Handel zwischen beiden Ländern ist beinahe zum Erliegen gekommen, berichtet die arabische Online-Nachrichtenseite »Al-Monitor«. Der zweite schwere Schlag für die Wirtschaft in Mauretanien innerhalb weniger Jahre: 2008 war bereits die Rallye Paris–Dakar wegen der unruhigen Lage in der Sahara-Region und der Sahel-Zone abgesagt worden ist. Seitdem findet das Rennen in Südamerika statt, das bis dahin viel Geld nach Mauretanien spülte.

Präsident Mohammad Ould Abdel Asis steht unter politischen Druck der islamischen Opposition, besonders die seit 2007 erlaubte »Tawassul«-Partei macht ihm zu schaffen. Sie wirft Abdel Asis »schwere Verfehlungen« vor, die »dem Ansehen Maureta­niens schaden«. Es geht um Veruntreuung und Korruption. Die gemäßigte »Tawassul«, die den Muslimbrüdern nahesteht, gewinnt im Volk an Zulauf. Besonders im letzten Herbst konnte sie sich als Alternative zum Präsidenten in Stellung bringen.

Damals hielt sich Abdel Asis sechs Wochen lang in einem französischen Krankenhaus auf, um seine Schußverletzungen behandeln zu lassen, die er sich im Oktober zugezogen hatte. Auf dem Rückweg von seinem Landsitz in die Hauptstadt Nouakchott schossen Soldaten auf den Konvoi. Der Präsident wollte allerdings von einem Anschlag oder gar Putschversuch nichts wissen und sprach von einem »bedauerlichen Unfall«. Abdel Asis war 2008 selbst durch einen unblutigen Coup d’Etat gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten in Mauretaniens Geschichte, Sidi Ould Cheikh Abdallahi, an die Macht gekommen.

Die Regierung in Nouakchott, die man getrost als Militärjunta bezeichnen kann, hat die Sicherheitskräfte in letzter Zeit verstärkt, meldet der US-Nachrichtensender CNN. Die Angst vor »Al-Qaida im islamischen Maghreb« (AQM), dem nordafrikanische Ableger der Bin-Laden-Anhänger, geht auch in Mauretanien um. Das Auswärtige Amt berichtet von Entführungen, die Geiseln seien nach Mali verschleppt worden. Auch die nicht minder gefährlichen Gotteskrieger der salafistischen »Ansar Al-Scharia« treiben seit einigen Monaten im Land ihr Unwesen, schreibt Kaci Racilma, der Nordafrika-Korrespondent von As-Safir.

Bislang präsentierte sich Mauretanien zwar als durch und durch islamisches, aber moderates Land. Es gilt die Scharia, aber Strafen wie das Handabhacken werden nicht praktiziert. Doch inzwischen hätten die haßerfüllten Gedanken der Islamisten bereits die Moscheen erreicht. Dort treffen sie auf einen Nährboden – den Armen und Ungebildeten, den Jungen und Chancenlosen, die ihre Hoffnung in die religiösen Fanatiker setzen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 17. Mai 2013


Zurück zur Mauretanien-Seite

Zur Mali-Seite

Zurück zur Homepage