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Prügel gegen das Erinnern

Mexiko: Polizisten lösen gewaltsam Gedenkmarsch für Massakeropfer auf

Von Haydée Gutiérrez *

In Mexiko-Stadt ist die Polizei am Montag gewaltsam gegen eine friedliche Studentendemonstration vorgegangen. Auf einem Video, das die Tageszeitung La Jornada ins Internet gestellt hat, ist zu sehen, wie Teilnehmer von den Uniformierten angegriffen, geschlagen und festgenommen werden.

Die Studentin Eréndira Allier, die auf der Aufnahme zu sehen ist, als sie von den Beamten brutal weggezerrt wurde, weil sie ein Plakat gezeigt hatte, befinde sich jetzt im Krankenhaus. Das berichtete ein Demonstrationsteilnehmer gegenüber junge Welt. Inzwischen ist eine Liste mit den Festgenommenen aufgetaucht, auf der auch vermerkt ist, daß einige von ihnen offenbar schwer verletzt sind. Allen Verhafteten wird Störung des öffentlichen Friedens sowie Verletzung und Beleidigung der Staatsgewalt vorgeworfen. Am Mittwoch wurden noch 23 Personen festgehalten, die nicht mit ihren Familien kommunizieren dürfen. Erstellt wurde die Liste vom Comité Cerezo México, einer Menschenrechtsorganisation, die nun auch Videoaufnahmen sucht, um den Verhafteten helfen sowie die Brutalität der Polizei aufzeigen zu können.

Ursprünglich hatte es sich bei der Demonstration um einen Gedenkmarsch gehandelt, mit dem an das Massaker vom 10. Juni 1971 erinnert werden sollte. Es war die Zeit des »schmutzigen Krieges« in Mexiko, in der das Militär rücksichtslos gegen regierungskritische Gruppen, Studierende und Guerilleros vorging. An jenem 10. Juni 1971 griff die paramilitärische Gruppe »Los Halcones« (Die Falken), die mit den regulären Streitkräften in Verbindung stand, oppositionelle Studenten in Mexiko-Stadt an und tötete 40 von ihnen. Mehrere Menschen gelten seit damals als »verschwunden«, ihr Verbleib konnte nie aufgeklärt werden. In Anspielung auf den Namen der Paramilitärs ist das Verbrechen als »Halconazo« in die mexikanische Geschichte eingegangen.

Die Verantwortlichen für das Massaker sind bis heute nicht zur Verantwortung gezogen worden. Ein Verfahren gegen den damaligen mexikanischen Präsidenten Luis Echeverría Álvarez wurde eingestellt. Echeverría war schon 1968 Innenminister und somit ebenfalls verantwortlich für ein weiteres Massaker. Am 2. Oktober des Jahres wurden auf dem Platz der drei Kulturen in Tlatelolco, einem Viertel von Mexiko-Stadt, Hunderte Studenten und anderen Demonstranten ermordet. Ziel des damaligen Verbrechens war es, kurz vor den in jenem Jahr in Mexiko stattfindenden Olympischen Sommerspielen für »Ruhe« im Land zu sorgen. Dazu hatten sich Mitglieder eines Kommandos »Olympisches Bataillon« in Zivil unter die Protestierenden gemischt, nur ein weißer Handschuh diente ihnen als Erkennungszeichen. Die Initiatoren der Demonstration wurden so ausfindig gemacht und erschossen. Der damalige General Ernesto Guiterrez Gómez Tagle, der Befehlshaber des Kommandos gewesen war, hat der Politologin Soledad Loaeza zufolge den damaligen Innenminister Echeverría bezichtigt, die treibende Kraft an diesem Verbrechen gewesen zu sein.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. Juni 2013


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