Blutiger Drogenkrieg
"Kollateralschäden" durch mexikanisches Militär in der Diskussion. Mögliche Auswirkungen auf Plan Mérida - US-Milliardenhilfe für Kampf gegen Rauschgifthandel
Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *
Die Streitkräfte und die Regierung Mexikos stehen seit einigen Wochen unter starkem Rechtfertigungsdruck. Hintergrund ist eine Anfang Juli von der Washington Post auf ihrer Titelseite veröffentliche Reportage über Menschenrechtsverletzungen der Armee bei der Drogenbekämpfung. Die Zeitung wirft dem Militär »Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Personen« vor. Zudem untersucht sie mögliche Auswirkungen auf den Plan Mérida. Die noch unter der Bush-Regierung vereinbarte Milliardenhilfe für den Kampf gegen die Drogenkartelle könnte nämlich teilweise eingefroren werden.
Die mexikanische Armee ist nahezu unantastbar. In der Vergangenheit war dies der Preis, den die zivilen Präsidenten dafür zahlten, ohne Angst vor einem Putsch regieren zu können. Einerseits waren und sind die Militärs in die oft repressive Regierungspolitik eingebunden. Andererseits bleiben sie bis heute ein Staat im Staate. Der konservative mexikanische Präsident Felipe Calderón setzt seit seinem Amtsantritt Ende 2006 ganz bewußt auf die Streitkräfte. Er versucht, einen Teil seiner Legitimation durch ihren immer massiveren Einsatz für innere Aufgaben zu beziehen. Ganz vorne steht dabei die Bekämpfung des Rauschgifthandels. Je fragwürdiger und blutiger die bisherige Bilanz des »Drogenkrieges« mit bislang Hunderten Toten ist, desto autoritärer wird das Gebaren des Präsidenten und der Armee.
Dabei kommt es »bedauerlicherweise« zu »einigen Kollateralschäden«, wie es Jaime Antonio López Portillo, der Direktor der Menschenrechtsabteilung des Verteidigungsministeriums, vor einigen Tagen ausdrückte. Klagen über Menschenrechtsverletzungen durch das mexikanische Militär häufen sich in den letzten Jahren. Allein bei der staatlichen Menschenrechtskommission CNDH gingen von Januar bis Juni 559 entsprechende Anzeigen ein. Das sind knapp 20 Prozent aller von der Kommission in diesem Zeitraum aufgenommenen Fälle. Doch die CNDH hat nur das Recht, unverbindliche Empfehlungen auszusprechen. Selbst die Untersuchungen der eklatantesten Fälle verlaufen regelmäßig im Sande. Denn das Militär ermittelt gegen sich selbst, die zivile Gerichtsbarkeit bleibt außen vor.
Einer der »Kollateralschäden«, den örtliche Menschenrechtsorganisationen ohne größeres Echo dokumentierten, wurde von der Washington Post ausführlich dargestellt: Der Militärüberfall auf das kleine Bergdorf Puerto Las Ollas im Bundesstaat Guerrero vor zwei Monaten. Ein Ausschnitt: »Die Bewohner erzählten, wie die Soldaten auf der Suche nach Informationen einem 37 Jahre alten körperbehinderten Bauern Nadeln unter die Fingernägel steckten, seinem 13jährigen Neffen ein Messer in den Nacken stachen, auf einen Priester schossen und Lebensmittel, Milch, Kleidung und Medikamente stahlen.« Gerade das Beispiel Puerto Las Ollas und der Bundesstaat Guerrero allgemein zeigen nach Berichten von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen die andere Seite der Drogenbekämpfung: Oft ist sie nämlich nur ein Vorwand, um sozialen Widerstand zu brechen.
Für die Regierungen in Washington und Mexiko-Stadt liegt das Problem darin, daß die Veröffentlichung solcher Vorgänge wie in Puerto Las Ollas den Plan Mérida gefährden könnte. 15 Prozent seines in Raten an Mexiko auszahlbaren Fonds sind an eine verbesserte Menschenrechtssituation im Nachbarland gebunden. Kritiker wie Adrián Ramírez, Präsident der Mexikanischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte, sehen darin vor allem eine Militärhilfe sowie ein verkapptes Investitionsprogramm für die US-Rüstungsindustrie. Sollte der Kongreß in Washington Bedenken haben, könnte er mehr als 100 Millionen Dollar blockieren.
Immerhin sah sich die US-Regierung gezwungen, eine Untersuchung zu fordern, obwohl weder ihr noch Calderón daran liegt, daß die Menschenrechtsverletzungen des Militärs in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Gleichzeitig sprach der Drogenbeauftragte der Regierung Obama, Gil Kerlikowske, dem Kabinett Calderóns sein Vertrauen aus.
Die mexikanische Strategie ist es, vereinzelte Fälle nicht zu leugnen, aber dem Militär ansonsten freie Hand zu lassen. Unter Umgehung des Parlaments erließ Calderón ein am 22. Juli veröffentlichtes Dekret, das dem Generalstaatsanwalt der Militärjustiz mehr Kompetenzen zuweist und einer noch größeren Einflußnahme der Streitkräfte im Bereich innere Sicherheit den Weg bereitet.
