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Aufstieg in die "Wohlstandsliga"?

Mexikos Wirtschaftswachstum hat viele Schattenseiten

Von Nils Brock, Mexiko-Stadt *

Bereits zum zweiten Mal darf sich Mexiko einer Einladung zum G8-Gipfel rühmen. Doch was ist dran am Wirtschaftswunder der »Tortilla-Nation«?

So richtig interessiert der mexikanische Gastauftritt auf dem diesjährigen G8-Gipfel in der »Tortilla-Nation« noch niemanden. Das Medieninteresse gilt derzeit immer noch Präsident Felipe Calderóns Papstbesuch am vergangenen Wochenende. Doch das wird sich ändern, meint Ed Duncan Wood, Professor des Unabhängigen Mexikanischen Technikinstitut (ITAM) und Leiter der Forschungsgruppe »G8/G20 México«. »Für die Regierung geht es bei dem Besuch des Gipfels vor allem um Prestige. Sich mit einigen der wichtigsten Staatsoberhäupter zu zeigen, lässt den Präsidenten sicher sehr gut dastehen.« Beim wirtschaftlichen Small Talk braucht sich Calderón auch nicht zu verstecken. Für das Vorjahr kann er ein Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent präsentieren. Mexiko ist die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt und steht für das größte Bruttoinlandsprodukt Lateinamerikas – mit solchen Zahlen empfiehlt man sich gern als aufstrebendes Schwellenland, das – wie Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier es bei seinem Besuch im April diesen Jahres ausdrückte – allerbeste Chancen habe, »in der globalen Wohlstandsliga noch weiter aufzusteigen«. Kritische mexikanische G8-BerichterstatterInnen wie Maria de Magdala vom Netzwerk »Okupache« kontern solche Lobpreisungen mit krassen Gegenbeispielen zum angeblichen mexikanischen Wohlstandstrend. »In Mixtla de Altamirano, im Bundesstaat Veracruz, liegt der Entwicklungsindex der UNO unter Ländern wie Uganda, die Analphabetenquote beträgt 71 Prozent, die Rate der Kinder-sterblichkeit 57,9 Prozent.« Auch in vielen anderen Landesteilen hat das Wirtschaftswachstum das Lebensniveau kaum verbessern, den Arbeitsmarkt kaum beleben können. Jährlich fehlen eine Million neue Arbeitsplätze, ein Umstand, der dazu geführt hat, das heute knapp die Hälfte der Bevölkerung im informellen Sektor tätig ist, während andere jährlich zu Hunderttausenden als Arbeitsmigranten in die USA auswandern.

Aber gerade hinsichtlich dieser beiden »Beschäftigungsventile« wird Mexiko auf dem G8-Treffen einen schweren Stand haben. Lange schon machen die USA und die restlichen »Großen Acht« den zu laschen mexikanischen Rechtsstaat für die hohe Zahl »illegaler Einwanderer« verantwortlich. Die vielen Straßenhändler ohne Gewerbeerlaubnis daheim haben sich derweil auf das Kopieren geistigen Eigentums wie Musik-CD und Film-DVD spezialisiert. Eine Praxis, die beim diesjährigen Gipfel angesichts des Agendapunktes »Innovationsschutz« sicher auf wenig Verständnis stoßen wird.

Doch wird sich die mexikanische Delegation bei diesen kontroversen Themen zumindest verbal als verlässlich präsentieren. Ein härteres Gesetz gegen Raubkopierer soll demnächst verabschiedet werden, und Präsident Calderón warb in den letzten Monaten intensiv für eine gemeinsame zentralamerikanische Sicherheitspolitik: Die mexikanische Südgrenze soll dicht gemacht werden.

Bei anderen Themen fallen Lippenbekenntnisse nicht so einfach. »Mexiko als Erdöl exportierendes Land und Dienstleister hat es verpasst, die gute makroökonomische Lage der letzten fünf Jahr zu nutzen«, findet Duncan Wood. »Es ist kein Geheimnis, dass kaum in die Infrastruktur oder in neue Technologien investiert wurde.« Das rächt sich, denn inzwischen ist die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Schwellenländern der G20-Gruppe rückläufig.

Vor allem Produkte »Made in China« werden für die mexikanischen Industrieerzeugnisse zu einer immer größeren Konkurrenz auf dem USA-Markt, und auch im eigenen Land stillen chinesische Tücher und Stoffe bereits über die Hälfte der Nachfrage. »Vor diesem Hintergrund sollte Mexiko lieber stärker an einer Süd-Süd-Kooperation innerhalb der G20 arbeiten, anstatt sich wie bisher auf Exporte in die USA zu konzentrieren.«

* Aus: Neues deutschland, 8. Juni 2007


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