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"Erst freigelassen, nachdem Lösegeld überwiesen wurde"

Banden mexikanischer Drogenkartelle entführen Latinos, die illegal über die Grenze in die USA wollen. Ein Gespräch mit Óscar Martínez

Der salvadorianische Journalist Óscar Martínez berichtet seit einem Jahr für die Online-Zeitung »ElFaro.net« über Migranten an der Grenze von Mexiko zu den USA.

Wer illegal aus Zentralamerika in die USA auswandert, hat einen gefährlichen Weg vor sich. Die Grenze ist durch einen endlosen Zaun abgeriegelt, jedes Jahr kommen Dutzende Menschen um, teils durch Schußwaffen von US-Grenzern. Jetzt werden Migranten immer häufiger Opfer krimineller Banden. Was wissen Sie darüber?

Bereits Ende 2008 hatten wir einen Bericht mit dem Titel veröffentlicht: »Entführungen, die niemanden interessierten«. Dabei ging es um die sogenannte Atlantik-Route der Migranten. Diese Strecke von Guatemala bis zur US-Grenze ist zugleich die perfekte Route für den Drogenschmuggel – das organisierte Verbrechen hat sie unter Kontrolle.

An der Grenze zum US-Bundesstaat Texas agieren das »Kartell vom Golf« und die sogenannten »Zetas«. Beide hatten ursprünglich als Privatarmeen anderer Kartelle begonnen und sich später verselbständigt. Wir sind diese Route abgefahren und haben dabei Dutzende Migranten getroffen, die von ihrer Entführung durch die Zetas berichteten. Damals wurden sie noch gegen 300 bis 500 Dollar Lösegeld wieder freigelassen, heute ist es schlimmer geworden.

Inwiefern?

Früher haben die Entführer direkt von den Bahnhöfen einzelne Migranten verschleppt – heute sind es mitunter schon ganz Züge. Es gibt Latinos, die im Auftrag der Zetas in diesen Zügen mitfahren, um herauszufinden, welcher Migrant Anhörige in den USA hat. Aufgrund dieser Spitzelberichte wird dann die ganze Gruppe entführt und in bestimmten Häusern festgehalten.

In den jeweiligen Ortschaften wissen die Einwohner genau, was da vor sich geht – sie halten aber dicht. In diesen Häusern werden die Opfer dann in drei Gruppen aufgeteilt: Eine ist die, von denen die Zetas aufgrund der Spitzelberichte wissen, daß sie in den USA zahlungskräftige Verwandte haben. Die zweite Gruppe setzt sich aus denen zusammen, über deren Verwandtschaftsverhältnisse man nichts Genaues weiß, und in der dritten befinden sich die, die gar keine Verwandten haben. Diejenigen mit Angehörigen im Norden müssen dann – mitunter unter Folter – deren Telefonnummern herausrücken. Sie werden erst freigelassen, nachdem per »Western Union« bis zu 5000 Dollar Lösegeld überwiesen wurden.

Wie gelingt es den Entführern, straflos zu bleiben?

Die Zetas sind so hervorragend organisiert, daß sie am hellichten Tag operieren. Vielfach arbeiten auch die Dorfpolizisten für sie.

Hin und wieder landen die Sicherheitsbehörden allerdings auch mal einen Glückstreffer – so konnten Soldaten in einem Fall 120 Migranten aus einem Bauernhaus befreien, in dem sie gefangengehalten wurden. Das Militär ist übrigens die einzige Institution, die den schwerbewaffneten Zetas ab und zu die Stirn bieten kann – allerdings sind viele Einheiten auch schon von diesen Verbrechern unterwandert. Ich gehe davon aus, daß im laufenden Jahr bereits eine fünfstellige Zahl von Migranten entführt wurde, die erpreßten Lösegelder dürften im zweistelligen Millionenbereich liegen.

Was bedeutet das für die betroffene Region?

Die Menschenrechtskommission von Mexiko hat das Problem zumindest erkannt. Sie kann aber nach eigener Einschätzung aus Personalmangel nichts dagegen machen. In den betroffenen Landstrichen ist die Lage verheerend –die Drogenkartelle haben dort die staatliche Autorität ersetzt. Sie kontrollieren auch den illegalen Grenzverkehr der Migranten: Die Fahrer, die die Menschen in die USA schmuggeln, arbeiten gewissermaßen mit Lizenzen der Kartelle, sie müssen eine Art Schutzgeld zahlen. Die Preise sind in den vergangenen Monaten enorm gestiegen. Wer nicht zahlt, wird eben überfallen.

Im Auftrag Ihrer Online-Zeitung recherchieren Sie an Ort und Stelle. Wie bleiben Sie bei dieser Arbeit unbehelligt?

Wir können das nur machen, weil uns die Redaktion dafür freigestellt hat, wir stehen nicht unter Termindruck, wenn wir unsere Beiträge abliefern. Unser persönliches Risiko verringern wir dadurch, daß wir unsere Einsätze minutiös planen und nicht am Ort des Geschehens leben.

Interview: Torge Löding (San José, Costa Rica)

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2009


Regierung schließt per Dekret Stromversorger für Mexiko-Stadt **

Mitglieder der mexikanischen Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter SME haben am Sonntag gegen die Schließung des Unternehmens Luz y Fuerza del Centro protestiert. Die Regierung hatte am selben Tag per Dekret das für die Stromversorgung im Großraum Mexiko-Stadt verantwortliche Staatsunternehmen geschlossen. Grund sei dessen enorme Ineffizienz: Die Ausgaben des Unternehmens überstiegen dessen Einnahmen um das Doppelte, teilte die Regierung mit. Innenminister Fernando Gómez Mont sagte vor Journalisten, die Maßnahme bedeute keine Privatisierung. Vielmehr solle die Stromversorgung durch das ebenfalls staatliche Unternehmen übernommen werden, das bereits für den Rest des Landes verantwortlich ist. Im Großraum Mexiko-Stadt leben rund 25 Millionen Menschen.

Das Dekret der Regierung sieht auch die Entlassung der 44 000 Angestellten des Unternehmens vor. In einer Fernsehansprache kündigte Staatschef Felipe Calderón an, die Entlassenen sollten eine Entschädigung in Höhe von zweieinhalb Jahren Lohn erhalten. Es werde aber versucht, so viele Mitarbeiter wie möglich in dem ab sofort für die Stromversorgung zuständigen Staatsunternehmen aufzufangen.

Kurz vor Verkündung des Dekrets hatten Hunderte Beamte der Bundespolizei die Einrichtungen und Kraftwerke des Stromversorgers besetzt. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es ersten Berichten zufolge nicht. Tausende Demonstranten protestierten vor dem Innenministerium gegen die Schließung des Unternehmens. Die Gewerkschaft fordert die Rücknahme des Dekrets. (AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 13. Oktober 2009


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