Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufklärung durch Information?

Menschenrechtlerin Marisela Ortíz über die Frauenmorde in Mexiko / Die Ex-Lehrerin versucht seit 2001 Licht in das Dunkel der Frauenmorde von Ciudad Juárez (Mexiko) zu bringen *


ND: Frau Ortíz, was hat Sie nach Deutschland geführt?

Ortiz: Unser Ziel ist es, hier einige Organisationen und Politiker über die aktuelle Situation in Ciudad Juárez und über die Frauenmorde in der Region zu informieren.

Wollen Sie Druck auf die Regionalregierung von Chihuahua erzeugen, damit die Verbrechen an 475 Frauen, die in der Grenzregion zwischen 1993 und dem August 2007 ermordet wurden, aufgeklärt werden?

Ja, das ist unsere Strategie angesichts der langjährigen Untätigkeit von Polizei und Justiz. Wir kämpfen gegen die Straflosigkeit und für die Aufklärung. Das sind wir den Toten schuldig.

In Mexiko haben Ihre Bemühungen bisher kaum gefruchtet ...

Es gibt unzählige Opfer. Dazu gehören auch die Kinder der mindestens 475 ermordeten und verschwundenen Frauen. Wir kümmern uns um sie, versuchen ihnen bei der Ausbildung und bei der psychologischen Verarbeitung der Ermordung ihrer Angehörigen zu helfen. Derzeit arbeiten wir mit etwa fünfzig Kindern.

Gibt es Hilfe von Seiten der Regional- oder Nationalregierung für eben diese Arbeit?

Es gibt eine minimale Unterstützung der Regionalregierung. Wir wollen den Kindern und Jugendlichen mit einer Kunsttherapie helfen; ihnen eine Möglichkeit bieten, sich auszudrücken. Doch dafür haben wir seit fast einem Jahr kein Geld mehr. Geld ist jedoch nicht das einzige Problem, denn grundsätzlich fehlt es am politischen Willen in Ciudad Juárez.

Hat es denn weitere Morde in den letzten Monaten gegeben?

Ja, es gab neue Morde, aber es sind deutlich weniger und man hat weniger Leichname gefunden. Allerdings gibt es Fälle, in denen Leichen von Frauen mit Folter- und Vergewaltigungsspuren entdeckt wurden, doch die Behörden haben gegenüber den Medien behauptet, dass es sich um natürliche Todesursachen handele.

Das sind schwere Vorwürfe, wie kommen Sie denn zu diesen Informationen?

Über engagierte Medienvertreter, die recherchieren.

Wie reagieren die offiziellen Stellen auf den Manipulationsvorwurf von Ihrer Seite?

Gar nicht, es gibt einen Pakt zwischen regionaler Regierung, Unternehmern, Medien und der Universität, um das öffentliche Bild der Stadt zu verbessern. Dabei sind es die Morde und die Verschwundenen, die das Image von Ciudad Juárez prägen.

Gibt es neue Verschwundene?

Ja, von Januar bis Mai verschwanden unseren Informationen zufolge 90 Frauen.

Was sind aus Ihrer sicht die Gründe für die Straflosigkeit?

Wir vermuten eine chronische Komplizenschaft zwischen reichen einflussreichen Leuten und den Ermittlungsbehörden. Man hat in den Innenhöfen von Häusern von einflussreichen und besonders skrupellosen Männern die Leichen von Frauen gefunden, die dort vergewaltigt und ermordet wurden.

Wie kann es denn sein, dass in solchen Fällen nicht ermittelt wird?

Es wird ermittelt, aber nicht mit dem Ziel aufzuklären, sondern mit dem Ziel zu verschleiern. Mit den Frauenmorden in Ciudad Juárez muss endlich Schluss sein. Um das zu erreichen, brauchen wir internationale Unterstützung.

Fragen: Knut Henkel

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2007


Zurück zur Mexiko-Seite

Zurück zur Homepage