Informationsboykott gegen die Zapatisten
Internationale Karawane nach Chiapas versucht Ignoranz mexikanischer Medien zu durchbrechen
Von Luz Kerkeling, La Realidad *
Seit dem 29. Juli bereisen verschiedene Brigaden der »Nationalen und
Internationalen Beobachtungs- und Solidaritätskarawane mit den
zapatistischen Gemeinden« den südmexikanischen Bundesstaat Chiapas.
Die bisher größte internationale Karawane nach Chiapas läuft. Die Ziele
sind ehrgeizig: in Mexiko das mediale Schweigen gegenüber den Zapatistas
zu durchbrechen, praktische Solidarität zu demonstrieren und sich in den
Unterstützungsgemeinden der Zapatisten über die Probleme, aber auch über
die Fortschritte der linksgerichteten Bewegung zu informieren. Insgesamt
nehmen über 300 Personen aus Spanien, Italien, Frankreich, Griechenland,
Schweiz, USA, Iran, Kanada, Argentinien, Deutschland und Mexiko teil.
In Mexiko herrscht seit über einem Jahr ein Informationsboykott seitens
der Massenmedien bezüglich der Situation der zapatistischen Bewegung,
obwohl Paramilitärs, Polizei und die Bundesarmee so repressiv gegen
Unterstützungsgemeinden vorgegangen sind, wie schon seit zehn Jahren
nicht mehr.
Ziel der Aggressionen seitens lokaler Machthaber und der staatlichen
Sicherheitskräfte ist, die zapatistische Bewegung zu schwächen und ihnen
das 1994 im Zuge des Aufstands der Zapatistischen Armee zur nationalen
Befreiung (EZLN) besetzte Land zu entreißen -- unter anderem wegen der
zahlreichen Bodenschätze und der immensen biologischen Vielfalt der
Region. Die Attacken haben nicht nur lokalen Charakter: Sie werden auch
durchgeführt, um ein Anwachsen der »Anderen Kampagne« zu verhindern,
einer 2005 von der EZLN in der »Sechsten Erklärung aus dem
Lakandonischen Urwald« angestoßenen mexikoweiten Mobilisierung, die
außerparlamentarisch und pazifistisch für eine neue antikapitalistische
Verfassung kämpft.
Im autonomen Verwaltungssitz von La Realidad skizzierte der dortige
zivile zapatistische Rat die aktuelle Situation in Ostchiapas. Im
Gegensatz zu anderen Zonen ist die militärische Situation dort relativ
entspannt, so dass die EZLN am weiteren Ausbau ihrer Strukturen arbeiten
kann. Die Karawane führte ein mehrstündiges Interview mit dem Rat und
den Gesundheits- und Bildungspromotoren durch. Sie berichteten von
klaren Fortschritten in ihren Bereichen: Die Kinder-sterblichkeit und
die Todesfälle von Frauen während der Geburt haben seit 1994 drastisch
abgenommen und vor allem im Bereich Prävention hat sich die Situation
deutlich verbessert. In den vier Landkreisen der Zone gibt es mehrere
Krankenhäuser und fast jede Gemeinde verfügt über eine Gesundheitsstation.
Auch im Bildungssektor gibt es positive Entwicklungen. Heute haben
nahezu alle zapatistischen Kinder die Möglichkeit, die Schule zu
besuchen. Der Analphabetismus konnte deutlich reduziert werden. Die
Bildungspromotoren, die die Kinder unterrichten, sehen sich explizit
nicht als professionelle Lehrer, sondern als Begleiter, die die Bildung
der Kinder in verschiedenen Fächern in einem wechselseitigen und
praxisorientierten Prozess vorantreiben. Auch Eltern und Großeltern
werden in die Lehrinhalte und -formen einbezogen. In den zapatistischen
Schulen gibt es keine Noten. Der Bildungsprozess ist stark an den
Lebensrealitäten vor Ort orientiert. Lehrer der Regierung werden in den
Rebellengemeinden nicht mehr zugelassen. Den Kindern wurde beigebracht,
dass sie ihre »zurückgebliebene« indigene Sprache und Lebensweise
vergessen und sich auf eine berufliche Karriere in den Städten
vorbereiten sollten. Heute lernen die Kinder neben Spanisch auch ihre
jeweilige indigene Sprache.
Die Frauen berichteten, dass sie zunehmend in alle Bereiche der Bewegung
einbezogen werden. Als Hinderungsgrund für eine vollwertige Beteiligung
nannten sie nicht nur den Machismo der Männer, sondern auch die
Selbstwahrnehmung der Frauen, die sich nur sehr selten für kompetent
hielten, heute jedoch immer mehr Selbstbewusstsein entwickeln und sich
für die Einhaltung der Revolutionären Frauengesetze der EZLN von 1993
einsetzen.
Die Jugendlichen erläuterten, dass sie sich zu einer zapatistischen
Jugendorganisation zusammengeschlossen haben, um sich in den Bereichen
Video, Radio, Internet, Siebdruck u.a. fortzubilden. Alle Redner
unterstrichen die völlige Unabhängigkeit der Bewegung von mexikanischen
Regierungsinstitutionen.
Subcomandante Marcos, Sprecher und Militärchef der EZLN, stellte klar,
dass es der EZLN nicht darum gehe, den Widerstand zu dominieren, sondern
dass sie eine Kraft unter vielen sei. Marcos kritisierte entschieden,
dass im Gegensatz zu Europa in Mexiko noch immer die Illusion bestehe,
dass eine parlamentarische Kraft nach einem möglichen Wahlsieg
linksorientiert bleiben würde. »Sobald sie an die Macht kommen, hören
sie auf, das zu sein«, so Marcos. »Entweder Du wirst verdaut, oder Du
verwandelst Dich in Scheiße.«
Marcos attackierte zudem die »Koyoten der Solidarität«, die durch ihr
dominantes Verhalten als angebliche EZLN-Vertreter jahrelang Widerstände
von unten unsichtbar gemacht und das positive Image der EZLN solange
genutzt hätten, bis die Zapatistas 2001 klar mit der parlamentarischen
Linken gebrochen hätten. Er rief dazu auf, die direkten Beziehungen
zwischen den verschiedenen basisdemokratischen linken Kämpfen auf
globalem Niveau auszubauen.
* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008
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