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Innerstaatlicher Krieg

Verheerende Bilanz des "Krieges gegen die Drogenmafia" in Mexiko: Ein Sammelband

Von Gerd Bedszent *

Die Verfolgung der Drogenkartelle in Mexiko hat längst den Rahmen einer simplen Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt und kriminellen Banden gesprengt und wird von Konfliktforschern mittlerweile als innerstaatlicher Krieg gewertet. In den Jahren von 1989 bis 2009 hat er etwa 53000 Menschenleben gekostet, weitere 57000 Personen »verschwanden« spurlos. Der Sammelband »NarcoZones« untersucht die sozialen Hintergründe der Gewalteskalation, die, von Mexiko ausgehend, verschiedene Länder Lateinamerikas erfaßt hat.

Mehrere der insgesamt siebzehn Beiträge analysieren den von der mexikanischen Bundesregierung propagierten »Krieg gegen die Drogenmafia«. Dessen Bilanz fällt verheerend aus: Gemäß den im Buch dokumentierten Aussagen zahlreicher Betroffener kann von einer ernsthaften Bekämpfung dieser Kriminalität durch das Militär überhaupt keine Rede sein. Die Soldaten plündern und morden in den Einsatzregionen, Leidtragende sind meist völlig unbeteiligte Einwohner. Oft macht das Militär mit einem Drogenkartell gemeinsame Sache gegen ein anderes oder schließt sich mit den Bossen gegen Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschafter und soziale Netzwerke zusammen. Verwundern kann das nicht. Die Grenzen zwischen staatlichen Institutionen und kriminellen Organisationen sind in dieser Region fließend, lokale Politiker fast immer in verbrecherische Geschäfte verstrickt. Es ist nachgewiesen, daß die Führung des mit Abstand mörderischsten Kartells »Los Zetas« sich fast ausschließlich aus ehemaligen Offizieren der mexikanischen und guatemaltekischen Armee zusammensetzt.

Verschiedene Kritiker der gegenwärtigen Politik militärischer Gewalt werden im Band zitiert. Die einen werfen Mexikos Präsidenten Felipe Calderón vor, sich völlig unvorbereitet in den Drogenkrieg gestürzt zu haben. Andere verweisen zu Recht darauf, daß sich an gesellschaftlichen Verhältnissen nichts ändert, wenn das Militär einen Boß tötet oder inhaftiert. Dieser werde sofort durch eine weitere Person aus dem kriminellen Sumpf ersetzt. Wieder andere argumentieren, daß die Drogenmafia längst in legale und neue illegale Wirtschaftszweige expandiert hat. Und daß es derzeit kaum Bemühungen der Regierungen gibt, kriminell angehäufte Vermögen einzuziehen.

Einig sind sich die meisten Autoren darin, daß die ausgeuferte kriminellen Gewalt eine Folge der neoliberalen Umstrukturierung der mexikanischen Wirtschaft ist. Unter der repressiven PRI-Diktatur wurden die Drogenkartelle in einem eng abgesteckten Wirtschaftssektor geduldet, solange sie sich an die von der Regierung vorgegebenen Spielregeln hielten. Nach dem Sturz des PRI-Regimes und dem Verzicht auf staatliche Wirtschaftslenkung begann unter Präsident Vicente Fox (2000–2006) eine extreme Expansion der Verbrechenssyndikate, die schließlich in einen gnadenlosen, mit brutalster Gewalt geführten Kampf um Anbaugebiete und Schmugglerrouten, um Bürgermeister- und Gouverneursposten überging. Verstärkend hinzu kamen die sozialen Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die den immer mehr verarmenden Angehörigen der Unterschicht oft keine andere Wahl ließen, als sich in die Schattenwirtschaft zu begeben.

Der von den Herausgebern interviewte uruguayische Sicherheitsexperte Edgardo Buscaglia vertritt die Ansicht, daß es in Mexiko und anderen Staaten erst dann eine ernsthafte Bekämpfung der Drogenkartelle geben wird, wenn die Angehörigen der Oberschicht sich persönlich bedroht fühlen. Als ein Beispiel erfolgreicher Zurückdrängung der Mafia nennt er ausgerechnet die Politik der rechtskonservativen Uribe-Regierung in Kolumbien. Sollte sich diese Prognose bewahrheiten, steht Lateinamerika ein deutlicher Schwenk nach rechtsaußen bevor.

Anne Huffschmid/Wolf-Dieter Vogel/Nana Heidhues/Michael Krämer/Christiane Schulte (Hg.): NarcoZones - Entgrenzte Märkte und Gewalt in Lateinamerika. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2012, 268 Seiten, 18 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 21. Mai 2012


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