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Karawane gegen Gewalt

In Mexiko-Stadt treffen heute die Teilnehmer eines Friedensmarsches gegen den Drogenkrieg ein

Von Darius Ossami *

Am 9. September war die Buskarawane der »Nationalen Bewegung für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« von Mexico City aus in den Süden des Landes gestartet. Erste Stationen der Karawane, an der sich etwa 600 Menschen beteiligten, waren die Stadt Cuernavaca im Bundesstaat Morelos sowie Chilpancingo und Acapulco im Bundesstaat Guerrero. Nach Kundgebungen an verschiedenen Punkten in Oaxaca, Chiapas, Tabasco, Veracruz und Puebla kehrt sie am heutigen Montag zu ihrem Ausgangspunkt in der Hauptstadt zurück.

Die Karawane fordert ein Ende des Krieges gegen die Drogenbanden und der damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen. Teilgenommen haben Angehörige der zahlreichen Opfer dieses Krieges, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, sowie der Autor und Dichter Javier Sicilia. Sicilia hatte die Karawanen-Bewegung vor fünf Monaten initiiert, nachdem sein Sohn Juan Francisco und drei seiner Freunde einem der zahlreichen Mordanschläge zum Opfer gefallen waren. Seither hat es eine Karawane in den vom Drogenkrieg besonders betroffenen Norden des Landes sowie ein Treffen mit Präsident Calderón gegeben.

Die »Bewegung für den Frieden« ist die erste massenhafte Protestform der mexikanischen Zivilbevölkerung gegen den von der Regierung begonnenen Krieg gegen den Drogenhandel. Diesem Krieg sind bisher an die 50000 Menschen zum Opfer gefallen, und ein Ende des Blutvergießens ist nicht in Sicht. Statt dessen bringen die Auseinandersetzungen eine steigende Anzahl von Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs, eine Einschränkung der Grundrechte der Bevölkerung und eine Zerstörung des sozialen Netzes ganzer Regionen mit sich.

Die jetzige Karawane ist von sozialen Gruppen und Initiativen im Süden Mexikos organisiert worden. Denn auch die südlichen Bundesstaaten sind von massiven Menschenrechtsverletzungen betroffen und für die dortigen Aktivisten und Hinterbliebenen ist die Aufmerksamkeit der nationalen Öffentlichkeit enorm wichtig. »Diese Bewegung gibt Hoffnung«, begründete ein Mann seine Teilnahme, »wir wollen nicht nur Zeugen sein, sondern selber aktiv werden«. Teresa Carmona führte ein Schild mit einem großen Foto ihres Sohnes mit sich: »Ich freue mich, daß er die hübschen Mädchen immer noch zum Lächeln bringt. Keine konnte ihm widerstehen. Er war so charmant, er hätte nicht sterben dürfen«, erklärte sie unter Tränen.

Überall auf ihren Stationen traf die Karawane Menschenrechtsaktivistinnen und Aktivisten, soziale Organisationen sowie Einzelpersonen, die auf der Suche nach verschwundenen Angehörigen sind, aber beim Staat auf taube Ohren stoßen. In Oaxaca berichteten Vertriebene aus der ehemals autonomen Gemeinde San Juan Copala. Neun Monate waren sie von bewaffneten Gruppen der Nachbargemeinden eingekesselt, lebten ohne Licht und Strom und nur mit wenigen Lebensmitteln im Belagerungszustand. Ab und zu fielen Schüsse, Familienangehörige starben. Schließlich gaben sie auf. Nun sitzen sie auf dem Zócalo von Oaxaca-Stadt und fordern Gerechtigkeit.

In Guerrero sprach María Guadalupe Orozco zu der Menge: »Am 1. März 2010 wurde mein Sohn Alejandro García zusammen mit weiteren fünf jungen Männern von der Armee verhaftet. Es gibt Zeugen, doch sie haben Angst und sagen nicht aus. Seitdem sie verschwunden sind, lebe ich nicht mehr.«

Um auf die Rechtlosigkeit der Migrantinnen und Migranten aus Zentralamerika aufmerksam zu machen, hielt die Karawane am 14. September in der guatemaltekischen Grenzstadt Tecun Uman eine Kundgebung ab. Beiderseits der Grenze werden die Migranten systematisch beraubt, mißhandelt, zur Arbeit für die Drogenbanden gezwungen und nicht selten auch verschleppt und ermordet.

Am 16. September gab es eine Feierstunde in Oventic, dem Verwaltungszentrum der Zapatisten. Javier Sicilia sprach ein Grußwort: »Wir müssen diesen Krieg stoppen und einen Frieden in Gerechtigkeit und Würde erreichen«, rief Sicilia in die Menge und forderte »eine Welt, in die viele Welten passen, wo kein Mitglied dieser menschlichen Familie, die in Mexiko lebt, erniedrigt, vergewaltigt oder getötet wird.«

Die Karawane in den Süden geht am heutigen Montag in Mexico City zu Ende. Das Datum ist mit Absicht gewählt. Am 19. September 1985 hatte die Bevölkerung der Stadt nach einem verheerenden Erdbeben beschlossen, statt auf die Hilfe der Regierung zu warten, den Wiederaufbau in die eigenen Hände zu nehmen. Viele noch heute aktive soziale und Bürgerrechtsorganisationen waren damals entstanden.

* Aus: junge Welt, 19. September 2011


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