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Aktionismus im "Krieg gegen die Drogen"

Mexikos Präsident Calderón startet eine Gesetzesinitiative nach der anderen

Von Andreas Knobloch *

Der Drogenkrieg in Mexiko eskaliert mehr und mehr. Mexikos Präsident Felipe Calderón hat weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Banden- und Drogenkriminalität angekündigt.

Nervosität und Unsicherheit auf Seiten der mexikanischen Regierung nehmen augenscheinlich zu. Präsident Felipe Calderón legte dieser Tage dem Kongress ein weiteres Paket von Sicherheitsreformen vor, die helfen sollen, die Koordination zwischen der Regierung in Mexiko- Stadt, den Bundesstaaten und den örtlichen Behörden bei der Drogenbekämpfung und den Polizeieinsätzen zu verbessern. Es ist bereits die zweite Gesetzesinitiative innerhalb von zwölf Tagen. Handel und Lieferung von Drogen sollen danach zukünftig als schwere Delikte behandelt werden; die Strafen für diejenigen steigen, die Drogen an Minderjährige oder in Bildungseinrichtungen und deren Umfeld vertreiben. Die Sanktionen für diejenigen, die Drogen in individuellen Dosen konsumieren, sollen dagegen durch therapeutische Behandlungen ersetzt werden. Zudem soll ein einheitliches Polizeizertifikat eingeführt werden, um der Bevölkerung Vertrauen in die Polizei zurückzugeben und den lokalen und bundesstaatlichen Polizeibehörden mehr Möglichkeiten bei der Untersuchung und Verfolgung von Drogenhandel einzuräumen.

In einer vom Fernsehen übertragenen Botschaft versprach Calderón, »die Straflosigkeit, die Verbrechen und Gewalt umgibt«, zu beenden und rief die Abgeordneten auf, die Gesetzesänderungen zu analysieren, zu debattieren und anzunehmen. Er verteidigte die neuerliche Initiative. Nur mit »noch härteren Gesetzen« sei der Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu gewinnen. Zudem rief er zur Einheit auf und dazu, sich vorbehaltlos der Sache eines Mexikos in Frieden anzuschließen.

In Calderóns Ansprache offenbart sich die ganze Hilflosigkeit der Regierung, der überbordenden Gewalt im Land Herr zu werden. Mittlerweile hat Mexiko Kolumbien als gewalttätigstes Land des Kontinents abgelöst. Seit Beginn des Jahres kamen mehr als 3500 Menschen in Calderóns »Krieg gegen die Drogen« ums Leben.

Am 15. September, dem Unabhängigkeitstag, gab es den ersten Bombenanschlag durch die Drogenkartelle gegen die Zivilbevölkerung, bei dem acht Menschen getötet wurden und Hunderte verletzt. Eine Entführungswelle überzieht das Land. Vor diesem Hintergrund wirken die geforderten Gesetzesverschärfungen wie purer Aktionismus. Und die verzweifelten Aufrufe zur Einigkeit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen verdeutlichen die ganze Konzeptionslosigkeit jenseits militärischer und strafrechtlicher Optionen. Beobachter kritisieren schon seit längerem die blinde Wut, mit der sich der Staat in einen bewaffneten Konflikt mit den Drogenkartellen gestürzt hat, ohne auch nur eine tiefere Analyse organisierter Kriminalität in Mexiko vorgenommen zu haben – das heißt: der Ausmaße von Korruption in den Reihen von Polizei und Verwaltung, der Straflosigkeit, des Waffenhandels oder von Geldwäsche. Nicht zuletzt deshalb wurde der Staat überrascht von der Dimension der Gewalt, mit der die Drogenkartelle zurückschlagen.

Ohne eine tief greifende Polizeireform und Sozialprogramme, die die Ursachen der Drogenkriminalität bekämpfen, ist der Kampf gegen die Kartelle nicht zu gewinnen. Calderóns Gesetzesvorhaben leisten dies nicht einmal im Ansatz.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Oktober 2008


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