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López Obrador auf langer Dienstreise

Kampf um Mexikos Wählerstimmen

Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *

Der mexikanische Oppositionspolitiker Andrés Manuel López Obrador besuchte über 2000 Städte und Gemeinden – und setzt auf das Erinnerungsvermögen der Bevölkerung.

Es war eine lange Dienstreise des selbst ernannten »legitimen Präsidenten« Mexikos, Andrés Manuel López Obrador. Vor mehr als zwei Jahren hatte der links-gemäßigte Oppositionspolitiker angekündigt, bis zu den Parlamentszwischenwahlen im Sommer 2009 alle mexikanischen Landkreise, die sogenannten Municipios, besuchen zu wollen. Das rief vielfach ein müdes Lächeln hervor. Schließlich ist Mexiko in 2438 Municipios aufgeteilt. Davon werden 2038 von Parteienvertretern regiert, die übrigen 400 nach den »Sitten und Gebräuchen« der indigenen Bevölkerung.

Tatsächlich hat López Obrador den Besuch der von Parteien verwalteten Städte und Gemeinden nun komplett abgeschlossen. Dabei reiste er auch in entlegene Gegenden, in die kein Gouverneur, geschweige denn ein mexikanischer Präsident jemals seinen Fuß setzte. Nicht umsonst wählte López Obrador als letzte Station seiner Marathontour den Landkreis Tamazula. Das ist der Geburtsort des ersten mexikanischen Präsidenten Guadalupe Victoria, der das Land nach der Unabhängigkeitserklärung 1824 bis 1829 regierte.

López Obrador ruft nach dem Unabhängigkeitskampf, der sogenannten Reformzeit und der mexikanischen Revolution nun zur »vierten Transformation des öffentlichen Lebens in Mexiko« auf. Man darf davon ausgehen, dass der Präsidentschaftskandidat von 2006, der nach Ansicht seiner Anhänger nur durch eine Schmutzkampagne und Wahlmanipulationen um den Sieg gebracht wurde, dabei nach wie vor eine führende Rolle anstrebt.

Allerdings wird sich López Obrador vorerst als politischer Überlebenskünstler behaupten müssen. In seiner eigenen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) hat der rechte Flügel das Ruder übernommen. Einfluss wird er dort nur in dem Maße behalten können, in dem ihm nahe stehende Figuren als Parlamentskandidaten aufgestellt und im Juli auch gewählt werden. Er selber bemühte sich nicht um eine Kandidatur.

Die gleichzeitige Strategie, auch Kandidaten der Partei Convergencia und der Arbeiterpartei (PT) zu unterstützen, ist gefährlich: Wenn diese beiden kleinen Parteien die Zweiprozenthürde nicht überspringen, verlören sie ihren Status als eingetragene Parteien. López Obrador säße dann möglicherweise zwischen allen Stühlen ohne nennenswerte Hausmacht unter den Abgeordneten. Convergencia und PT traten 2006 noch zusammen mit der PRD an und bildeten mit dieser im Parlament das inzwischen zerbrochene »Breite Fortschrittliche Bündnis«.

Derzeit sind sich die meisten Beobachter einig: Im Sommer wird weniger die zerstrittene Linke als die sich nun sozialdemokratisch nennende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) von der schwachen Vorstellung der konservativen Regierungspartei PAN profitieren. Angesichts dieser Entwicklung muss López Obrador einen langen Atem bis zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl 2012 haben. In seine außerparlamentarische Bewegung sollen sich mehr als zwei Millionen Menschen eingeschrieben haben. Sie könnte relativ schnell die Basis für eine eigene, neue Partei sein. Als einer von wenigen Politikern hat es López Obrador in der Vergangenheit vermieden, den Menschen eine rosarote Zukunft mit ihm an der Regierung zu versprechen. Je länger die Wirtschafts- und Finanzkrise dauert, je mehr kann er an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Die konservative Regierung versuchte anfangs, die Krisenwirkungen auf das eigene Land trotz der direkten Nachbarschaft zu den USA zu ignorieren. Seit Jahresbeginn muss sie eine schlechte Nachricht nach der anderen vermitteln. Sofern die Mexikaner überhaupt noch an Parteien und ihre Politiker glauben, erinnern sie sich möglicherweise in den kommenden Jahren daran, wer da als einsamer Rufer in ihr Municipio kam. Zumindest ist dies das Kalkül López Obradors. Gerade beschreibt er die Erfahrungen seiner zweijährigen Rundreise in einer Zeitungsserie. Titel: Das Land von unten.

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2009


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