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"Die Guerilla ist immer ein soziales Phänomen"

Politischer Kontext ignoriert: Mexikos Regierung reagiert mit massiver Repression auf Attacken des "Revolutionären Volksheeres". Opposition in Oaxaca kriminalisiert. Ein Gespräch mit Carlos Montemayor *


Nachdem die Guerillagruppe »Revolutionäres Volksheer« (EPR) Anfang dieses Monats Anlagen des staatlichen Erdölkonzerns PEMEX angegriffen hat, mobilisierte die mexikanische Regierung die Armee im ganzen Land. Erleben wir den Beginn eines neuen »Krieges gegen den Terror«?

Die Militarisierung in Mexiko hat mit der Regierung von Felipe Calderón begonnen, und sie hat zwei Gründe. Zum einen die Unterordnung Mexikos unter die »regionale Sicherheitspolitik«, wie sie von den vergangenen Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt worden ist. Der zweite Grund ist die schleichende Auflösung des Polizeiapparates. Die Armee wird auch in Mexiko zunehmend im Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt, weil die polizeilichen und politischen Strukturen versagt haben. Die Armee ist das letzte Mittel. Indem die Regierung die Armee einsetzt, stellt die unter Beweis, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht.

Das klingt wie in Kolumbien. Auch dort wird die Armee vorgeblich gegen den Drogenhandel eingesetzt. Tatsächlich kämpft sie gegen die Guerilla.

Das zeigt die Komplexität des Problems. Als die Republikanische Partei in den USA 1996 ihrem Parteitag in San Diego abhielt, kündigte ihr damaliger Präsidentschaftskandidat Robert Dole an, im Falle seines Sieges die US-Armee in den Kampf gegen den Drogenhandel einzubinden. Der ehemalige »Anti-Drogen-Zar«, General Barry McCaffrey, verwehrte sich entschieden dagegen. Die Aufgabe der Armee seien übergeordnet, sagte er. Vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges müsse die Armee Integrität und Verteidigungsfähigkeit des Landes gewährleisten. Wenn die Armee in den Kampf gegen den Drogenhandel geschickt wird, würde sie von ihren vorrangigen Aufgaben nicht nur abgelenkt, sie würde auch der immensen Bedrohung durch Korruption ausgesetzt, die vom Drogenhandel ausginge. Das Paradoxe war, daß General McCaffrey diese Gefahr für die US-Armee vermeiden, die lateinamerikanischen Militärs aber mit dem Drogenhandel konfrontieren wollte. Darin liegt eine Hauptursache für die Militarisierung und Gewalt auch in Mexiko.

Der »Kampf gegen den Terror« ...

...ist ein politisches Konzept, dessen Export von den USA nach Mexiko wir in diesen Tagen möglicherweise erleben.

Zumal der politische Effekt dem in den USA gleicht: Die Anschläge in Mexiko kamen zu einem Zeitpunkt, in dem nicht nur die Debatte um einen möglichen Wahlbetrug Calderóns wieder aufgenommen wurde. Waren die Aktionen des EPR nicht ein willkommener Anlaß für Calderón, in die Offensive zu gehen?

Die Angriffe des EPR stehen in keinem Zusammenhang mit dem Streit zwischen der Regierung Calderón und dem Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador. Die Guerilla hat mit ihren Aktionen auf den schmutzigen Krieg reagiert, der gegen sie geführt wird.

»Krieg« bezeichnet den Kampf gegen Aufständische in den siebziger und achtziger Jahren. Dabei kamen unzählige Zivilisten ums Leben oder wurden verschleppt. Auch das EPR begründete ihre Angriffe mit der Verschleppung zweier ihrer Genossen.

Nachdem sich das EPR in einem Kommuniqué zu den Anschlägen auf PEMEX-Anlagen bekannt hat, erinnerten mehrere Journalisten an die Enthüllungen des Kollegen Pedro Ansótegui aus Oaxaca. Ansótegui hatte über eine Aktion von Polizei und Militär in dieser Stadt am 24. Mai berichtet. Dabei seien Uniformierte in das Hotel »Árbol« eingedrungen. Die Aktion wurde mit der Präsenz »bewaffneter Gruppen« begründet. Kurze Zeit nach dem Sturm auf das Hotel sei ein Kommando der Armee eingetroffen. Zwei Männer wurden festgenommen – wie es auch im EPR-Kommuniqué heißt. Es handelt sich um Edmundo Reyes Amaya und Raymundo Rivera Bravo. Weil in Oaxaca nichts unbemerkt geschieht, wurde schnell bekannt, daß sich die beiden Gefangenen einen Tag später in den Kellerräumen der Staatsanwaltschaft befanden. Augenzeugen berichteten, daß ein Arzt in das Gebäude gerufen wurde und es kurze Zeit später wieder verließ – ein Indiz für den schlechten Zustand der Gefangenen. Beide Männer wurden später auf Tragen aus dem Gebäude getragen und nach Mexiko-Stadt gebracht. Seitdem fehlt jede Spur von ihnen. Das ist der Grund der Aktionen des EPR. Die Verschleppung und mutmaßliche Folterung ihrer Genossen. Mit anderen Worten: Der schmutzige Krieg, den die Regierung wieder führt.

