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Indigene Autonomie ist in Oaxaca unerwünscht

Die PRI kämpft mit paramilitärischen Mitteln um ihre Macht

Von Philipp Gerber, Oaxaca *

Im mexikanischen Oaxaca haben Paramilitärs freie Hand. Mit der Rückendeckung des PRI-Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz gehen sie gegen Menschenrechtler und die Widerstandsbewegung vor.

Der Zeitpunkt der neuerlichen Gewalteskalation ist kein Zufall: Oaxaca befindet sich in der heißen Phase der Gouverneurswahlen. Gabino Cué, charismatischer Kandidat einer parteipolitisch äußerst zweifelhaften Links-rechts-Allianz, liegt in der Wählergunst klar vor dem Kandidaten Eviel Pérez Magaña von der Revolutionären institutionellen Partei (PRI). Die PRI regiert den Bundesstaat Oaxaca seit 81 Jahren ununterbrochen. Das soll so bleiben - notfalls mit Gewalt.

Sicher sein kann sich in Oaxaca derzeit niemand. Erst am vergangenen Samstag wurden sechs Frauen und fünf Kinder entführt, sie sind momentan in Gewalt der Paramilitärs der PRI-Organisation UBISORT. Sie waren unterwegs, um Lebensmittel zu kaufen.

Selbst eine als »Friedenskarawane« gut gekennzeichnete Fahrzeugkolonne, die Lebensmittel und Medikamente in die belagerte Gemeinde San Juan Copala bringen wollte, geriet jüngst in den Hinterhalt von Paramilitärs. »Ein Kugelhagel deckte uns ein«, erinnert sich eine Überlebende. Allein 21 Einschüsse wurden im vordersten Geländewagen gezählt, in dem Beatriz Cariño, 37-jährige Leiterin der sozialen Organisation CACTUS, und der 33-jährige finnische Aktivist Jyri Jaakkola getötet wurden.

Die zwanzig Überlebenden, darunter BeobachterInnen aus Deutschland, Belgien, Italien und Finnland, standen nach der kaltblütigen Attacke auf eine friedliche humanitäre Mission unter Schock. Mehrere erlitten Schussverletzungen, darunter auch David Cilia, Fotoreporter der Zeitschrift »Contralínea«. Die meisten gerieten auf der Flucht in die Fänge der Paramilitärs. Sie hätten die Rückendeckung des PRI-Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz, prahlten sie, luden ihre Gewehre durch und bedrohten die Gekidnappten, bis sie ihnen »für dieses Mal das Leben schenkten« und frei ließen.

Ein Krankenwagen, der sich in das Gebiet wagte, musste unter Beschuss umkehren. Die im Hauptort Santiago Juxtlahuaca stationierte Polizei wagte sich erst 24 Stunden nach dem Überfall kurz in die Region, um die Leichen zu bergen. Vier Vermisste harrten tagelang im Wald versteckt aus. Zwei Aktivisten des libertären Kollektivs VOCAL gelang die Flucht. Ihr Handy-Video mit Aufnahmen der beiden anderen Vermissten setzte die sich durch völlige Untätigkeit auszeichnenden Behörden unter Druck, doch noch eine Suchaktion zu unternehmen. Nach langen 60 Stunden wurden der verletzte Fotoreporter und die Journalistin von »Contralínea« gerettet. Fotos derselben Zeitschrift bezeugen die der Suchaktion vorangegangene Absprache der Polizei mit dem Anführer der Paramilitärs.

Seit Ende 2009 ist die Region gemäß Jorge Albino Ortiz, Sprecher des autonomen Bezirks San Juan Copala, im Würgegriff der UBISORT. Strom und Wasserzufuhr seien abgestellt, weder Lehrer noch medizinisches Personal im Dorf, »und wenn die Frauen auf der Suche nach Wasser und Essen es wagen, die Häuser zu verlassen, werden sie bedroht«. 20 politische Morde, auch an Frauen und Kindern, wurden verübt. Der Versuch einer indigenen Autonomie wurde durch die paramilitärische Besetzung des Gemeindesitzes von San Juan Copala abgewürgt. Die Karawane wollte diese offensichtlich unhaltbare Situation öffentlich machen und auch die Lehrer an ihren Arbeitsplatz zurückbegleiten. Die Lehrergewerkschaft unterstützte dieses Anliegen, was in Oaxaca eine breite politische Rückendeckung bedeutet. Doch noch am Vortag der Karawane drohte der Sprecher der UBISORT in aller Deutlichkeit, sie würden die Karawane stoppen. Er machte seine Drohung wahr.

Die politische Gewalt in der Triqui-Region dauert seit Jahrzehnten an. Von der Gewalt profitiert die mestizische Oberschicht. Die letzte größere Konfrontation der Triquis mit dem Staat datiert aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Militärs und Händler das blühende Tauschgeschäft Kaffeebohnen gegen Schnaps, Waffen und Munition betrieben. Militäreinheiten beschlagnahmten die Waffen, nur um sie dann den Indigenen erneut zu verkaufen. Eines Tages ermordeten erzürnte Bewohner von San Juan Copala mehrere Soldaten. Als Antwort beschossen Militärflugzeuge die Hütten von Copala und der mexikanische Staat entzog Copala den Status des Bezirks. Seither sind die insgesamt mehrere zehntausend Triqui-Indigenen auf die drei umliegenden mestizischen Bezirke aufgeteilt.

2006 entstand mit der »anderen Kampagne« der Zapatistas und dem Aufstand der Volksversammlung der Völker Oaxacas (APPO) in Oaxaca-Stadt ein Kräfteverhältnis, das es oppositionellen Stimmen in den Triqui-Gemeinden ermöglichte, sich von alten Machtstrukturen zu lösen. Sie erklärten am 1. Januar 2007 San Juan Copala zum autonomen Bezirk. Das Gespenst einer zapatistisch inspirierten indigenen Autonomie ging um. Die UBISORT, gegründet Mitte der neunziger Jahre zur selben Zeit wie die paramilitärischen Gruppierungen im Nachbarstaat Chiapas, fordert die Militarisierung der Region, um »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen. Der autonome Bezirk will eine Verhandlungslösung, denn die Armee würde die Konflikte nur schüren. So befürchtet die Plattform der lokalen Nichtregierungsorganisationen eine »Wahl der Angst«, was der PRI zugute käme. Die Wahlen am 4. Juli in Oaxaca und in acht weiteren Bundesstaaten gelten als Testlauf für die mexikanischen Präsidentschaftswahlen von 2012. Die PRI drängt auf den Präsidentensessel zurück. Kein anderer als Ulises Ruiz Ortiz will dies orchestrieren: Er kündigte an, nach dem Ende seiner Amtszeit als Gouverneur den Parteivorsitz übernehmen zu wollen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010


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