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Auch "Arbeitsbienen" haben Rechte

13- oder 14-jährig kommen sie als Hausmädchen in die mexikanische Hauptstadt. Viele gehören einer indigenen Minderheit an und schuften täglich 14 oder 15 Stunden

Von Knut Henkel *

Die Bänke in dem kleinen Park sind fast alle besetzt. Die Bibel macht die Runde, hier wird vorgelesen, dort aus dem Kopf zitiert und eine Bank weiter inbrünstig gebetet. »Völlig normal im Parque de Tacuba«, erklärt Ana Laura. »Hier flanieren am Wochenende die Dienstmädchen, die im Zentrum Mexikos arbeiten, und viele von ihnen gehören Bibelkreisen an«, weiß die 34-jährige Frau. Sie arbeitet selbst als Dienstmädchen und kennt die Orte, an denen die Frauen ihre freie Zeit verbringen. Oft ist es nur ein Tag pro Woche, den die jungen Mädchen und Frauen frei haben. »Manche schuften 14, 15 Stunden täglich und viele haben keinen blassen Schimmer von ihren Rechten«, berichtet sie aus eigener Erfahrung.

Ana Laura ist eine typische Vertreterin ihrer Zunft. Mit gerade 13 Jahren begann sie als Hausmädchen zu arbeiten. Auf einer Matratze im Wohnzimmer musste sie schlafen und sich um den Haushalt und die Kinder der Familie kümmern. »Alltag in Mexiko. Jeden Tag fangen Mädchen irgendwo zwischen Chihuahua und Chiapas an, für andere Familien zu arbeiten. Und genau so wie ich haben sie keine Ahnung von ihren Rechten, werden ausgebeutet«, weiß die resolute Frau, die aus einem Dorf im Umland von Mexikos gigantischer Hauptstadt stammt. Dann wuchtet sie gemeinsam mit Marcelina Bautista die sperrige Plastiktasche mit Informationsblättern und Broschüren auf eine der wenigen freien Parkbänke aus grauem Beton.

Manche haben nie eine Schule gesehen

Jeden Sonntag sind die drei Frauen, Marcelina Romara Osorio ist die dritte im Bunde, unterwegs. »Wir verteilen kleine Handzettel und Broschüren über die Rechte und die gesetzlichen Bestimmungen, die Hausmädchen betreffen, und klären auf«, berichtet Marcelina Bautista und streicht sich eine lange pechschwarze Locke aus der Stirn. Die kleine agile Frau ist Generalsekretärin des Bundes der Hausarbeiter Lateinamerikas und der Karibik (CONLACTRAHO) und zugleich die Gründerin des Zentrums zur Unterstützung und Weiterbildung von Hausangestellten (CACEH). Dorthin können die Frauen gehen, wenn sie Unterstützung brauchen.

»Wir informieren, zeigen Möglichkeiten, wie sich die Frauen qualifizieren können, denn viele haben doch nie die Schule abgeschlossen, manche nicht mal gesehen«, erklärt Marcelina Bautista. Sie stammt aus einem der armen Bundesstaaten in Mexikos Süden, aus Oaxaca. Im Alter von 14 Jahren kam sie nach Mexiko-Stadt. »Ich wurde wie viele andere auch als fleißige Arbeitsbiene vermittel«, erklärt die 43-Jährige mit bitterem Lächeln. Spanisch konnte sie damals nicht richtig und wie Abertausende andere auch wurde das Mädchen damals ausgebeutet und diskriminiert.

Drei Jahre lang ließ sie sich das gefallen, bevor sie sich informierte. Zuerst bei einer christlichen Arbeitsorganisation, später hob sie den Blick über den Tellerrand. »Ich musste lernen, Spanisch zu sprechen und zu lesen. Letztlich bin ich erst durch die Kinder der Familie, in der ich arbeitete, darauf gekommen, wie viel Spaß das Lernen macht«, erzählt Marcelina freimütig. Nachdem sie die Kinder bei ihren Hausaufgaben beaufsichtigt hatte, begann sie am Ende ihres Arbeitstags selbst zu lernen. Das war die Grundlage, um sich zu organisieren. Später, im Jahr 2000, gründete sie das »Zentrum zur Unterstützung und Weiterbildung von Hausangestellten«. Anfangs arbeitete sie noch parallel als Hausmädchen, doch seit rund acht Jahren ist Marcelina Bautista in Vollzeit für die Rechte der Hausmädchen unterwegs. Plakate in der U-Bahn kleben gehört genauso zu ihrer Arbeit wie Schulung, Weiterbildung und Beratung junger Mädchen und Frauen, die in fremden Haushalten schuften.