In der Erklärung der Gruppe wird direkt auf die soziale und politische Bewegung gegen die rechtsgerichtete Regierung in Oaxaca Bezug genommen. Welche Verbindung besteht zwischen dem EPR und der Bewegung in Oaxaca?

Die Beteiligung des EPR an den sozia­len Auseinandersetzungen in Oaxaca im vergangenen Jahr steht derzeit natürlich wieder im Zentrum der Debatte. Ebenso ihre Verbindung zu dem Zusammenschluß sozialer und politischer Gruppen, der »Volksversammlung der Bevölkerung Oaxacas« (APPO). Eines ist dabei wichtig festzuhalten: Wenn das EPR tatsächlich an den Widerstandsaktionen der APPO teilgenommen hat, dann nicht als bewaffnete Kraft, als militärische Organisation. Das EPR hat während des Aufstandes als Untergrundorganisation niemanden bedroht oder eine solche Bedrohung auch nur öffentlich in Erwägung gezogen. Die militärische Schlagkraft, die mit den Anschlägen Anfang des Monats unter Beweis gestellt wurde, spielte schlichtweg keine Rolle.

Welche Rolle hat das Guerilla in Oaxaca dann gespielt?

Die mögliche Beteiligung des EPR am Konflikt in Oaxaca beschränkte sich auf eine zivile und politische Unterstützung. In diesem Sinne war die Bewegung eine Art Intensivkurs in politischer Organisation und Massenbewegung. Das galt aber nicht nur für EPR, die möglicherweise präsent war, sondern auch für die unabhängigen sozialen Gruppen, die Indigenenorganisationen, die streikenden Lehrer und Frauengruppen. Die extralegalen Festnahmen und die Antwort des EPR ist daher eine Fortsetzung des sozialen und politischen Konfliktes in Oaxaca.

Zugleich können die konservative Bundesregierung und ihre regionalen Partner jedweden Widerstand als »terroristisch« und fremdgesteuert darstellen. Zuletzt wurde in rechten Medien sogar wieder die alte These des Einflusses Venezuelas aufgewärmt ...

Es war die durchgehende Strategie der letzten Regierungen in Mexiko, sozialen Bewegungen die Gründe ihres Protestes abzusprechen. Das trifft auf die unterbezahlten Lehrer ebenso zu wie auf die Frauenorganisationen und indigene Gemeinden. Es ist der Versuch, die Augen vor der Realität Mexikos zu verschließen. Die Realität wird geleugnet.

Die Guerilla ist immer ein soziales Phänomen, sie ist die Zuspitzung regionaler oder überregionaler Konflikte. Wegen ihres subversiven Charakters, wegen ihrer militärischen Schlagkraft und wegen ihrer Ausrichtung als Selbstverteidigung und Volksarmee wird im öffentlichen Diskurs und in staatlichen Darstellungen diese Verbindung zu sozialen Bewegungen aber grundsätzlich geleugnet. Wir können nicht nur in Mexiko beobachten, wie die Guerilla-Aktionen als sinnlose Kriminalität dargestellt wird. Indem die sozialen Ursachen des Guerillakampfes geleugnet werden, verbaut sich die Staatsführung aber die Möglichkeit einer notwendigen sozialen und politischen Analyse. Was bleibt, ist die militärische Antwort; die selektive oder generelle Repression.

Welche politische Bedeutung aber hat das Erstarken der Guerilla für Mexiko?

Für die Regierung, wie gesagt, keine. Die Guerilla wird nur als militärische Bedrohung wahrgenommen, nicht als Ausdruck eines Konfliktes. Die Lösung ist nach dieser Logik die Vernichtung der Guerilla, ohne die politische und soziale Situation zu verändern. Die Anschläge des EPR sind ein Resultat dieser Politik.

Interview: Harald Neuber, Mexiko-Stadt

* Carlos Montemayor ist einer der bekanntesten politischen Autoren Mexikos. Neben philologischen und lyrischen Texten hat er sich in mehreren Romanen mit dem Kampf der Regierungen in dem mittelamerikanischen Land gegen Guerillabewegungen in den siebziger und achtziger Jahren befaßt.

Aus: junge Welt, 27. Juli 2007



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