* Aus: junge Welt, 30. Juli 2009
Die Mérida Initiative
Bereits im Sommer 2008 hatte der US-Kongress
Mittel für die so genannte Mérida Initiative in
Höhe von über 1,4 Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung
des Drogenhandels bewilligt. Mit dem
Geld werden Militär- und Polizeiausbildung in
Mexiko unterstützt sowie technische Unterstützung
und Ausbildungsprogramme zur Stärkung
des Rechtssystems finanziert. Der Politikwissenschaftler
Francis Fukuyama hat allerdings schon
vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass die
US-amerikanische Hilfe für Mexiko bei der Reform
des Justizsystems auch die Gefahr der Korrumpierung
von US-Behörden birgt: Die unvorstellbaren
finanziellen Ressourcen der Drogenhändler
bedrohen nicht nur die Institutionen eines
Schwellenlandes.
200 Millionen US-Dollar aus den US-amerikanischen
Hilfsmitteln sind für Militärhubschrauber
und zwei Überwachungsflugzeuge vorgesehen. Die Mérida Initiative ist sowohl in den USA als auch in Mexiko umstritten, weil die
Strategie wesentlich in der Bekämpfung von
Drogenproduktion und --handel besteht, aber der
Drogenkonsum in den Absatzmärkten USA und
Europa nicht zur Sprache kommt. Eine Gruppe
hochrangiger lateinamerikanischer Politiker hat
in einem Bericht zu "Drogen und Demokratie"
die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten
und eine Diskussion über Legalisierungsprogramme
gefordert.11 Ähnliche Fragen werden
auch von US-Experten gestellt, denn in den USA
sitzen über 500.000 Personen wegen Drogendelikten
im Gefängnis.
Hinzu kommt, dass der Schmuggel leicht erhältlicher
automatischer Sturmgewehre und großkalibriger
Pistolen von den USA nach Mexiko die
Drogenorganisationen mit einer Ausrüstung versieht,
gegen die sogar Einsatzkommandos der
Polizei oft machtlos sind. Die mexikanischen
Behörden haben seit 2006 insgesamt 35.000
Waffen im Drogenmilieu konfisziert, 90% davon
konnten in die USA zurückverfolgt werden.
Während seines Besuchs in Mexiko Stadt gestand
auch Barack Obama das Problem ein. Er
signalisierte jedoch, dass ein Bann solcher Waffen
zu große politische Gegenwehr im Kongress
hervorrufen würde. Dort war mit Einverständnis
von George W. Bush ein von Bill Clinton
durchgesetztes Verbot vor fünf Jahren nicht
verlängert worden. Um nicht zu sehr in die
Defensive zu geraten, ordnete Barack Obama das
US-Finanzministerium derweil an, alle Vermögen
der drei größten Drogenorganisationen
einzufrieren. Diese Maßnahme betrifft das
Sinaloa-Kartell, die Familia Michoacana und
die Zetas genannten Paramilitärs. Wie weit diese
Entscheidung wirklich dazu beitragen könnte das
Problem zu lösen, ist umstritten.
** Auszug aus: Michael Werz, Waffen, Gewalt und Nachbarschaft. Wie der Drogenhandel Mexiko und die USA einander näher bringt. Hrsg. vom Washington Office der Friedrich-Ebert-Stiftung, Nr. 3 / 2009, S. 4
Mexikos "War on Drugs" und die Mérida Initiative ***
Begünstigt durch die geographische Nähe fungiert Mexiko seit nahezu zwei Jahrzehnten als wichtigster Versorger des US-amerikanischen Drogenmarkts. Über die Nordgrenze werden nicht nur die in Mexiko selbst erzeugten Rauschmittel Marihuana, Heroin und Methamphetamin geschmuggelt, das Land dient auch dem Transit von rund 90% des in den USA konsumierten Kokain. Die durch die Position an der strategischen Schnittstelle des Kokainhandels bedingten riesigen Einnahmen haben zur Entstehung mächtiger krimineller Organisationen -- sogenannter Kartelle -- geführt, die ihre Geschäftsinteressen mit einer Rücksichtslosigkeit verfolgen, die kolumbianische Vorbilder in den Schatten stellt.
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Wichtigster interner Erklärungsfaktor der sinistren "Erfolgsstory" der Drogenkartelle ist die endemische Korruption. Ohne Kollaborateure und Protektoren in Politik, Justiz und Polizei hätten die Drogensyndikate ihre heutige Bedeutung und Schlagkraft nicht erreichen können. Korruption hat die Kartelle stark gemacht, und diese Stärke erschwert jetzt wiederum eine wirkungsvolle Bekämpfung der Korruption.
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Präsident Calderón setzt beim Vorgehen gegen die Drogenkartelle primär auf das Militär. Das mag zur Deeskalation der Gewalt in zahlreichen Brennpunkten des Drogenhandels führen, ist jedoch im Hinblick auf die wesentlichen Triebkräfte des Drogengeschäfts nicht zielführend.
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Langfristige Erfolge gegen das organisierte Verbrechen können nur über den Weg der institutionellen Stärkung von Justiz und Polizei erreicht werden. Entsprechende Ankündigungen Calderóns werden bislang nicht durch konkrete innovative Schritte gestützt.
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Das Hilfspaket der USA (Mérida Initiative) entspricht der Logik der Calderón'schen Antidrogenstrategie und ist von daher kaum geeignet, mehr als kurzfristige und oberflächliche Effekte zu erzielen.
*** Auszug aus der gleichnamigen Analyse von Karl-Dieter Hoffmann; in: GIGA Focus, Nr. 4/2008
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