Faktisch im rechtsfreien Raum, denn in der mexikanischen Gesetzgebung sind weder die Arbeitszeiten noch der Zugang zum Gesundheits- und Rentensystem geregelt. »Beim Lohn dient der Mindestlohn als Orientierung. Doch angesichts der wirtschaftlichen Krise versuchen die Arbeitgeber derzeit die Löhne zu drücken«, klagt Marcelina Romara Osorio. Sie hat gerade den ersten Schwung Broschüren verteilt und dabei auf die Existenz des Zentrums hingewiesen. Seit acht Jahren arbeitet sie dort mit und hat sich dabei ständig qualifiziert. Bei der schlanken Frau im rosaroten Kostüm schlägt sich das auch im Lohn nieder, denn sie kennt sich auch in Buchhaltung aus und spricht ein wenig Englisch. Dadurch liefert sie selbst ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Das sorgt bei den jungen Mädchen genauso wie bei den älteren für Akzeptanz. Entsprechend offen reagieren die, wenn die drei Frauen mit ihren Broschüren auftauchen.

Vier Hausmädchen von Ende 20, die regelmäßig in den kleinen Park kommen, lesen die Broschüren und zwei von ihnen gehen zu Marcelina Bautista, um ihr weitere Fragen zu stellen. Ins Gespräch zu kommen, dafür zu sorgen, dass die Informationen weitergegeben werden, das ist der eigentliche Sinn dieser regelmäßigen Besuche in den Parks von Mexikos Hauptstadt. Ohne soziales Netz und Arbeitsgesetz

»Gedanken über die Rechte ihrer Angestellten machen sich viele Arbeitgeber nämlich nicht«, ärgert sich Marcelina Bautista. »Wir arbeiten außerhalb der sozialen Sicherungssysteme und kämpfen für ein eigenes Arbeitsgesetz - das ist nur gerecht«. Doch sämtliche Gesetzesinitiativen in dieser Richtung liegen auf Eis, obgleich immerhin rund zwei Millionen Menschen landesweit betroffen sind. 93 Prozent davon sind Frauen, die im Falle einer Schwangerschaft auf das Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen sind. »Wohin mit den Kindern? Das ist das nächste Problem«, erklärt Marcelina Bautista. Auch ein Grund, weshalb sie selbst keine Kinder hat. Kinder sind mit dem Job als Hausmädchen kaum zu vereinbaren, und wenn es doch welche gibt, wachsen sie oft bei Verwandten oder Bekannten auf.

»Hilfe von den Arbeitgebern ist eher die Ausnahme als die Regel«, sagt Ana Laura, die gerade eine Runde durch den Park beendet und alle Broschüren verteilt hat. Sie ist seit acht Jahren bei ihren derzeitigen Arbeitgebern und gehört faktisch zur Familie. Was aber passiert, wenn die Familie in die wirtschaftliche Krise schlittert, weiß auch sie nicht. »Hausmädchen haben in Mexiko keine Sicherheiten und der Staat zieht sich aus der Verantwortung«, kritisiert sie, steht auf und schnappt sich einen neuen Stapel, um eine weitere Runde durch den Park zu machen.

»Es fehlt an politischem Willen und wir versuchen durch die Medien oder die Zusammenarbeit mit einigen Parlamentariern auf unsere Situation aufmerksam zu machen«, ergänzt Marcelina Bautista.

Eine Hausangestellte wird Ministerin?

Anderswo sind die Frauen schon deutlich weiter. »In Bolivien gibt es eine Gewerkschaft der Arbeiter im Haushalt, und die hat ein eigenes Gesetz initiiert«, erzählt sie begeistert. Dass dort eine ehemalige Hausangestellte zu Ministerehren kam, ist in Mexiko unvorstellbar. Hier werden die dienstbaren Geister in der Kittelschürze oft kaum wahrgenommen, obgleich sie nicht nur im Haushalt sondern auch bei der Betreuung der Kinder unverzichtbar sind. »Ohne uns wäre manche Familie aufgeschmissen und es wäre schon ein Fortschritt, wenn man unsere Arbeit respektieren, anerkennen und wertschätzen würde«, erklärt Ana María Vareda, eine junge Frau, die mit drei Kolleginnen und einem Kind auf einer der Parkbänke sitzt. Das ist längst nicht überall der Fall wie die Kolleginnen bestätigen. »Typisch in Mexiko. Und genau deshalb ist die internationale Koordination so wichtig«, erklärt Marcelina Bautista. So, hofft sie, lässt sich Druck machen.

Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat die Situation der Hausmädchen in aller Welt erst vor einigen Monaten zum Thema gemacht. Im Parque de Tacuba ist das zwar nicht angekommen, aber Mexikos Regierung könnte es registriert haben. Das hofft zumindest Ana Laura, die gerade von ihrer Runde zurückgekommen ist und die Sachen langsam zusammenpackt. Die Broschüren sind alle verteilt und den Rest des Sonntags will sie für sich haben.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2010


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