Schlechte Perspektiven für Jugendliche und Indigene
Laut einer aktuellen Studie lebt fast jeder zehnte Mexikaner in extremer Armut
Von Knut Henkel *
Die Armut in Mexiko nimmt weiter zu.
Kritiker machen die unzureichende
Bildungs- und Sozialpolitik der Regierung
dafür mit verantwortlich.
Die Wachstumsquote der mexikanischen
Wirtschaft kann sich mit
3,8 Prozent 2012 durchaus sehen
lassen. Doch vom Wachstum
kommt längst nicht überall etwas
an. Fehlende Perspektiven sind
dafür ein Grund, die miese Sozialpolitik
der Regierung ein anderer.
So steigt die Zahl der Armen, statt
zu sinken. Von den 117 Millionen
Mexikanern leben 53,3 Millionen
in Armut, davon 11,5 Millionen in
extremer Armut, wie aus einer aktuellen
Studie des Nationalen Rats
für die Evaluierung der Sozialpolitik
(Coneval) hervorgeht.
Die Untersuchung bescheinigt
der Regierung eine wenig glückliche
Hand bei der Reduzierung der
Armut. Positiv ist lediglich, dass
die Studie der Coneval, die eine
staatliche Einrichtung ist, nichts
beschönigt und deren Publikation
auch nicht verhindert wurde.
Die Studie bringt genau das
zum Ausdruck, was viele soziale
Organisationen seit Jahren monieren
– das Fehlen einer verantwortlichen
Sozialpolitik. Die Anstrengungen,
so der Sekretär von
Coneval, Gonzalo Hernández, seien
zu knapp bemessen. Und nur
zehn Prozent der Sozialprogramme
erreichten die Armen, die oft
indigenen Ursprungs sind und in
abgelegenen Regionen leben. Dabei
spiele auch die omnipräsente
Korruption in Mexiko eine wichtige
Rolle. Landesweit wird sich gern
an den staatlichen Töpfen bedient.
Ein weiterer Faktor laut Coneval-
Sekretär Hernández ist die Tatsache,
dass die Armen deutlich stärker
von den teilweise kräftigen
Preisanstiegen bei Nahrungsmitteln
betroffen sind als Angehörige
anderer Schichten. Auch dadurch
nehme die Armut zu.
Ansonsten fehlen gerade für
Jugendliche in der zweitwichtigsten
Wirtschaftsnation Lateinamerikas
die Perspektiven. Die Autonome
Nationaluniversität Mexikos
(UNAM), die größte Hochschule
des Landes, muss derzeit neun von
zehn Studienbewerbern ablehnen.
Anderswo sieht es nicht viel besser
aus, und so fallen viele nach der
Schule in ein Loch. Sie zählen zu
den »ninis« – den rund sieben Millionen
Jugendlichen, die weder
studieren noch einen Job haben.
Einen Grund dafür sieht der Sozialwissenschaftler
Javier Ortiz Cárdenas
in den fehlenden Investitionen
im mexikanischen Bildungssektor.
Auch die Bewegung der
vom Bildungsbetrieb Ausgeschlossen
(MAES) kritisiert, dass
seit 30 Jahren keine neue Universität
in Mexiko gegründet worden
sei – ein Grund für die stagnierende
Zahl der Studienplätze im öffentlichen
Sektor. Der Staat überlässt
das Feld privaten Universitäten,
wie der Rektor der UNAM, José
Narro, kritisiert.
Ähnlich liegt der Fall bei den
Minderheiten. Sozialprogramme in
ländlichen Regionen sind rar und
für die Nachkommen der Ureinwohner
stehen oft kaum Mittel zur
Verfügung, um ihnen Perspektiven
mit alternativen Agrarprojekten
aufzuzeigen. Dahinter steckt oft
auch fehlender politischer Wille,
kritisiert das Menschenrechtszentrum
Tlachinollan im Bundesstaat
Guerrero, das Übergriffe von
Polizei und Militär auf indigene
Minderheiten öffentlich macht.
Respekt gegenüber den Nachkommen
der Ureinwohner mahnt der
Gründer des Zentrums, Abel Barrera
Hernández, an. Kein Einzelfall
wie die Studie aufzeigt, denn die
extreme Armut ist gerade bei den
Minderheiten weit verbreitet.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013
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