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Zapatisten in Bedrängnis

Im mexikanischen Chiapas werden Paramilitärs wieder aktiv

Von Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas *

Im südmexikanischen Chiapas haben Angriffe auf die linksgerichtete zapatistische Bewegung einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit Wochen melden die zivilen Selbstverwaltungsräte der Befreiungsarmee EZLN, dass regierungsnahe Gruppierungen mit Gewalt gegen ihre Gemeinden vorgehen.

Im Norden von Chiapas wurden am 8. September etwa 70 zapatistische Familien aus den Dörfern Comandante Abel und Unión Hidalgo vertrieben, obwohl sie den Angreifern zuvor Land überlassen hatten. Die Täter unterhalten direkte Verbindungen zu Paramilitärs, die unter dem zynischen Namen »Paz y Justicia« (Frieden und Gerechtigkeit) bereits Ende der 90er Jahre für Tod und Vertreibung verantwortlich waren. Die Angreifer besetzten das Land und raubten Mais im Wert von 132 000 Pesos – ein Lehrer verdient monatlich etwa 5000 Pesos. Die Geflüchteten leiden unter Krankheiten, Mangelernährung und Traumatisierung infolge der Angriffe.

Die Zapatisten beschuldigen den Innenminister des Bundesstaates Chiapas, Noé Castañon, die Angriffe verantwortet zu haben. Bereits kurz nach dem Landraub trafen Polizeifahrzeuge mit Baumaterial ein, um ein Camp zum Schutz der Invasoren zu errichten. Paramilitärs und Polizei sollen die Vertriebenen an der Rückkehr in ihre Gemeinden hindern.

Am 5. Oktober meldete die pazifistische Organisation Las Abejas (Die Bienen) aus dem zentralen Hochland, dass auch die paramilitärische Gruppe Mascara Roja (Rote Maske), die 1997 ein Massaker an 45 Menschen begangen hatte, wieder aktiv wird und die Opposition terrorisiert. Las Abejas weisen der Regierung von Chiapas unter Gouverneur Juan Sabines und der Bundesregierung unter Felipe Calderón die Verantwortung für die Gewaltakte zu.

Ziele der Aktionen sind nach Einschätzung des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas die Spaltung der kleinbäuerlich- indigenen Gemeinden und die Schwächung der zapatistischen Autonomiebewegung, um neoliberale Entwicklungsvorhaben verwirklichen zu können. Hilfsprogramme für regierungsnahe Gruppierungen und Repressionen gegen Zapatisten durch Paramilitärs, staatliche Sicherheitskräfte und eigene Parteigänger sind Mittel zum Zweck.

Trotz anderslautender Lippenbekenntnisse strebt die Regierung danach, die während des bewaffneten Aufstands der EZLN 1994 besetzten Ländereien zu »legalisieren« und damit zur Privatisierung freizugeben. Eine zwielichtige Rolle spielt dabei der künftige Gouverneur von Chiapas, Manuel Velasco von der Grünen Partei PVEM. Der 32-jährige Oligarchenspross gewann mit Unterstützung der PRI im Juli die Gouverneurswahl und tritt sein Amt im Dezember an. Ausdrücklich lobte er die Politik seines Vorgängers Juan Sabines von der sozialdemokratischen PRD und sagte zu, die Palmöl-Monokultur, den Ausbau des Luxustourismus und die Umsiedlung der indigenen Bevölkerung in sogenannte »Landstädte« fortzusetzen. Kritiker prangern an, dass die Betroffenen, die sich zuvor mehrheitlich kleinbäuerlich selbst versorgt haben, durch diese Art von »Entwicklung« ungefragt und teils gewaltsam in das kapitalistische System integriert werden.

Mexikos künftiger Präsident Enrique Peña Nieto (PRI) hat sich bereits vor seinem Amtsantritt im Dezember zu einer Politik der harten Hand und der neoliberalen Reformen bekannt. Da viele Organisationen – nicht nur die Zapatistas – mit dieser rücksichtslosen Politik nicht einverstanden sind und Widerstand leisten werden, ist mit einer Zunahme der Repression zu rechnen. Zumal der »Drogenkrieg« den Herrschenden die nahezu unkontrollierte Unterdrückung aller Kräfte ermöglicht, die nicht eindeutig auf Regierungslinie sind.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. Oktober 2012 (Beilage zur Frankfurter Buchmesse)


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